Название: Centratur - zwei Bände in einer Edition
Автор: Horst Neisser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783741800696
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Mein lieber Sohn, wir sind noch fünfzehn Mann und werden nicht mehr lange Stand halten können. Ich suche den von meinen Männern aus, der am wenigsten verwundet ist und schicke ihn zu dir. Ich weiß, du bist noch jung und hast dich bisher für die Herrscheraufgaben nur wenig interessiert. Aber du wirst das Heimland regieren, wenn es nötig ist. Verhindere, so gut du kannst, dass das Böse über die Grenzen flutet. Sei auf der Hut, auch vor deiner Familie, und zeige den Soldaten eine starke Hand. Meine Hand war bei ihrer Auswahl nicht immer glücklich, das weiß ich jetzt.
Ich weiß aber auch, dass viele Männer unserem Haus noch immer treu ergeben sind. Mein Segen ist bei dir, aber mein Herz ist voller Sorge. Ich habe lange an dir gezweifelt, doch nun bist du meine einzige Hoffnung. Lasse dich von der Last der Verantwortung nicht erdrücken, zeige Härte! Nur mit Entschiedenheit und der festen Entschlossenheit, auch Leid zuzufügen, kannst du etwas für das Glück der dir Anvertrauten tun. Härte ist manchmal Barmherzigkeit. Mein Bote muss durchkommen, denn ich sterbe leichter, wenn ich das Heimland in deinen Händen weiß.
Lebe wohl, mein Sohn und sei dem Himmel und dir selbst treu.
Dein Vater.
Horsa legte schweigend den Brief zurück auf den Tisch und verließ den Raum. Drei Männer blieben mit ernsten Gesichtern zurück. Aramar griff nach dem Papier und las es sorgfältig noch einmal Zeile für Zeile. Dann untersuchte er es auch auf der unbeschriebenen Seite genau. Schließlich packte er das Bündel sorgfältig wieder zusammen.
„Wir müssen mit dem Boten sprechen", sagte er zu dem Bauern. „Mog, geh hinaus und suche Horsa!"
Gemeinsam kletterten sie die Leiter zum Heuboden hinauf. Oben kam ihnen die Bauersfrau entgegen. Sie war trotz der Erklärungen ihres Mannes noch immer misstrauisch. Widerwillig trat sie zur Seite und ließ die Fremden zu ihrem Schützling.
„Zum Glück sind meine Kinder alle auf dem Feld, sonst käme ich mit dem Erklären überhaupt nicht mehr nach", seufzte der Bauer.
Auf einem Bett aus Heu und Stroh lag ein großer, bärtiger Erit. Sein Kopf war mit Leinenstreifen verbunden. Blut sickerte durch den Verband, obgleich die Verwundung nun schon mehrere Tage zurückliegen musste. Die Augen des Kranken waren geschlossen, sein Gesicht bleich und beinahe blutleer, die Nase spitz. Die Hände ruhten kraftlos neben seinem ausgemergelten Körper auf dem Lager. Es war offensichtlich, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Aramar setzte sich neben ihn, fühlte den Puls und hob eines der geschlossenen Lider, um dem Verwundeten ins Auge zu sehen.
„Ich brauche heißes Wasser", sagte er.
Dann griff er in seinen Umhang und zog ein kleines Fläschchen hervor, von dem er dem Sterbenden ein paar Tropfen auf die Lippen träufelte.
„Was hast du ihm gegeben?" flüsterte die Frau.
„Es waren Heilpflanzen, die man verbrannt, und deren Asche man in Weingeist aufgelöst hat“, sagte der Zauberer, während er mit seinem Fingernagel einen Punkt in der Oberlippe des Verwundeten direkt unter der Nase massierte.
Da öffnete der Kranke die Augen und sah den Zauberer an. Inzwischen hatte die Frau heißes Wasser geholt, und nun begann ein zähes Ringen um das Leben des Soldaten, das bis spät in die Nacht dauerte und schließlich siegreich endete. Es war bereits nach Mitternacht als der Kranke wieder schlief. Aber es war keine Ohnmacht mehr, sondern ein Genesungsschlaf. Die letzte Stunde war Aramar mit ihm allein gewesen. Er hatte alle anderen fortgeschickt. Nun stieg er müde die Leiter zum Hof hinab und ging hinüber in die Küche. Dort saßen jetzt auch die beiden Söhne und die Tochter der Bauersleute. Man hatte ihnen eine glaubhafte Geschichte über die Anwesenheit der Fremden erzählt.
„Er braucht noch viel Schlaf", sagte Aramar, nachdem er ein Glas Milch getrunken hatte. „Aber er ist über dem Berg. Vierzehn Tage muss er bestimmt noch liegen. Kann er so lange bei euch bleiben?"
„Aber sicher", versicherten alle wie aus einem Munde.
Die jungen Bauersleute gingen irgendwann ins Bett. Dann wurde es Zeit zum Aufbruch. Doch wie sollten sie an den Soldaten, die auf allen Straßen patrouillierten, vorbeikommen? Nach langen Beratungen fassten sie einen Plan. Weil nach drei Flüchtigen Ausschau gehalten wurde, durften eben keine drei Personen zusammen über die Straßen reiten. Das bedeutete, sie mussten sich trennen. Mog und Horsa, jener etwas widerstrebend, zogen alte Kleider des Bauern an und machten sich nach Norden auf den Weg. Man würde sie für Leute vom Land halten. Die Pferde ließen sie auf dem Hof zurück, da auch nach ihnen gesucht wurde. Nur der Zauberer behielt sein Ross.
„Wohin wirst du reiten?" fragte Horsa beim Abschied.
„Erst einmal nach Whyten und dort nach dem Rechten sehen."
„Wie willst ohne Ausrüstung den weiten Weg bewältigen?" fragte Mog besorgt.
Aramar lachte. „Lass mich nur machen. Ich bin schon weiter gereist, als du dir vorstellen kannst."
Sie reichten sich die Hände, und den beiden Erits war es bang ums Herz.
„Wann sehen wir uns wieder?" fragte Mog.
„Sobald es geht, komme ich nach Gutruh", antwortete der Zauberer, stieg aufs Pferd und ward nach wenigen Augenblicken nicht mehr gesehen.
Kurz nach ihm brachen auch Mog und Horsa auf. Sie waren kaum ein paar Minuten gegangen, da fiel Horsa etwas ein. Er eilte zurück, ließ sich seine bisherigen Kleider geben und kramte in deren Taschen. Befriedigt verstaute er etwas in der Bauerntracht, die er nun trug. Dann kehrte er zu Mog zurück. Erits können sich lautlos in der Nacht bewegen, und so waren sie in den dunklen Bauernkleidern bald darauf verschwunden.
Erst als der Morgen graute, machten sie Rast auf einer kleinen Lichtung und aßen die Wegzehrung, die ihnen die Bauern mitgegeben hatten. Bei Tageslicht wurde das Fortkommen gefährlicher, dennoch bogen sie schließlich auf die Landstraße nach Grünbergen ein. Bisher war alles gut gegangen. Da hörten sie Pferdegetrappel. Vier Reiter kamen von Norden die Landstraße herab. Ein Ausweichen war nicht möglich. Die Gegend war hier flach und ohne Deckung. So blieb den beiden Wanderern nichts, als tapfer der Straße zu folgen und so unbefangen wie möglich auszusehen. Es waren Soldaten, die ihnen entgegenkamen. Sie kreisten die vermeintlichen Bauern sofort mit ihren Ponys ein. Die Pferde waren struppig und ungepflegt. Man sah, dass sie seit Tagen nicht mehr gestriegelt worden waren. Auch ihre Herren waren schmutzig. Sie trugen heruntergekommene und zerrissene Uniformen.
„Wer seid ihr?" brüllte ihr Anführer.
„Zwei Knechte, die zur großen Straße wollen“, antwortete Mog tapfer.
„Woher kommt ihr und was wollt ihr da?"
„Wir kommen vom Südweiler und wollen etwas Verdächtiges den Herrn Soldaten auf der großen Straße melden."
„So vom Südweiler kommt ihr? Dort waren wir gestern. Wie kommt es, dass ich euch nicht gesehen habe?"
„Wir waren auf dem Feld gewesen. Nun hat uns der Bauer losgeschickt."
„So, der Bauer hat euch losgeschickt? Was habt СКАЧАТЬ