Schnee von gestern ...und vorgestern. Günther Klößinger
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Название: Schnee von gestern ...und vorgestern

Автор: Günther Klößinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783737520829

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СКАЧАТЬ müsste ich heulen und mich bemitleiden!“, dachte sich Else. Sie blickte durch ihr Küchenfenster auf die immer dunkler werdende Frühabendsonne, die sich gähnend und behäbig dem Horizont näherte. Die Kaffeetasse fühlte sich mittlerweile fast frostig an. Else hob sie an die Lippen und schlürfte die lauwarme Brühe. Der schale Geschmack erinnerte an das Aroma abgestandenen Heizöls. Else schüttelte sich, stand auf, ging zur Spüle und überantwortete den letzten Rest ihres Kaffees schwungvoll dem Ausguss. Das Gluckern aus der Leitung erinnerte sie an jenes peinlich berührte Gurgeln in Mr. Mathes Hals, als er sie mit der Wahrheit konfrontiert hatte.

      „Du kannst hier wohnen bleiben, Else. Weißt du, Brenda und ich, wir … nun, sie hat ein Haus, ganz in der Nähe. Vielleicht …“ – da war es gewesen, dieses Gurgeln, das direkt aus dem Trainingscamp für Mundwasserwerbung zu kommen schien – „… wir könnten doch – äh – ich weiß, das klingt abgegriffen, aber wir …“

      „Ich scheiße auf deine Freundschaft, falls du das meinst!“, hatte Else ihm hysterisch entgegengebellt und ihm so den Allgemeinplatz par excellence erspart. „Brenda? Aus welcher Daily Soap hast du die denn entführt?“

      Er tat verletzt. „Brenda ist Physikerin. Sie genießt höchstes Ansehen …“

      „… jedenfalls mehr als eine lausige Ex-Kommissarin der hiesigen Polizei, was? Und sie versteht was von Formeln und Gleichungen, oder?“

      Nicht zu fassen: Wegen diesem Mann hatte sie einmal ihre Ehe mit Fox Prancock aufgegeben und damit das Verhältnis zu ihrer eigenen Tochter lange Zeit auf Eis gelegt. Langsam verstand sie, warum Jasmin immer so spöttisch von ihrem früheren Mathelehrer gesprochen hatte: In seinen Augen folgte das ganze Leben ausschließlich den Gesetzen der Algebra. Die zerbrochene Beziehung war für ihn nur eine Ungleichung und Else lediglich eine Variable. Ausgerechnet diese stand, im Gegensatz zu der anderen Unbekannten, jetzt auf der „Kleiner“-Seite des Terms.

      Klirrend zerschellte die Tasse an der Wand. Ein Rest Kaffee verschönerte selbstlos das karge Tapetenmuster und durchbrach dessen kühle Symmetrie. Else starrte den braunen Fleck an.

      „Leben!“, fuhr es ihr durch den Kopf. „Leben zwischen erstarrten Formen. Das wirst du nie schaffen mit deiner Reagenz-Brenda!“

      Else erschrak über sich selbst. Dass sie ihre Wut so exzessiv auslebte, war ihr fast ein wenig peinlich. Es war beinahe wie am Ende ihrer Ehe mit Prancock. Sie starrte adrenalinberauscht in die Scherben, die auf dem Teppich ein modernes Ballett zusammenwackelten. Dann wartete sie auf das erneute Hereinbrechen ihres Selbstmitleids. Es hatte sich noch nicht einmal eingestellt, als die Scherben schließlich still und unbewegt lagen.

      „Ich bin einsam, verdammt noch mal!“, versuchte sie sich in die richtige Jammerstimmung zu versetzen. In diesem Moment klingelte das Telefon.

      „Ich sagte ‚einsam‘“, knurrte Else in Richtung des Geräts. Erneutes Klingeln.

      „Wenn du das bist, Mr. Mathe, kannst du was erleben!“ Angriffslustig riss Else den Hörer von der Gabel und meldete sich: „Zentrale Beschneidungsstelle, was kann ich für Sie tun?“

      Kurzes Schweigen. Else triumphierte bereits innerlich, doch dann erklang fröhliches Gelächter aus der Hörmuschel.

      „Hallo“, prustete es am anderen Ende, „hier Ilka! ich wollte nur mal hören, wie’s dir geht.“

      „Ilka? Entschuldige bitte, ich dachte …“

      „Schon gut, Else, und weiter so. Aber mal was anderes: Suchst du nicht einen Job?“

      „Na ja, nachdem ich jetzt hier die Miete zahle, auch was essen will und Fox seine Kohle mehr für dich braucht …“

      „Wie bitte?“ Ilkas gute Stimmung war verflogen.

      „Entschuldige, Ilka! Ich wollte dich nicht … weißt du, ich bin bloß …“

      Jetzt, wo sie es nicht brauchen konnte, machte sich das Selbstmitleid in ihr breit. Es blähte sie auf wie einen Ballon, dessen Ventil in der Tränendrüse steckte. Heiße Tropfen fielen auf das Telefon. Else schluckte. Mit traurigem Stolz stellte sie fest, dass sie es wenigstens schaffte, ihr Schluchzen im Hals zu halten.

      „Schon gut. Also, interessiert dich nun der Job?“

      „Worum geht’s denn?“, fragte Else.

      „Die Redaktion plant eine Artikelserie über ungelöste Verbrechen der letzten fünfzig Jahre, die hier in der Umgebung …“

      „Ich habe keinen Zugang mehr zu Polizeiakten, falls du das meinst, Ilka.“

      „Nein, aber Gregor Brand war völlig begeistert von meinem Vorschlag, dich als Autorin für die Serie zu gewinnen.“

      „Hm … und du denkst …?“

      „Du bist den Leuten noch immer ein Begriff – und eine anerkannte Spezialistin obendrein. Na, wäre das nichts?“

      Beide schwiegen kurz. Gedankenverloren wischte Else die Tränen von ihrem Telefonapparat. „Ich überlege es mir mal …“

      „Aber nicht zu lange, Else. Ich habe dir einen Termin für Montagmorgen in der Redaktion reserviert!“

      „Wie bitte? Du kannst doch nicht einfach …“

      „Entschuldige, Else, ich wollte dich nicht überrumpeln, aber du weißt doch, dass Fox und ich morgen früh Richtung Frankreich aufbrechen!“

      „Stimmt ja“, sagte Else und verschwieg, dass sie das neue Liebesglück ihres Exmannes ab und zu verdrängte. Sie mochte Ilka, und gerade deswegen tat es Else oftmals weh, die junge Reporterin Seite an Seite mit Fox zu sehen. Letztlich konnte sie nicht anders, als sich für die beiden zu freuen. Ihre eigenen Enttäuschungen musste sie in jenen Momenten hinunterschlucken, und das war schmerzlich. Viel lieber wäre sie wütend oder schadenfroh und könnte sich mit Aggressionen von der gähnenden Leere auf dem eigenen Glückskonto ablenken.

      „Nun, wie steht’s?“, fragte Ilka. Ihre Stimme verriet einen Anflug von Ungeduld.

      „Ich werde da sein. Um wie viel Uhr?“

      Farbe und Schweiß flossen auf Jessicas Stirn ineinander. Mit dem Handrücken wischte sie sich Tünche von der Nase. Sie kniete vor einem übervollen Putzeimer. In einer mörtelgrauen Soße schwamm ein verklebter Klumpen. Er hatte sein früheres Leben als Wischlappen wohl in Ausübung seiner Pflicht endgültig ausgehaucht.

      „Mein Rückgrat muss dringendst zur Reparatur“, stöhnte Jessy, als sie den Kübel anhob, um ihn hinauszuschleppen.

      Robert kämpfte sich soeben verzweifelt durch einen Berg aufgeweichter und zerknüllter Zeitungsbögen. Leise vor sich hin fluchend, versuchte er, den Unrat nach und nach abzutragen und in Müllsäcke zu stopfen.

      „Sagt mal“, fragte er dabei, „wollte diese Jeannie nicht auch vorbeikommen und mithelfen?“

      „Eigentlich schon.“ Jasmin blickte von ihrer Arbeit auf. „Sie wusste zwar noch nicht, ob sie Zeit hat, wollte aber anrufen, falls ihr was dazwischenkommt.“

      Nick bemühte sich, nicht zu grinsen. Jeannie war eine alte Bekannte seinerseits. Er hatte sie und die Märchenprinzessin miteinander bekannt gemacht, aber inzwischen hatte er das schon oft bereut. СКАЧАТЬ