Zahltag. Irene Dorfner
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Название: Zahltag

Автор: Irene Dorfner

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Leo Schwartz

isbn: 9783742795328

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СКАЧАТЬ war viel Zeit vergangen und Andreas hatte keine Zukunftsperspektive mehr. Er war mit den Nerven am Ende und hatte längst resigniert. Sein Anwalt Dr. Siegbert hatte die Einspruchsfrist verpasst, obwohl Andreas regelmäßig in der Kanzlei war, um Druck zu machen. Der Anwalt hatte ihn ruiniert! Seine Firma musste zum Ende des Jahres schließen, wofür er nicht nur dem Anwalt, der Unfallverursacherin, sondern auch unvorsichtigen Verkehrsteilnehmern die Schuld gab. Solange er noch nicht wusste, wie er sich am Anwalt und der Unfallverursacherin rächen konnte, nutzte er die Zeit, alle Verkehrsteilnehmer zu erziehen. Er musste sie dazu bringen, vorsichtiger zu fahren. Und das tat er seit Wochen, indem er harmlose Gegenstände von Brücken warf. Er wollte keine Unschuldigen treffen, sondern lediglich mahnen, mehr nicht. Anfangs war er euphorisch gewesen, doch es tat sich nichts. Die Fahrzeuge fuhren keinen Deut vorsichtiger. Vor allem wurde ihm die gewünschte Aufmerksamkeit versagt. Warum berichteten die Medien nicht über seine Aktion? Interessierte das niemanden? Aber heute Nacht hatte sich das geändert. Jemand ahmte ihn nach und hatte einen schrecklichen Unfall verursacht. Der andere hatte sogar ein Menschenleben auf dem Gewissen. War das Absicht gewesen? Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er selbst hätte niemals ein Menschenleben riskiert. Warum sollte er? Er wollte mahnen und nicht morden.

      Er legte sich auf die Couch und trank ein Bier. Die Rache am Anwalt und der Unfallgegnerin musste warten. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um an der Brückenaktion dranzubleiben. Er hatte jetzt die Chance, dass sich endlich etwas ändern könnte. Danach kam der Anwalt dran, der sich seit der Gerichtsverhandlung verleugnen ließ. Und danach würde die Unfallverursacherin daran glauben müssen. Noch brauchte er seinen Anwalt, ohne den er nicht an die persönlichen Daten der Frau kam. Bis heute hatte es Dr. Siegbert nicht für nötig erachtet, ihm Kopien der Unterlagen zukommen zu lassen. War das überhaupt zulässig? Durfte der Anwalt so mit ihm umgehen? Briefe an die Anwaltskammer blieben unbeantwortet. Auch Versuche, sich einen anderen Anwalt zu nehmen, schlugen fehl. Niemand wollte gegen einen Kollegen vorgehen. Diese verdammte Brut hielt zusammen!

      Andreas war wütend. Er nahm eine weitere Flasche Bier und leerte sie in einem Zug.

      Wer war der andere, der den nächtlichen Unfall mit dem Toten zu verantworten hatte?

      4.

      Andreas Hegel ging in seinem zugemüllten Wohnzimmer unruhig auf und ab. Es ließ ihm keine Ruhe, dass der Nachahmer erfolgreicher war als er. Wer war der andere? Er musste es herausfinden und fuhr erneut mit dem Rad zu der fraglichen Brücke, auf der er heute früh stand. Er bekam Gänsehaut, als er das Bild des Unglücks vor sich hatte. Heute früh wurde er durch die vielen Sirenen aufgeschreckt, er war längst wach. Wie jede Nacht schlief er schlecht. Sein Schicksal und die Schmerzen im Bein ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Als er die Sirenen hörte, spürte er sofort, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Er zog sich an, frühstückte nur ein Bier und fuhr sofort los. Er folgte nicht nur dem Lärm der Sirenen, sondern den vielen Schaulustigen, die wie er zum Unglücksort eilten. Dass es einen Toten gab, war in dem ganzen Trubel untergegangen.

      Jetzt stand er allein auf der Brücke und sah auf die B12. Die Spuren des Unfalls waren noch deutlich zu sehen. Von hier aus musste der andere die Pflastersteine geworfen haben, deren Reste immer noch aufgelesen und fotografiert wurden. Wie viele Fotos brauchte die Polizei denn noch? Von dort kam das Unfallfahrzeug. Wie konnte der andere den Wagen so genau treffen? Ihm war es mit den Kürbissen, Äpfeln und sonstigem Kleinobst noch nie gelungen, auch nur annähernd einen Wagen zu treffen. Waren seine Gegenstände für Brückenwürfe ungeeignet? Das musste es sein! Er musste sich dringend um schwerere Wurfgeschosse kümmern, damit seine Aktion nicht unterging. Keine gefährlichen. Er musste sich welche besorgen, die auch wahrgenommen wurden. Welche das sein sollten, wusste er noch nicht.

      Während er hier stand, trafen immer mehr Menschen ein, die sich ebenfalls den Unfallort ansehen wollten. Ekelhaft! Andreas widerten solche Menschen an, die sich am Unglück anderer labten. Er selbst war aus einem anderen Grund hier und zählte sich nicht zu diesen Trotteln. Er erhoffte sich Hinweise auf den Typen, der ihn kopierte. War es nicht so, dass jeder Täter zum Tatort zurückkehrte? Stundenlang stand er hier und unterhielt sich mit anderen, die ihn mehr und mehr langweilten. Alle heuchelten Betroffenheit, einige weinten sogar. Schwachsinnige Gefühlsduselei! Wo waren eigentlich diese Stümper von Bürgerwehr, über die man hier schon die ganze Zeit sprach? Andreas hatte vor einigen Wochen davon läuten hören, aber hatte noch keinen von ihnen persönlich gesehen. Heute schien keiner der Gruppe hier zu sein. Wenn, dann hätten sie sich dazu bekannt und mit ihrem Edelmut geprahlt. Ob es diese Bürgerwehr überhaupt gab? Andreas glaubte nicht daran, denn bisher konnte er unbehelligt seiner Arbeit nachgehen. Auf keiner der Brücken, von denen er je Gegenstände geworfen hatte, war er einer Menschenseele begegnet. Er war sicher, dass das nur Wichtigtuer waren, die sich profilieren wollten.

      Seit Andreas hier war, beobachtete er, dass die Fahrzeuge, die unter der Brücke durchfuhren, nicht langsamer fuhren. Konnte das wahr sein? Wie dumm musste man eigentlich sein? Er war sicher, dass er die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge mit bloßem Auge einschätzen konnte. Von den geschätzt fünfzig Fahrzeugen fuhr nicht ein einziger die vorgeschriebenen 60 km/h. Es waren sogar einige darunter, die deutlich über hundert fuhren, obwohl hier immer noch Polizeiwagen parkten, von denen einige das Blaulicht eingeschaltet hatten. Andreas kotzten diese rücksichtlosen Fahrer an und er entschied schließlich, wieder zu gehen. Er war in den letzten drei Nächten nicht unterwegs gewesen, dazu war es ihm zu kalt. Aus Respekt vor dem Toten würde er auch die kommende Nacht nichts unternehmen, schließlich wusste er, was sich gehörte.

      Erneut versuchte Andreas, mit seinem Anwalt zu sprechen. Die Frau am Empfang wimmelte ihn wie immer ab. Obwohl er jedes Mal einen fürchterlichen Aufstand machte, verscheuchte man ihn wie einen lästigen Bittsteller. Er war doch Klient dieser Kanzlei und hatte ein Recht darauf, seinen Anwalt zu sprechen! Enttäuscht und wütend stand er auf der Straße. Er fluchte laut, wobei es ihm gleichgültig war, dass Passanten den Kopf schüttelten und ihn verwundert ansahen. Er fuhr mit dem Rad zum Supermarkt und kaufte Bier und Schnaps. Mit dem Alkohol legte er sich zuhause vor den Fernseher. Im Wohnzimmer war es kalt, im ganzen Haus war es kalt. Im Hof lag genug Holz, aber das musste erst zu Brennholz verarbeitet werden und dazu hatte er keine Lust. Er nahm die Bettdecke und mummelte sich ein. Obwohl er versuchte, der Fernsehsendung zu folgen, hatte er die Bilder der rücksichtslosen Raser ständig vor Augen. Wie die Verrückten fuhren sie auf der Bundesstraße an der Unfallstelle vorbei, was ihn immer mehr verärgerte. Morgen Nacht würde er wieder auf Tour gehen, das stand für ihn fest. Ob er diesmal schwerere Gegenstände mitnehmen sollte? Noch hatte er Skrupel davor und hielt sich lieber an dem Altbewährten. Hinterm Haus lagen noch genug Äpfel, er brauchte sich nur bedienen. Und wo er die Zierkürbisse herbekam, wusste er.

      Auch in dieser Nacht schlief Andreas schlecht. Die Wirkung des Alkohols hielt leider nie lange an, auch wenn der den Pegel erhöhte. Wenn er wach wurde, hatte er die ganze Tragweite seines Schicksals vor Augen und ihn überkam Selbstmitleid. Er bejammerte sich und sein Leben und machte andere dafür verantwortlich. Das ging so lange, bis er sich schwor, sich an denen zu rächen, die ihm das angetan hatten. Erst dann hatte er die Chance, wieder einzuschlafen.

      Andreas Hegel lachte hysterisch, als er den heutigen Zeitungsartikel wieder und wieder las. Es wurde ausführlich über den tödlichen Unfall berichtet. Das Opfer war 21 Jahre alt. Ganz am Schluss stand ein Hinweis bezüglich seiner eigenen Aktionen. Nichts Genaues, nur vage Andeutungen. Konnte das wahr sein? Bekam er endlich die Aufmerksamkeit, die er verdiente? Es war nicht so, dass seine Aktionen unbeachtet blieben! Sie waren bekannt und darüber freute er sich wie ein kleines Kind. Die Empörung über sein Tun war groß und man verurteilte die Taten, ohne den Hintergrund dafür zu kennen. Typisch! Als ihm unrechtmäßig der Führerschein abgenommen wurde und man damit seine Existenz zerstörte, hatte das niemanden interessiert. Aber jetzt, wo er vermeintlich in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingriff und dadurch Angst und Schrecken verbreitete, regte sich jeder auf und verurteilte ihn. Warum? Er warf nur ungefährliche Gegenstände von Brücken, die auch bei einem direkten СКАЧАТЬ