Gelbfieber. Thomas Ross
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Название: Gelbfieber

Автор: Thomas Ross

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742722485

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СКАЧАТЬ gebändigt, in rechte Bahnen gelenkt werden. Die Eltern als Feuerwehr im Kampf gegen die Ausbreitung eines Flächenbrands. Gute Noten gegen eine Anmeldung im Radsportclub, so lautete der Vertrag, der dieser Tage zwischen Eltern und Sohn geschlossen wurde. Eingehalten wurde er indes nicht lange, wobei es bis heute unmöglich bleibt zu bestimmen, wann und auf welche Weise die Vereinbarung gebrochen wurde. Sicher ist indes, dass nun eine dritte Partei auf den Plan trat. Und diese sollte alles entscheiden.

      Den ersten Sieg errang Ben, neunjährig, unter lauter Elf- und Zwölfjährigen, es waren fünfmal drei Kilometer mit dreihundert Metern Steigung nach jeweils tausend Metern zu bewältigen. An der letzten Steigung hatte der Junge die Älteren abgehängt, die letzten Kilometer legte er im Stil eines Zeitfahrers zurück. Vater und Mutter standen jubelnd am Zielstrich, verflogen waren Skepsis und Unwille, vergessen der Streit und die Tränen. Zwei Jugendtrainer wollten weinen vor Freude, als sie den Jungen ins Ziel jagen sahen. Wer war dieser Kerl mit dem flüssigen, runden Tritt, der offenbar auch sprinten konnte und noch dazu in vorbildlicher Rennfahrerhaltung auf einem zweitklassigen Rad saß? Man fragte nach dem Namen des Kollegen, der diesen Jungen betreute; denn dies war zweifelsohne das Werk eines Profis. Aber wie es dem Burschen gelang, sich in höchster Konzentration bedingungslos entschlossen dem Ziel entgegenzuwerfen, war ihnen völlig schleierhaft. So etwas konnte man nicht trainieren. Und so wussten sie, dass sie Zeugen von etwas ganz Besonderem geworden waren: von der Manifestation des reinen Willens, eines starken, alles beherrschenden, schopenhauerschen Willens.

      Ganze Trainerdynastien wurden von nun an zu Dauergästen im Hause Abraham. Der Tag bekam ein eisernes Korsett, morgens Schule, Hausaufgaben, dann Radfahren, zum Schluss Krafttraining und Regeneration. Ein konsequenter und behutsamer, gut durchdachter Aufbau – dies war die Devise, an die man glaubte wie an die Heilige Römische Kirche. Ben war ungeduldig, aber fügsam, und vor allem fleißig. Er verlor nur ganz selten, und wenn es doch geschah, dann unter Zornestränen; aber Ben stand wieder auf, biss auf die Zähne, er stemmte Gewichte, quälte Ergometer, nahm Vitamine ein (es hieß, das sei gut für ihn), trug Salben und Cremes auf, wenn das Gesäß einmal wund wurde oder ein Zeh sich abgerieben hatte und – siegte weiter. Seine Leistungsdaten waren außergewöhnlich. Der Ruhepuls war niedrig wie der eines großen Tieres, bald würde er unter fünfundvierzig Schläge pro Minute sinken. Bluttests ergaben konstant hohe Hämoglobin- und Erythrozytenwerte, alle über dem Grenzwert, was für Diskussionsstoff unter Experten sorgte und nicht selten zu offenem Argwohn Anlass gab.

      Warum er so häufig Blut abgeben müsse, hatte Ben einmal gefragt, als er mit fünfzehn erstmals bei nationalen Meisterschaften antreten sollte. Routine, alles nur Routine, lautete die Antwort, und zum Teil stimmte das ja auch. Das Blut wurde auf verbotene Substanzen untersucht, über die Details ließ man Ben im Unklaren. Es verstrichen Monate intensiven Testens und Beobachtens, bis man zu dem Schluss kam, dass hier tatsächlich eine genetische Disposition für erhöhte Hämoglobinwerte vorlag. Bei der Präsentation von Bens Ergebnissen vor Trainern und Sportfunktionären des Radsport-Landesverbandes sah man viel Kopfschütteln und hörte ungläubiges Raunen. Fragen über Fragen prasselten auf den Referenten ein, doch an der Analyse gab es nichts zu rütteln. Ben war ein Jahrhunderttalent, ein sportliches Juwel, Offenbarung und Verpflichtung zugleich für jeden Radsportmenschen. Binnen kürzester Zeit war jeder ob der zukünftigen Größe des Jungstars berauscht und freudetrunken bis zur Rührseligkeit. Der 25. November 2003 war ein Tag für die Geschichtsbücher. Aber Ben wusste von alledem noch nichts.

      Drei Jahre später gewann Ben, neunzehnjährig, die Straßenweltmeisterschaft und den Gesamtweltcup der Amateure. Er erhielt seinen ersten Profivertrag. Es folgten ein zweiter Platz bei der deutschen Meisterschaft im Zeitfahren und weitere Auftritte auf internationaler Bühne. Seine Leistungsdaten prädestinierten ihn für längere Rundfahrten, aber auch Eintagesrennen, bei denen er mit guten Sprintern mithalten konnte. Bei den Zeitfahrweltmeisterschaften belegte er den dritten Platz hinter Juan Antonio Gonzales und Guido Bellini, die zu den weltweit stärksten Zeitfahrern zählten, und sicherte sich damit Anerkennung weit über Deutschlands Grenzen hinaus.

      Bei seinem Debüt bei der Tour de France im Jahr 2007 wurde er auf Anhieb bester Jungprofi. Insgesamt erreichte er Rang zehn mit dreizehn Minuten Rückstand auf den Gesamtsieger und sechs Minuten auf seinen Teamkollegen Lasse Mickelgren, der Vierter wurde und in Bens Team auf Position Eins fuhr. Es kam die Zeit der großen Fernsehauftritte; Ben war in den Augen der Öffentlichkeit endgültig zum Hoffnungsträger für den Gewinn großer Rundfahrten aufgestiegen. Ob die plötzliche Popularität seine Einstellung zum Sport veränderte, seine Lebensführung abseits der Berge und steilen Abfahrten beeinflusste? Es lässt sich kaum sagen, denn Ben war kein Mensch fürs Rampenlicht. Nachdem die ersten euphorischen Hymnen verklungen waren, gab er sich stets scheu und wortkarg. Es war offensichtlich, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Dabei beantwortete er die vielen Fragen ebenso brav wie inhaltsleer, was sollte man von einem Zwanzigjährigen auch anderes erwarten? Was soll man auch sagen, wenn einer zum zigsten Male wissen will, warum es heute, nach vier Stunden Tortur im Wind, auf den letzten Kilometern nicht „gereicht“ hat? Na, da war der Akku eben leer, die anderen hatten am Schluss halt mehr drauf. Wie immer folgte die Frage nach der Teamtaktik.

      Auch dazu fiel Ben nichts Aufregendes ein. Er tat einfach, was ihm gesagt wurde. Er fuhr nach Plan, aber er machte den Plan nicht, das war nicht seine Aufgabe. Es galt, auf die Beine von Lasse Mickelgren zu achten und die Sprints für Arne Paulsen anzuziehen. Im Übrigen tat er dies so gut wie niemand sonst.

      2008 gewann Ben zwei Etappen bei der Tour de France, darunter ein langes Zeitfahren. Er wurde Zweiter der Gesamtwertung, hinter Mickelgren. Das beste Ergebnis eines Deutschen in der Geschichte der Tour. Eine Sensation, die Begeisterung war grenzenlos. Es war perfekt, oder sagen wir, fast perfekt: Ein letztes Wölkchen trübte den Himmel über der deutschen Sportseele: der Gesamtsieg. Der fehlte eben noch.

      An den Stammtischen und im Kreise der Sportjournalisten erregten die Fähigkeiten unseres Jungen, der quasi über Nacht zum Adoptivsohn eines ganzen Landes aufgestiegen war, die Gemüter. Was war das doch für ein Teufelsbraten: zieht seinen Boss über die höchsten Berge und gewinnt das schwere Zeitfahren trotzdem. Der Rückstand auf Mickelgren betrug am Ende gerade einmal hundert Sekunden. Ein Windhauch war das, noch Wochen nach dem Ereignis wehte er süß durch die deutschen Gassen, er wehte auch dann noch, als der Dritte der Tour, ein Italiener aus den Abruzzen, bei der Vuelta wegen Dopingverdachts aus dem Rennen genommen wurde. Man hatte überhöhte Testosteronwerte festgestellt, worauf eine zweijährige Wettkampfsperre drohte. Auf diesen Vorfall angesprochen erwiderte Ben, dass er mit Doping nichts zu tun habe, dass er Sportbetrug schäbig und unfair fände, und sprach dem Volke damit aus der Seele. Für die Öffentlichkeit war die Sache erledigt.

      Tatsächlich hat es sich aber ganz anders zugetragen. Ein Rückblick.

      Sachgerecht durchgeführtes Blutdoping führt zu einem Leistungszuwachs von mindestens fünf Prozent. Auf einer Strecke von 3.500 Kilometern (das entspricht in etwa der Länge der Tour de France) wird ein gedopter Fahrer gegenüber einem nicht gedopten einen Vorsprung von 175 Kilometern herausfahren, also fast eine Etappenlänge. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 39 km/h macht dies über alle Etappen gerechnet einen Vorteil von knapp viereinhalb Stunden. All dies bei sehr konservativer Schätzung.

      Als man Ben die Einnahme leistungsfördernder Mittel zum ersten Mal antrug, wusste er über die Details nicht Bescheid. Er musste sie auch nicht wissen, denn das Gefühl, das die Unausweichlichkeit einer Niederlage gegen jene, die nachhalfen, in ihm hervorrief, wirkte jenseits von Fakten. Ben spürte, dass sein Verzicht auf leistungsfördernde Mittel in eine Kette von Niederlagen münden würde; er hatte es am eigenen Leibe erfahren. Er, der einst so viele Rennen mit fliegenden Fahnen gewonnen hatte, er, der Mann mit dem phänomenalen СКАЧАТЬ