Gelbfieber. Thomas Ross
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Название: Gelbfieber

Автор: Thomas Ross

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742722485

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СКАЧАТЬ der Anstiege und legte großen Wert auf den Zustand seiner Zeitfahrmaschine. Unterdessen interessierten sich Fahrer und Mannschaftsleitung brennend für die Hintergründe der enormen Leistung Mulligans während der Tour. Vor zwei, drei Jahren hatte ihn noch niemand so recht auf dem Schirm gehabt. Mulligan war kein Jungstar gewesen wie Ben, der früh Erfolge einfuhr und sie dann kontinuierlich ausbaute. Verglich man die Leistungsentwicklung der beiden Männer, konnte man bei Ben einen prototypisch logarithmischen Verlauf erkennen, bei Mulligan aber deutliche Schwankungen und einen späten Leistungssprung. Die Teamleitung verbrachte ganze Nächte mit dem Studium der Daten, denn es war klar, dass man über Mulligan einfach zu wenig wusste. Wie in Gottes Namen hatte er es angestellt? Alle Dopingtests waren negativ, es gab nicht ein einziges Verdachtsmoment. Mulligan hatte keine Fehler gemacht, diese Amerikaner waren gerissen. Aber es wollte niemand glauben, dass neben den üblichen Mitteln keine neuen Substanzen verwendet wurden. Glukokortikoide, Testosteron, Epo, Wachstumshormone, das war ja alles bekannt, und die amerikanischen Labors konnten es auch nicht besser als die europäischen. Man hatte alle verfügbaren Fotos und Filmaufnahmen von Mulligan gesichtet, datiert und eingehend analysiert, aber man fand keinen Hinweis auf Manipulationen. Mulligan war durchtrainiert, aber das galt auch für viele andere. Fett- und Wassereinlagerungen, Hautpigmentierung, Form und Größe der Brustwarzen, Augenfarbe, die Entwicklung des Knochengerüsts, kurz, alle Merkmale, die auf Testosteron- oder Glukokortikoidmissbrauch hinweisen, waren unauffällig.

      Es blieb die Möglichkeit, dass die Amerikaner einen neuen, effizienteren, auf die individuellen Bedürfnisse der Fahrer optimal abgestimmten Applikationsplan entwickelt hatten. Es hieß, die Amerikaner hätten ein extremes Trainingspensum; wenn es ihnen gelungen war, durch Anpassung der zeitlichen Parameter die Medikamentenwirkung zu optimieren, konnte sich das positiv auf die Belastbarkeit durch Trainingsreize auswirken. Aber noch war das Spekulation, zu wenig greifbar für einen Mann wie Waitz, der eindeutige Fakten liebte.

      Waitz konzentrierte sich auf die Beschaffung weiterführender Informationen über die Konkurrenzteams, die, wie man während der Tour sehen konnte, alle kleine Fortschritte gemacht hatten. Vor allem aber musste er mehr über Mulligans Mannschaft US FedEx in Erfahrung bringen. Waitz hatte bereits vor Jahren ein Netz von Helfern auf allen Kooperationsebenen geknüpft. Dazu zählten auch Journalisten, die gegen finanzielle Zuwendungen Informationen aus den gegnerischen Lagern liefern sollten. Ideal war es, wenn es einem Spion gelang, in die Unterkünfte der Konkurrenz vorzudringen. Natürlich waren die Privaträume der Fahrer für Journalisten tabu, aber das eine oder andere verdeckt aufgenommene Foto von Küche und Flur, Garten und Abfalltonne konnte wertvolle Hinweise über die Arbeitsweise der Rivalen erbringen. Es ist schwer, eine komplexe Ordnung dauerhaft auf hohem Niveau zu organisieren, und so wird es nicht ausbleiben, dass irgendwelche Gegenstände, die Rückschlüsse zulassen könnten, leere Medikamentenschachteln etwa, Blutbeutel oder Injektionskanülen, früher oder später einmal offen liegen bleiben.

      Außer Journalisten wurden Putzfrauen angeworben, gelegentlich auch professionelle Fotografen und Privatdetektive, die auf die Privathäuser der Topfahrer und deren Familien angesetzt wurden. Neuerdings hatte Waitz sich mit einem Computerspezialisten zusammengetan, der gute Kontakte zur internationalen Hackerszene pflegte. Diese Strategie war neu und vielversprechend; ein Trojaner an geeigneter Stelle im gegnerischen Feld konnte Wunder wirken. Manchmal engagierte Waitz sogar Kinder, die er während der Wettbewerbe in der Nähe von gegnerischen Mannschaftsautos spielen ließ. Ihre Aufgabe war es, irgendeinen Gegenstand – einen Ball, einen Flugdrachen oder ein Spielzeugflugzeug – in dem Augenblick, wenn die Tür oder ein Fenster sich öffnete, in die hierbei entstehende Öffnung zu lenken. Die in der Folge entstehende Unruhe konnte dann von einem hochwertig ausgerüsteten und intelligent postierten Fotografen zur Anfertigung von Innenaufnahmen genutzt werden, die – im wahrsten Sinne des Wortes – zu neuen Einsichten führen würden.

      Die Zeitfahrweltmeisterschaften waren ein ideales Forum für neue Einsichten. Machen wirʼs kurz: Ben, der bis dato im fünften Jahr konkurrenzlose König des Zeitfahrens, wurde entthront, und dies in einer Art und Weise, die sich am ehesten mit den politischen Gepflogenheiten der frühen Neuzeit vergleichen lässt. Am Start ließ Mulligan sie aufziehen, auf halber Strecke gab er Zeichen, die Guillotine zu lösen. Bens Kopf trennte sich sauber von Hals und Rumpf und schlug am Zielstrich so hart auf, dass der kampferprobten Zuschauermenge ein Aufschrei des Entsetzens entfuhr. Eine Minute dreißig Rückstand auf Mulligan, es war ein Desaster und eine Offenbarung zugleich.

      Im Winter stellte Ben die Ernährung um. Der Trainingsplan wurde modifiziert, die Medikation auf die neuen Anforderungen abgestimmt. Man beabsichtigte, an Bens Infektanfälligkeit zu arbeiten, einem alten Übel, das bislang nicht in den Griff zu bekommen war. Mulligan hingegen wurde auffällig selten krank, und wenn es doch einmal passierte, vergingen keine drei Tage, bis der Meister wieder seine Runden drehte, freundlich in die Kameras lächelnd. Alles in allem hatte Ben gegenüber Mulligan mehrere Wochen an Vorbereitungszeit verloren, aber das sollte sich nun ändern.

      Ben war in diesem Frühjahr sichtlich früher in Form gekommen als in den vergangenen Jahren. Die Leistungsdaten waren im März bereits so gut wie sonst um Mitte Mai. Die ganze Mannschaft freute sich darüber und selbst Waitz setzte ein wohlwollendes Gesicht auf, ein Vorkommnis mit Seltenheitswert seit dem Vorfall in der Nacht nach Bens Niederlage am Tourmalet.

      Der Mannschaftsarzt riet zur Vorsicht, man dürfe nicht überreizen und müsse das Erreichte nun konservieren. Die Angst vor der Frühform war unter den Fahrern weit verbreitet. Man fürchtete den frühen Vogel, der den Wurm dann doch nicht fing und am Ende im Rachen der Katze landete.

      Der Schlachtplan sah vor, dass sich die beiden Kontrahenten möglichst lange aus dem Weg gingen. Zur Vorbereitung der Tour fuhr Mulligan die Dauphinée, Ben meldete beim Giro dʼItalia und bei der Tour de Suisse. Mulligan wurde Dritter bei der Dauphinée mit drei Minuten Rückstand, Ben stieg nach einem starken Zeitfahren und zwei guten Bergen aus dem Giro aus. Das letzte Ausrufezeichen setzte Ben mit seinem Sieg bei der Tour de Suisse. Ein bärenstarkes Zeitfahren und ein guter Berg hatten den Ausschlag gegeben. Jetzt konnte es losgehen.

      Eine Woche vor Beginn der Tour brachte Ben eine dreiviertel Stunde lang 6,7 Watt pro Kilogramm Körpergewicht auf die Pedale. (Zur Klärung: Bezogen auf eine halbe Stunde leisten Hobbysportler durchschnittlich 2,5 bis 3,5 Watt pro kg Körpergewicht, gute Amateurfahrer schaffen um fünf, Profis sechs Watt. Werte um 6,5 Watt und darüber hinaus sind auch für Profis außerordentlich hoch. Auf Bens Körpergewicht von siebzig Kilogramm gerechnet ergaben sich 470 Watt.) Angesichts der guten Leistungsdaten ging das Problem der anhaltenden Informationsflaute aus dem gegnerischen Lager, die trotz intensivster Spionagetätigkeit nicht enden wollte, in der allgemeinen Euphorie unter, vor der die Vorsichtigen im Team zwar mahnend den Finger hoben, ihr im Grunde aber ebenso erlagen wie alle anderen. Es war an der Zeit, den König wieder auf Thron zu setzen. Das sah man im Volk so und im Team war es nicht anders.

      Die gute Stimmung sollte noch eine ganze Weile anhalten, denn das Rennen begann ausgesprochen gut. Drei Etappensiege noch vor den großen Bergen, das konnte sich sehen lassen. Ben hatte beim Anziehen der Sprints mitgeholfen, und es stand außer Zweifel, dass seine Selbstlosigkeit einer ausgezeichneten Form zuzurechnen war. Weder Mulligan noch Pellegrini oder Carlos waren bis dahin sonderlich in Erscheinung getreten. Auch sie hatten ihre Sprinter fahren lassen, es siegten andere, die Unauffälligkeit der Stars nahm man für ein gutes Omen.

      Irgendwann begann die Tour langweilig zu werden. Niemand wollte sich eine Blöße geben. Schließlich gewannen Leute, die dem Papier nach nicht hätten gewinnen dürfen, und alle fieberten dem Augenblick entgegen, wenn es endlich losgehen würde und die Favoriten zeigten, was sie wirklich draufhatten.

      Mont Ventoux, 17 Kilometer, 1600 Höhenmeter. Einer der berühmtesten Anstiege der Welt. Was waren an diesem Berg nicht für Schlachten geschlagen worden! Hier wurden Könige gemacht. Diesmal fand das Rennen an einem achtzehnten СКАЧАТЬ