Gelbfieber. Thomas Ross
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gelbfieber - Thomas Ross страница 9

Название: Gelbfieber

Автор: Thomas Ross

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742722485

isbn:

СКАЧАТЬ sollte Radsportfans noch auf Jahre feuchte Träume bereiten. Mit pfeilschnellem Tritt wuchtete er sein Sportgerät den Berg hinauf, hinein in die Spitzkehren, aus denen er sich herauskatapultierte und an den steilsten Stellen weiter beschleunigte, wo alle anderen Federn lassen mussten. Er erreichte das Ziel mit 75 Sekunden Vorsprung vor Ben, der nach einer sehr guten Leistung erneut Zweiter wurde. Zweiter, Zweiter, immer nur Zweiter! Es war erschütternd, denn Ben hatte sich völlig verausgabt, ja geradezu entäußert. Der Mannschaft blieb nichts anderes übrig, als die Überlegenheit des Gegners anzuerkennen. Die Götterdämmerung hatte endgültig eingesetzt, das Requiem für den Altmeister war angestimmt. Dabei war Ben kein Vorwurf zu machen. Sein Tritt war rund und flüssig und kraftvoll, wie immer war er im Sattel geblieben, und wäre da nicht Mulligan gewesen, man hätte der Kraft dieses Jungen einen Schrein gewidmet. Im Ziel blieb Ben nichts übrig, als mit unbeholfenen Worten seine Niederlage zu kommentieren, eine Niederlage, die unerklärlich war. Unerklärlich wie die Bitterkeit, die er mit vielen Zuschauern teilte. Woher aber kam die Bitterkeit, was war ihre Quelle? Trauer, Niedergeschlagenheit, Scham? Das alles trifft es nur zum Teil. Im Teamwagen und abends im Hotel war Schweigen, und das allzu offenkundige Fehlen von Auflehnung, die uns am Leben erhält, damit aus Hoffnung Zuversicht entsteht, ergriff als Offenbarungseid einer tiefen Hilflosigkeit das gesamte Team. Waitz und Liebermann waren wie gelähmt. Fassungslos starrten sie auf die Leistungsanalyse Mulligans, die kurz nach dem Abendessen hereingekommen war. Im letzten Drittel des Anstiegs hatte er durchschnittlich 485 Watt getreten, eine geradezu übermenschliche Leistung. Den Fahrern verging die Lust am Weiteressen, die Ärzte spielten mit nervösen Fingern an ihren Stiften, dann steckten sie die Köpfe zusammen, palaverten im Kriegsrat. Man räusperte und kratzte sich, brummte und raunte und ergab sich schließlich, in offener Bewunderung und Ergebenheit für den neuen Meister.

      Ben zog sich unterdessen auf sein Zimmer zurück. Die Massage erfolgte in aller Stille, nach Reden war keinem zumute. Nachdem der Masseur gegangen war, knipste Ben das Licht aus und sank binnen Sekunden in die Tiefen eines traumlos weltverlorenen Märchenschlafs, der, wäre es nur möglich gewesen, hundert Jahre hätte anhalten dürfen.

      „Der irische Hammer schlägt zu“, „Mulligan demütigt Abraham!“, „Veni, Vidi, Mulligan“, „Mulligan entreißt Abraham die Krone des Radsports“. So titelten die Gazetten an diesem neunzehnten Juli 2012. Sie schrieben, dass Mulligan sich von in kurzen, harten Antritten von Abraham, Pellegrini und Carlos gelöst hatte, und von breiten Lücken zwischen ihm und den Verfolgern. Sie schrieben darüber, wie Mulligan sich umgedreht, den leidenden Abraham angesehen hatte. Von lässiger Überlegenheit im Blick des Iren war zu lesen, und davon, dass Abraham fröstelte unter seinem eisigen Hauch.

      Abends noch rasten Bens Gedanken. Wie konnten sie wissen, ob ihn fröstelte, ob ihm heiß war oder kalt im Anblick Mulligans, wie konnten sie auch nur ansatzweise ermessen, wie er sich fühlte? In einem wütenden Impuls griff er nach der Nachttischlampe, er war wie ein Tier, das von einem Jäger gehetzt und in äußerste Not gekommen war. Vom Krach der zerschellenden Lampe beunruhigt, eilten zwei Mannschaftskollegen herbei, die, wie sie später berichteten, Abraham in einem grauenhaften Zustand vorfanden, das Gesicht verwelkt wie das eines sterbenden Alten. Den ratlosen Männern blieb nur der Rückzug, in diesem Zustand war dem Jungen nicht beizukommen.

      Langsam beruhigte sich Ben, seine Gedanken ordneten sich. Wo waren die Ärzte? Noch war es nicht zu spät, noch war die Tour nicht verloren. Zwei, drei Gelegenheiten zur Revanche blieben noch, und die wollte er nutzen, koste es, was es wolle. Ben wollte in Gelb nach Paris, und er wollte es mehr als alles in der Welt, und wenn er seine Seele dafür opferte, das Gelbe Trikot war es wert und viel mehr noch als das.

      Mit Hilfe von Dr. Maler, einem jungen Assistenzarzt aus Nürnberg, verschaffte Ben sich Zutritt zu dem Zimmer, in dem die Medikamente lagerten. Ben hatte ihm mit Entlassung gedroht, falls Maler ihm nicht helfen wolle; er war sich für keine Erpressung zu schade. Als dies nicht half, bot er fünftausend Euro. Daraufhin stimmte Maler zu, er stand Schmiere, während Ben sich an dem Kühlschrank, der mit einem Metallschloss versehen war, zu schaffen machte. Endlich gab das Schloss nach, Ben wurde fündig und beide schlichen verstohlen auf ihre Zimmer zurück.

      Ben klebte sich Testosteronpflaster auf die Hoden. Die Hose hing ihm noch über die Knie, als es an der Zimmertür klopfte. Er erschrak, doch schon stand der Eindringling im Raum. Wortloses Staunen, dann ungläubige Blicke, die durch das Zimmer flogen.

      Der Sturm brach los: „Was machst du da, um Gottes willen, was machst du denn da?“, rief der Teamchef entgeistert, und dann ging er auf den armen Jungen los, der, hilflos wie ein Kind der väterlichen Wut auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, sich die Hose bis zu den Füßen herunterziehen ließ.

      Ben war mehr tot als lebendig. Waitz riss die Pflaster ab, schleuderte sie schäumend in den Mülleimer. „Wie lange hast du das schon auf den Eiern, du Idiot? Hast du auch nur den Schimmer einer Ahnung, wie schnell du auffliegst, wenn du das drauflässt? Die kriegen dich am selben Tag noch, du ... ich kann es nicht glauben! Wie dumm, um alles in der Welt ...“ Hier versiegten dem Teamchef die Worte.

      Ben versuchte Rechtfertigung: Er öffnete den Mund, heraus kam unverständliches Gestammel.

      „Halt die Klappe, halt bloß die Klappe!“, schrie Waitz. „Wie lange war das Pflaster drauf, sagʼs mir!“

      Ben sagte, fünf Minuten vielleicht, er habe es eben erst draufgetan.

      „Dann wollen wir bloß hoffen, dass das nicht schon zu lange war! Ich hole jetzt Liebermann und du rührst dich nicht von der Stelle, hast du verstanden!“

      Dr. Liebermann war sofort zur Stelle. Fünf Minuten; die Wahrscheinlichkeit, dass das Testosteron in hohen Mengen in den Blutkreislauf gelangt war, war nicht sehr hoch. Dies war die Essenz eines langen, fachlich überladenen Vortrags, der seiner Aussage zum Trotz äußerst beunruhigend wirkte. Waitz traute Ärzten nicht, am wenigsten denen, die sich weigerten, Position zu beziehen. Seine Laune verschlechterte sich weiter. Er fasste den Beschluss, spazieren zu gehen. Spaziergänge gehörten zu den seltenen Auszeiten, die Waitz sich genehmigte. Andernfalls war es unmöglich, diesen Job, wo man stets mit einem Bein im Gefängnis war, durchzuhalten. Ben folgte Waitzʼ Anweisung und blieb im Zimmer. Sein Kopf war leer, aber von Reinigung, von Entspannung keine Spur, in seinem Innern regierte die Betretenheit eines Kindes, das in flagranti an Vaters Geldbörse ertappt worden war.

      Am folgenden Tag schrieb Ben sich in die Starterliste ein. Der Ausgang des Rennens war heute völlig unerheblich. Bis zum nächsten Dopingtest war alles unerheblich. Das Rennen nahm seinen Lauf, Ben wurde an diesem Tag nicht getestet. Aber die Tatsache, dass er dieses Mal nicht aufgerufen wurde, war furchtbar. Bens Teamkollegen bemerkten sofort, dass etwas nicht stimmte, und sie spürten, dass Bens Unruhe nicht allein auf die Niederlagen zurückzuführen war. Fragen wollte dennoch niemand, man betrachtete das als Bens Privatsache. Am folgenden Tag gab es eine Flachetappe, ein Tag für die Sprinter. Diesmal klappte es auch für Bolte nicht, den Topsprinter von Team Germatel, was keinen zu rühren schien. Ergebnisse waren plötzlich bedeutungslos geworden. Ben wurde zum Dopingtest gerufen und – Gott sei Dank – der Test fiel negativ aus.

      Gegen acht Uhr abends erhielt Ben einen Anruf aus Deutschland. Seine Mutter wünschte ihm viel Glück. „Das packst du schon, Junge“, sagte sie, und: „ich glaube an dich, ich weiß doch, dass du der Beste bist!“. Ben lächelte bitter. Ein Glück, dass die Mutter ihn nicht sehen konnte. „Danke, Mama, ich weiß das wirklich zu schätzen, Mama.“ Dann legten sie auf und sie wusch ihre Schwimmsachen, er zappte sich durchs Fernsehprogramm. Wäre diese Tour doch nur schon zu Ende, dachte Ben, ach wäre sie doch nur schon zu Ende.

      Aber die Tour ging weiter. Sie führte СКАЧАТЬ