Название: Graf Petöfy
Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754179338
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»Ja, der«, unterbrach eine Kleine, nach innenhin Verwachsene, von der Resi mit Vorliebe zu sagen pflegte, der liebe Gott hab ihr eine Stufe ins Kleid genäht. »Ja, der, der Feßler! Ein schöner Mann, dem könnt ich alles beichten. Und es übergruselt mich ordentlich, wenn ich bloß daran denke.«
»Du?« lachten alle. »Du? Was beichtest du denn?«
Als aber die Heiterkeit sich wieder gelegt hatte, sagte eine dritte: »Ja, der Feßler! Sage, Resi, du hörst ja das Gras drüben wachsen, wie kommt der nur ins Petöfysche Haus? Er ist ja doch ein Steirer, und drüben ist alles ungarisch.«
»Oh, nicht doch«, antwortete die Gefragte. »Nicht alles; nur halb. Auf der linken Seite, wo der Graf wohnt, da freilich ist alles ungarisch, aber auf der rechten, wo die Gräfin wohnt, ist alles deutsch. Und der Graf und die Gräfin sind auch immer im Krieg.«
»Aber sie sind doch Geschwister, oder sind sie nicht?«
»Gewiß sind sie. Graf Adam und Gräfin Judith und die Gräfin Eveline, die die schönste war und nun tot ist, die waren Geschwister. Und waren alle drei rabiat ungarisch und die beiden jungen Gräfinnen am meisten. Ich weiß es von dem alten Koloman Czagy, des Grafen Kammerdiener, der jetzt krank auf Schloß Arpa liegt, weil er die Gelbsucht hat, er soll ganz abgemagert sein und aussehen wie eine Zitrone. Ja, von dem weiß ich es. Als dann aber die Gräfin Judith den alten Gundolskirchen und die Gräfin Eveline den schönen Asperg heiratete, den Vater von dem jungen Grafen, da war es mit dem Rabiatischen und dem Ungrischen vorbei. ›Nix mehr Magyar.‹ Und beide wurden gut steirisch. Und von daher schreibt sich auch der Feßler.«
Pater Feßler, als dies Gespräch geführt wurde, saß bereits drüben in dem kleinen Salon der Gräfin, in dem mehrere Lampen brannten, aber alle mit einem durch Bilderschirme gedämpften Licht. Diese Lichtschirme waren eine Spezialität des Salons und spielten eine Rolle darin, insonderheit einer, der auf der einen Seite die Correggiosche Nacht und auf der andern die büßende Magdalena von Carlo Dolci zeigte. Alles machte den Eindruck von Behagen und Stille. Dicke Teppiche lagen ausgebreitet, und ein feiner Parfüm wie von Ambra war in der Luft. Er schien von einem Lämpchen zu kommen, das auf einem Ecktisch stand und mit einer kleinen blauen Flamme brannte. Darüber hing der Gundolskirchensche Lieblingsheilige, der heilige Florian.
Es schien, daß der Pater eben aufbrechen wollte. Die Gräfin hielt ihn aber zurück und sagte: »Nein, lieber Freund, Sie müssen noch bleiben und den Tee mit uns nehmen. Es liegt mir daran. Und doch andererseits...«
Er verbeugte sich, um seine Zustimmung auszudrücken.
»Und doch andererseits«, wiederholte die Gräfin, »bin ich in einiger Sorge vor Ihrer Kritik. Es entgeht Ihnen nichts, und ich fürchte, Sie werden allerlei sehen und hören müssen, was Sie, das mindeste zu sagen, nur wenig angenehm berühren kann. Denn um was wird es sich handeln? Um Rivalitäten und Theaterintrigen. Aber ich konnt es meinem Bruder, dem Grafen, nicht abschlagen und mocht auch nicht.«
Feßler schien hier unterbrechen zu wollen, aber die Gräfin fuhr fort: »Und dann ist sie Lutheranerin oder Kalvinistin, oder was weiß ich, und wird also sehr wahrscheinlich an der ewig wiederkehrenden protestantischen Ungezogenheit kranken, ihre ketzerischen Naivitäten in einem Tone vorzutragen, als ob ein Appell unmöglich sei.«
»Lassen wir sie, meine Gnädigste«, sagte der Pater. »Ich für meine Person habe nichts lieber als diesen Ton und vergnüge mich immer wieder, die verlorengegangenen oder doch in Abfall geratenen Kinder unserer Kirche von kirchlichen Dingen reden zu hören, von Dingen also, die sie nicht verstehen und doch auch wieder sehr gut verstehen. Es ist immer unterhaltlich und lehrreich. Und am unterhaltlichsten und lehrreichsten erscheinen mir allemal diese Preußen in ihrer rechthaberischen Ausgesprochenheit und ihrem ehrlichen Glauben an eine preußische Verheißung mit dem Alten Fritzen als Gott oder wenigstens als Nationalheiligen. Ich habe viel gegen sie zu sagen und nehme sie, wie sich von selbst versteht, als unsere geschworenen und allerechtesten Feinde, zugleich aber doch als solche, denen gegenüber mir das sonst so schwierige ›Liebet eure Feinde‹ nie sonderlich schwer geworden ist. Sie haben etwas Anregendes und überhaupt manches vor uns voraus. Und darunter sogar Großes.«
»Und das wäre?«
»Beispielsweise die Freiheit. Nicht die politische, die nicht viel, und auch nicht die soziale, die noch weniger bedeutet, aber die innerliche. Sie prüfen die Dinge, sind kritisch und leben selbständig aus sich heraus. Und das ist ein Heilsweg; ja, lassen Sie mich hinzusetzen: unter richtiger Voraussetzung der einzige Weg, der zum Heile führt.«
Die Gräfin sah ihn verwundert an, Feßler aber fuhr fort: »Sie sind überrascht, gnädigste Gräfin, und doch bin ich Ihrer schließlichen Zustimmung sicher. Es gibt eine höchste Lebensform, und diese höchste Lebensform heißt: ›in Freiheit zu dienen‹. Das Dienen aus bloßem Zwang heraus ist tot, und erst aus einem selbstgewollten, weil als unerläßlich erkannten Verzicht auf die Freiheit erblüht uns der echte, welterlösende Glauben. Aber um auf die Freiheit verzichten zu können, dazu muß man sie vorher haben. Sie haben ist das Erste, sich ihrer begeben das Zweite. Den ersten Schritt hat der Protestantismus getan. Vermag er auch den zweiten Schritt zu tun, den Schritt zu Rückkehr und freiwilliger Unterordnung unter das Gesetz, so haben wir in ihm das Ideal. In hoc signo vinces. Da liegt die Zukunft, das Geheimnis einer höher potenzierten Welt.«
Als die Gräfin eben antworten wollte, wurde der als Portière dienende Teppich zurückgeschlagen, und die junge Dame, die zu diesem Gespräche wenigstens mittelbar die Veranlassung gegeben hatte, trat ein und schritt rasch und mit einem leisen Anfluge von Verlegenheit auf die Gräfin zu. Diese hatte sich erhoben und bot ihr die Hand, die die junge Schauspielerin mit Devotion küßte. Dann verneigte sie sich gegen den Geistlichen, der sich mit erhoben hatte, während die Gräfin vorstellte: »Pater Feßler – Fräulein Franziska Franz.
Ich erwarte seit einer halben Stunde schon meinen Bruder, den Grafen«, fuhr die Gräfin fort, während sie die junge Dame neben sich einlud. »Er ist sonst die Pünktlichkeit selbst. Bis zu seinem Erscheinen, liebes Fräulein, werden wir uns also mit Pater Feßler einzurichten haben. Glücklicherweise sind Sie lange genug in Wien, um zu wissen, daß die Jesuiten, um das Schrecklichste vorwegzunehmen, aller Schrecklichkeit unerachtet, doch sehr umgängliche Leute sind. Und die Liguorianer eifern ihnen wenigstens nach. Nicht wahr, Pater Feßler?«
Dieser lächelte, während Franziska nicht zögerte, das Wort »umgänglich«, das ihr sehr apropos ausgesprochen worden war, geschickt aufzugreifen, um nun ihrerseits daran anknüpfend die »Tugend der Umgänglichkeit« als eine spezifisch wienerische zu preisen.
»Ich hör es gern«, erwiderte die Gräfin, »daß Ihnen unser Wien gefällt. Es ist nicht immer so. Das norddeutsche Wesen ist doch sehr anders.«
»Sehr anders«, wiederholte die junge Schauspielerin. »Gewiß. Aber vielleicht liegt gerade hierin der Grund, daß sich das Norddeutsche zu dem Wienerischen hingezogen fühlt, denn das Wienerische hat neben dem Vorzuge der Umgänglichkeit auch noch andere Vorzüge, die das in den Schatten stellen, was gelegentlich mit zu viel Güte gegen uns als unsere besondere Tugend betrachtet wird. Wir empfinden tief das Unausreichende des bloß Angelernten. Eine Sehnsucht nach dem Einfacheren, Natürlicheren regt sich beständig in uns, und diese Sehnsucht ist vielleicht unser Bestes.«
Ein freundlicher Blick Feßlers, der mit feinem Ohre heraushörte, daß all das, wenn nicht selbständig gedacht und gefühlt, so doch wenigstens aufrichtig nachempfunden war, streifte die Künstlerin, die, nunmehr ihrerseits durch diesen Blick ermutigt, in ihrem Thema fortfuhr:
»Und diese sich in gefällige Formen kleidende Natürlichkeit, die Wien so zweifellos vor uns voraushat, woher kommt sie? Wenn mich nicht alles СКАЧАТЬ