Название: Centratur - zwei Bände in einer Edition
Автор: Horst Neisser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783741800696
isbn:
Die Reise nach Waldmar
Marc kam er rasch voran. Am frühen Vormittag befand er sich schon jenseits der Oststraße, die er unbemerkt überquert hatte. Auf seinem Weg war er bisher niemandem begegnet und fühlte sich einsam. Gegen Mittag setzte er sich in den Schatten einiger Bäume und aß mit gutem Appetit von dem mitgebrachten Proviant. Der junge Erit genoss es, außerhalb der Enge des Elternhauses durch die Welt zu ziehen. Nun, nachdem die Mahnungen und Ratschläge von Mutter und Vater verstummt waren, fiel ein Druck von ihm ab. Er streckte sich und atmete tief durch. Marc bereit für das Abenteuer.
Noch immer war die Gegend wie ausgestorben. Dies verwirrte ihn. Wenn hier er früher gewandert war, hatte er Holzfäller, Jäger und Bauern getroffen, die mit ihren Ochsenfuhrwerken auf die Felder fuhren. Schließlich erreichte der junge Erit das Ende des Waldes im Osten. Von hier fiel der Weg steil ab. Die ausgefahrenen Spuren des Weges schlängelten sich in kurzen Serpentinen hinunter zur Mooraue.
Als Marc einmal stehen blieb und nach Osten blickte, sah er in der Ferne schwarzen Rauch wie von großen Bränden. Er konnte sich keinen rechten Reim darauf machen und kümmerte sich nicht weiter darum. Weit nach Mittag erreichte er die Ebene. Er war inzwischen fußwund. Aber irgendetwas trieb ihn vorwärts, gönnte ihm keine Ruhe.
Früher als gedacht erreichte er Loidl eine kleine Arbeitersiedlung. Die Gegend um Loidl war sumpfig. Von dieser Unbill der Natur lebte die Bevölkerung des Ortes. Die Männer gruben lange, tiefe Entwässerungsgräben und stachen mit besonderen Werkzeugen den Torf. Der getrocknete Torf wurde zu Ballen verpackt und im ganzen Heimland verkauft. Reichtümer waren mit diesem Geschäft zwar nicht zu gewinnen, aber die Leute hatten ihr Auskommen.
Die Straße führte am Ort vorbei. Arbeitshütten säumten den Weg. Immer wenn Marc früher in dieser Gegend war, hatte er dort stets fleißige Männer gesehen. Heute war alles leer und verlassen. Nur Torfziegel lagen in langen Reihen zum Trocknen ausgebreitet. Verwirrt blieb er stehen und sah sich um. In dem trüben Licht des verhangenen Tages sah alles so trostlos und gespenstisch aus. Niederes Gesträuch und dunkle Weiden gaukelten gefährliche Tieren vor. Fliegen und Stechmücken hatten sich zu Schwärmen über den Wassertümpeln vereint. Marc machte, dass er weiterkam.
Als es dann dunkel wurde suchte er sich ein Lager zwischen Büschen. Seine Kleider waren klamm und er schlief schlecht. Deshalb war er über den neuen Tag froh und machte sich schon bei den ersten Sonnenstrahlen auf den Weg.
Am späten Nachmittag erreichte er endlich Moordorf. Vor Stunden hatte Nieselregen eingesetzt, und Nebel war aufgezogen. Der Wanderer war nass und erschöpft. Voller Hoffnung auf eine trockene Unterkunft lief er die Dorfstraße entlang. Er hatte Hunger wie ein Bär und freute sich auf das weit gerühmte Bier, das hier gebraut wurde. In Moordorf, so hatte sich Marc vorgenommen, wollte er übernachten, um am nächsten Morgen nach Waldmar überzusetzen.
Allzu große Eile schien ihm noch immer nicht geboten. Sicher, dem Heimland drohten Gefahren, und seine Aufgabe war es auch, die Grafenfamilie zu warnen. Aber Waldmar war durch den Wilden Wald auf der einen Seite und den Großen Fluss auf der anderen gut geschützt. Die Menschen dort galten zudem als kampferprobt und gelassen im Umgang mit Gefahren. Bisher hatten sie noch jedes Unheil abzuwenden vermocht.
Wie er so zwischen den Häusern hindurch schritt, fiel ihm die seltsame Ruhe auf, die über Moordorf lag. Straßen und Gassen waren leer. Niemand ließ sich sehen. Auf den Höfen der Bauern pickten keine Hühner und schnüffelten keine Schweine. Alle Fenster und Türen waren geschlossen und manche sogar verrammelt. Eine vergessene Forke steckte in einem Misthaufen.
Auch der Gasthof sah verlassen aus und seine Fenster waren mit festen Holzläden verschlossen. Hungrig und müde klopfte er dennoch an das grün gestrichene Tor. Da niemand antwortete, pochte er stärker und begann zu rufen. Es konnte doch nicht sein, dass das ganze Dorf verwaist war. Seine Hand tat ihm schon weh, als er hinter der Tür etwas hörte.
Er solle nicht solch einen Lärm machen, rief eine ärgerliche Männerstimme. Ob er denn nicht merke, dass der Gasthof geschlossen sei. Er solle schleunigst weitergehen. Fremde seien in Moordorf zurzeit unerwünscht. Wenn er diesem Rat nicht umgehend Folge leiste, so werde man es ihm mit Knüppeln beibringen.
Marc versuchte zu erklären, dass er eine weite Wanderung hinter sich habe und Verpflegung und Ruhe brauche. Die Stimme hinter der Tür wurde immer wütender. Doch erst das Gebell von zwei Hunden, mit denen, zumindest dem Kläffen nach, nicht zu spaßen war, schreckte den Wanderer vollends ab. Hinkend und enttäuscht machte er sich wieder auf den Weg. Mit eingezogenem Kopf durchquerte er den trostlosen Ort. Trotz der Nebelschwaden, die mehr und mehr die Häuser und Höfe verhüllten, fühlte er die Blicke, die aus allen Ritzen und Läden auf ihn gerichtet waren.
Er ließ Mooraue hinter sich und erreichte nach einer Viertelstunde den Tabakweg. Der Begriff ‘Weg’ war irreführend. Es handelte sich dabei um eine breite Straße, die im Norden von der Oststraße abzweigte und nach einem eleganten Schwung am Erfstrom entlang nach Süden führte. Der Nebel war nun so dicht, dass der junge Erit kaum noch seine Hand vor den Augen sehen konnte. Brandgeruch hing in der nassen Luft, aber er konnte nicht ausmachen, woher er kam.
Beinahe wäre Marc in die Falle gelaufen, denn plötzlich hörte er ganz nahe Stimmen und sah den Schein eines flackernden Feuers.
„Wie lange sollen wir in dieser Waschküche noch hocken?" beschwerte sich eine schrille Stimme. „Wir müssen die Straße bewachen, während sich die andern beim Plündern die besten Stücke unter den Nagel reißen. Unsere Wache hier ist völlig unnötig. Es kommt doch niemand vorbei."
Marc blieb starr im Nebel stehen. Zu gern hätte er gewusst, mit wem er es zu tun hatte. Aber er wagte sich nicht näher heran. Stattdessen versuchte er, das Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu bekommen. Schließlich konnte er wieder ruhig atmen und kehrte nach kurzer Überlegung nach Moordorf zurück. Er verstand nun die Menschen und ihre Angst. Im Ort klopfte er doch noch einmal an die eine oder andere Tür. Er hoffte noch immer auf ein wenig Wärme und Nahrung. Aber wie beim ersten Mal hatte er keinen Erfolg, sondern wurde mit Flüchen und Verwünschungen verscheucht.
Er machte sich nun doch große Sorgen um die Familie seines Paten. Besonders Akandra, dessen Tochter, ging ihm nicht aus dem Sinn. Ganz deutlich hatte er ihr Gesicht vor Augen, die braunen Augen und die Stupsnase.
‚Ich muss nach Waldmar’, dachte er, ‚koste es, was es wolle. Wenn ich hier nicht an den Fluss komme, weil die Straße bewacht ist, dann pirsche ich mich eben über die Felder. Das ist zwar ein Umweg, aber es bleibt mir wohl nichts Anderes übrig.’
Er bog in der Mitte des Ortes, dort wo der Brunnen stand, nach Westen ab. Ein schmaler Weg führte zwischen zwei Bauernhöfen hindurch und hinaus auf die Felder. Das letzte Haus, an dem er vorbeikam, war klein und grau, der Vorgarten mit dünnen Stecken eingezäunt. Auch hier waren die Läden geschlossen. Aus dem Inneren hörte man Hühner und Enten.
Marc entschloss sich zu einem letzten Versuch und klopfte. Einsam stand er vor der Tür und wartete, während der milchige Nebel ihn umfing. Endlich hörte er Geräusche über sich und schöpfte Hoffnung. Zuerst öffneten sich ein Laden und dann das Fenster. Er sah hinauf und wollte schon freundlich grüßen, als ein eiskalter Schwall Wasser auf ihn niederging. Jemand hatte einen СКАЧАТЬ