Schnee von gestern ...und vorgestern. Günther Klößinger
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Название: Schnee von gestern ...und vorgestern

Автор: Günther Klößinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783737520829

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СКАЧАТЬ Das Pochen in den Ohren erschien ihm unerträglich laut. Er spürte, wie seine Finger zitterten, und glaubte fast, Schweißtropfen auf die Treppe platschen zu hören. Sachte drückte er die Klinke herunter.

      Ein ohrenbetäubender Knall donnerte los. Augenblicklich warf sich Nick zu Boden. Die anderen erstarrten. Alle erwarteten eine Stichflamme, doch die scheinbare Detonation verhallte ohne Rauch und Feuer.

      „Verdammt, was war das denn?“, fragte Robert.

      „Die Tür!“, antwortete Jessica. In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Hysterie mit. „Sie ist komplett nach draußen gefallen.“

      „Wieso haben wir eigentlich keine Taschenlampen dabei?“, fragte Robert und versuchte mit zusammengekniffenen Augen etwas im Mondlicht zu erkennen.

      „Coole Frage, Robby“, schnaubte Nick. „Hättest du die nicht vor einer Dreiviertelstunde stellen können?“ Er rappelte sich umständlich wieder auf.

      Alle starrten schweigend zu der dunklen Türöffnung hin.

      „Und wenn wir doch die Polizei rufen?“, wagte Jessica die Stille zu durchbrechen.

      „Nein!“, reagierte Nick ungewohnt heftig. Das Bild vor seinem inneren Auge wollte und wollte nicht verblassen, ja, nicht einmal vergilben: Jasmins Handy, auf dessen Display Jeannies Nummer blinkte. Das Mobiltelefon klingelte und klingelte und klingelte …

      „Nick hat recht“, stimmte Jasmin zu, „Jeannie hat das bestimmt nicht nur so gesagt! Aber egal – wir gehen jetzt da rein!“

      Jassy betrat als Erste die Diele. Sie blinzelte und versuchte ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen.

      „Mannomann, draußen hatten wir wenigstens Mondlicht!“, stellte Robert fest.

      „Kannst du nicht schnell das Dach abdecken?“, versuchte Jessica die Freunde wenigstens ein bisschen aufzumuntern.

      „Hier muss doch irgendwo ein Lichtschalter sein!“, sagte Jasmin, mehr zu sich selbst. Sie tastete sich an der Wand entlang, auf das Treppenhaus zu. Die hölzernen Stiegen führten zu Jeannies Wohnzimmer im ersten Stock hinauf. Vorsichtig arbeiteten sich die Jugendlichen Schritt um Schritt vorwärts.

      Plötzlich stolperte Jasmin. Ihr Aufschrei zerfetzte die atemlose Stille. Rumpelnd polterte es unter ihr. Sie ruderte mit den Armen und versuchte das Gleichgewicht zu halten, fiel aber schließlich in das Schwarz der Nachtschatten hinein. In diesen Sekundenbruchteilen durchlebte sie noch einmal die schrecklichsten Augenblicke ihres Lebens: ihre Entführung und die Gefangenschaft in einem muffigen, modrigen Keller. Sie glaubte, wieder in jenes Loch hinabgestoßen zu werden, erwartete einen nicht enden wollenden Sturz in die Schrecknisse ihrer Erinnerung. Jasmin prallte mit den Knien hart auf Holz, ihre Hände schürften, Halt suchend, über Staub und Spreißel. Schmerz und Wut stoppten die scheinbare Endlosigkeit des Falls. Ein weiteres Krachen dröhnte durch den dunklen Flur, als Jasmins Ellenbogen auf eine der Stufen knallten. Keuchend zog sie sich am Geländer hoch und setzte sich auf die Treppen. Sie hatte ihre Orientierung wiedergefunden und blinzelte in Richtung Tür. Zwinkernd bemühte sie sich, die Schatten, die sich vom schwach hereindringenden Mondlicht abhoben, ihren Freunden zuzuordnen. Ohne lange nachzudenken leckte Jasmin an der aufgeschürften Handfläche und schüttelte sich, als der Geschmack von Schmutz und Blut bitter auf der Zunge prickelte. Die offenen Wunden brannten und pulsierten schmerzhaft.

      „Ich bin auf der Treppe! Kommt her, aber passt auf! Da liegt ein Stuhl oder so im Weg. Kurz vor der Stiege muss irgendwo ein Lichtschalter an der Wand sein.“

      Sie sah, wie einer der Schatten in den Flur hineintrat. Gleichzeitig spukte ihr eine schreckliche Vision im Kopf herum: Was, wenn das nicht mehr ihre Freunde waren, sondern …

      Der Schatten war nun nahe bei ihr.

      „Bist du das, Nick?“

      Keine Reaktion.

      „Nick?“

      Nichts.

      Die Gestalt hob die Hand. Ein „klick“ hallte wie höhnisches Gekicher durch den Raum. Das nun aufflackernde Licht drohte den Freunden die Augen in Stücke zu reißen. Die vier blickten sich verdattert an. Nach einer sprachlosen Minute wunderten sie sich, dass das funzelige Schimmern einer Glühbirne, die ihr Testament bestimmt schon bald machen würde, sie derart blenden konnte. Kaum war der Schmerz aus den Augen gewichen, bohrte er sich in ihre Seelen. Fassungslos sahen sie sich um: Die Wände waren über und über mit Parolen der schlimmsten Sorte beschmiert: „Ausländerpack“ – „Kanaken raus“ – „Asylanten sind biologisch abbaubar“. Fassungslos ließen Jassy, Jessy, Robert und Nick ihre Blicke in diesem Museum der Intoleranz herumwandern. Die Kraft des hier manifestierten Hasses lähmte alle Glieder. Keiner gab einen Laut von sich. Roberts Blick fiel auf ein Büschel Stroh in der Ecke, dann bemerkte er den Geruch. Wortlos deutete er auf seine Entdeckung. Nick folgte dem Fingerzeig und lief zu dem kleinen Bündel hinüber. Daneben fand er einen Benzinkanister, um den herum einige abgebrannte Streichhölzer im Staub lagen. Eine Gänsehaut ließ den Jungen erzittern, als er vor dem Brandsatz kniete. Jasmin blickte von der Treppe aus geschockt auf die vermeintliche Feuerstelle.

      „Mein Gott“, stammelte Jessica tonlos, „das hatten sie also vor!“

      „Ja“, murmelte Robby, „und entweder sind die Pyrofreaks gestört worden …“

      „… oder es hat einfach nicht geklappt!“, beendete Nick den Gedanken.

      Jassy schluckte. Die letzten Reste ihrer Beherrschung und Vorsicht implodierten in diesem Moment. „Jeannie!“, schrie sie. Die andächtige Museumsruhe verließ fluchtartig den Raum. Ohne irgendwen auch nur eines Blickes zu würdigen, rannte Jasmin die Treppe hinauf. Instinktiv folgten ihr die anderen. Sie polterten über klobige Stufen nach oben, bis sie schließlich vor dem Wohnzimmer standen. Zitternd und keuchend lehnte Jasmin an der Wand. Ihre Augen starrten seltsam entrückt ins Leere. Jessica versuchte die Situation wenigstens im Ansatz zu überblicken und schaute im Halbdunkel umher.

      Die Tür hing nur noch an einer einzelnen Angel und drohte jeden Moment herauszufallen. Das Schloss war geborsten: Holzsplitter und Schrauben waren bis weit in den Raum hineingeflogen. Die Tür musste mit ungeheurer Gewalt eingeschlagen worden sein. Jasmins Augen tasteten wie Nachtsichtgeräte das Wirrwarr aus umgeworfenen Möbeln, zerbrochenem Geschirr, zerborstenen Regalen und zertretenen Kunstgegenständen ab. Jessy trat in den Raum und betätigte den Lichtschalter. Das Ausmaß der Zerstörung war noch schlimmer, als die Schatten hatten vermuten lassen. Jasmin biss sich in eine Handfläche. Sie war sich sicher, dass sie weinte, aber keine einzige Träne rann über ihre Wangen. Niemand sprach ein Wort. Nick und Robert versuchten sich einen Weg durch das Chaos zu bahnen, hoben und schoben Möbel beiseite. Schließlich rissen sich Jassy und Jessy aus ihrer Starre und begannen ebenfalls, Regale und Tische herumzuwuchten. Das Schweigen quälte, aber die Furcht, dass Worte noch grausamer sein könnten, ließ die Freunde nicht los. Und doch musste Jessica schließlich etwas sagen: „Da!“, stieß sie hervor. „Da unter dem Bücherregal!“

      Nick ließ augenblicklich einen Stuhl fallen und Jasmin schob eine Kommode achtlos beiseite. Auch Robert unterbrach den Versuch, eine massive Tischplatte auf die dazugehörigen vier Beine zu hieven. Die drei starrten zu Jessy hinüber, die in der Hocke vor einem hellen, grotesk verschobenen Lattenregal saß. Darunter lugten zwei Füße hervor. Die Freunde brauchten nicht einmal Blickkontakt aufzunehmen, um sich abzusprechen: Nick packte das obere Ende, Robert das untere, dann hoben und stemmten sie das Holzgestell beiseite. Ein verwirrendes Gemenge unterschiedlichster Bücher bedeckte den Boden. Romane, Bildbände, Sachbücher – alles, vom fetten СКАЧАТЬ