Название: Centratur - zwei Bände in einer Edition
Автор: Horst Neisser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783741800696
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„Einige“, warf Marc ein. „Einige, doch nicht alle!"
„Das weiß ich besser und habe deshalb eine andere Meinung als du. Aber lassen wir das! Während sich die Bäume anderer Wälder durch die Zeiten domestizieren ließen, wurde der Wilde Wald durch die Äonen immer mächtiger und weiser, aber auch tückischer. Die Bäume wollten von all den Geschöpfen, die auf dieser Erde leben, nichts mehr wissen. Sie kapselten sich ab und wehe, wenn sich seit dieser Zeit jemand zwischen ihre Stämme verirrt. Nur wenige haben bisher den Wald lebend wieder verlassen. Ich glaube, der Wilde Wald verachtet uns alle."
„Du meinst, die Bäume sind seit Menschengedenken ganz allein unter sich. Keine Tiere, keine Menschen durchstreifen diesen Forst?"
„Du hast Recht. Niemand wird hier geduldet außer Vögeln und..."
„Und...?"
„Und ROM."
„ROM?"
„Nun eben ROM."
„So lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!"
„Ich sollte hier im Wald nicht so viel reden. Unser Aufenthalt ist schon gefährlich genug. Ich habe dir doch gesagt, hier haben die Bäume Ohren."
„Ich will es aber jetzt wissen. Wer oder was ist ROM? Vielleicht kann er uns helfen?"
„Nun gut, damit du Ruhe gibst, erzähl ich dir ein wenig. Viel weiß ich nicht. Also, ROM war schon immer da. So lange Lebewesen sich erinnern können, gibt es ROM. ROM ist der Herr der Wälder. Ihm gehorcht der Wald, und von ihm wird der Wald gehütet und gepflegt. ROM ist unbegreiflich mächtig. Er könnte uns natürlich mit Leichtigkeit helfen. Wenn er wollte, hätten alle Orokòr dieser Welt ausgespielt. Aber er hat ebenso wie sein Wald das Interesse an den Menschen, den Orokòr und sogar an den Achajern verloren."
„Wir müssen diesen seltsamen ROM für uns gewinnen“, sagte Marc rasch und eifrig.
„Wenn das nur so einfach wäre! Er zeigt sich keinen Zweibeinern, und wenn er neben dir stünde, so würdest du ihn nicht bemerken."
„Dann ist dieser ROM also eiskalt und gefühllos?"
„Still! Sage so etwas nie wieder“, Akandra war erschrocken.
„Aber mein Urteil ist doch nicht falsch, wenn er all dem Leid auf der Welt zusieht, obgleich er helfen könnte! Wenn er uns hier in diesem Wald umkommen lässt! Wenn er zulässt, dass das ganze Heimland vernichtet wird!"
„ROM ist sicher nicht gefühllos. Er ist uns nur so fremd. Er ist mit nichts vergleichbar, was wir kennen. Mein Vater sagte immer: ROM ist der ganz Andere."
Da dröhnte der Wald von einem tiefen, durchdringenden Lachen. Das Lachen wechselte ständig seine Richtung. Mal kam es von rechts, dann wieder von links und dann wieder von einer anderen Seite. Die Erits drehten sich verwirrt und verschreckt um sich selbst und versuchten, die Quelle dieses Lachens zu entdecken. Aber es war nichts zu sehen außer Bäumen, Sträuchern und ein paar Fliegenpilzen. Endlich, es war ihnen schon ganz schwindlig, tippte ihnen jemand von hinten auf die Schulter. Sie fuhren beide gleichzeitig herum, und da stand vor ihnen ein Mensch, nicht groß aber sehr stämmig. Auf dem Kopf trug er einen Schmuck aus Federn, um die Schultern hatte er einen blauen Mantel gelegt, und seine Füße steckten in alten Stiefeln. Das Gesicht war umrahmt von einem langen, braunen Bart und zerknittert von hundert Lachfalten.
„Wer bist du?" stammelte Marc.
„Ich bin der, von dem ihr die ganze Zeit geredet habt“, lachte die Gestalt. „Es ist wirklich interessant, was ihr über mich zu sagen wisst."
Weil Marc sich nicht mehr zurückhalten konnte, platzte er heraus: „Wenn du so mächtig bist, wie Akandra sagt, dann musst du uns helfen!"
„Euch helfen?" ROMs Stimme klang verwundert.
„Ja, das Heimland ist in Gefahr. Orokòr haben uns überfallen, und sie haben alle Erits in Waldmar bestialisch umgebracht. Und sogar den Hof von Bauer Sturm haben sie überfallen und alle getötet. Es muss sofort etwas geschehen, sonst sind alle Erits verloren."
„Ja“, sagte ROM ernst, „ich habe gesehen, was geschehen ist. Es war furchtbar. Ihr tut mir leid."
„Von deinem Mitleid haben wir nichts“, entgegnete Marc erbittert, „was wir brauchen, das ist Hilfe."
„Damit kann ich euch leider nicht dienen. Ich weiß nicht, wie ich euch helfen könnte. Doch nun lasst uns von etwas anderem reden. Der Tag ist so schön, und das Laub der Bäume so grün."
ROM lachte wieder, und sein Lachen übertönte sogar das Zwitschern in den Ästen.
„Mein Gott, bist du gefühllos“, sagte Marc erbittert. „Aber so kommst du mir nicht davon. Eine alte Weisheit sagt, wer nicht hilft, obgleich er könnte, macht sich genauso schuldig wie der Täter."
ROM lachte noch immer. „Das ist nicht nett, was du mir sagst. Ich weiß wirklich nicht, was ich für euch tun könnte. Ihr überschätzt mich! Meine Macht ist begrenzt. Ich habe überhaupt keine Macht, um die Welt zu verändern. Auf der Erde geschieht nämlich nichts, was nicht geschehen soll. Selbst wenn ein Schmetterling stirbt, so gehört dies zum großen Plan. Wie könnte ich da so vermessen sein und eingreifen wollen?"
„ROM, der Fatalist und sein Wald“, warf Marc spöttisch ein. „Leider haben wir Erits keinen Wald, in dem wir uns verkriechen können."
„Weil ihr euren Wald verbraucht habt. Weil ihr jeden Wald, der euch auf Dauer schützen könnte, vernichtet. Weil ihr immer nur von dem augenblicklichen Nutzen ausgeht und nicht an die Zukunft denkt. Wenn dann die Not groß ist, lamentiert ihr und fordert von den Leuten, die sich ihren Wald bewahrt haben, Hilfe.
Nein, ich bin kein Fatalist. Aber ich verstehe mehr von dieser Welt als du, denn ich habe mehr gesehen und erlebt, als du dir vorstellen kannst. Du kannst mir glauben, ich war vor langer Zeit ebenso töricht wie du. Ich wollte die Welt verändern und gestalten. Aber ich habe bald eingesehen, dass dies eitle Versuche waren, weil der große Plan dennoch seinen Lauf nahm."
„Dass man etwas tut, statt nichts zu tun, das ist nicht Eitelkeit, heißt es in einem alten Gedicht. Sicher, wir sind dumm, wir sind sterblich, wir sind schwach. Aber wir tun wenigstens etwas gegen das Böse in der Welt, gegen die Gemeinheiten. Auch wenn es vergeblich ist, und wir in diesem Kampf immer verlieren werden. Doch unser fruchtloses Mühen ist auf jeden Fall besser als dein albernes Lachen. Ich kann deine Ausflüchte nicht mehr hören."
„Marc sei still! So kannst du nicht mit Meister ROM reden!" mischte sich Akandra ein. Und zu ROM gewandt: "Bitte nehmt es ihm nicht übel. Er weiß nicht was er sagt. Er meint es nicht so. Er ist nur sehr verzweifelt."
„Ich weiß genau, was ich sage." In Marcs Stimme lag Trotz.
ROM lachte noch immer. „Ich nehme es ihm nicht übel. Dein Freund gefällt mir. Es macht Spaß mit ihm zu streiten." Dann wandte er sich wieder an den jungen Erit. „Nehmen wir an, СКАЧАТЬ