Arthur Holitscher: Drei Monate in Sowjet-Russland. Arthur Holitscher
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Arthur Holitscher: Drei Monate in Sowjet-Russland - Arthur Holitscher страница 9

СКАЧАТЬ wirtschaftlichen Departements hervorzurufen vermag – aber er ist der typische Intellektuelle, verschwindet von Zeit zu Zeit, um Konrad Ferdinand Meyer zu übersetzen oder um ein Drama zu schreiben, in dem Marx mit Faust und Bakunin mit Mephisto und andere unzüchtige Paarungen stattfinden, und die Arbeit des Kommissariats trägt die Folgen.

      Je stärker sich der Kommunismus einwurzelt, im Maße, in dem das System in dem ganzen ungeheuren Lande erstarkt, im Maße, in dem alle zur Zentralorganisation gehörenden Zweige der Verwaltung und der Produktion in den Bereich der Zentralisierung einbezogen werden, macht sich die Notwendigkeit der Auffüllung des Beamtenkörpers, der Zuziehung von Massen neuer und immer neuer Mitarbeiter bemerkbar. Es lässt sich nicht vermeiden, dass sich Elemente in diesen Scharen einfinden, die durch Faulheit, Korruption, durch bewusst feindliche Gesinnung gegenüber dem System den ganzen Apparat schwächen und diskreditieren. Die „inneren“ Vorkämpfer der revolutionären Idee fordern von ihren Untergebenen mit mehr oder minderer Energie dieselbe Aufopferung, denselben Idealismus, dieselbe Gläubigkeit, die sie in sich hegen, und die letzten Grundes die Ursache dafür ist, dass der russische Kommunismus sich seit drei Jahren siegreich in Russland behauptet hat und eine nie mehr vergängliche Umwandlung der Geister in der ganzen Welt bewirkte.

      Aber diesem seelischen Druck geben nur jene nach, die die Vorbedingungen der Aufopferung, des Idealismus, der Gläubigkeit in ihren Herzen besitzen. Bei den anderen, die, um zu leben, sich dem Sowjet-Apparat freiwillig, aufgefordert oder notgedrungen zur Verfügung gestellt haben, keimt und schwillt mächtig und immer mächtiger Hass, Böswilligkeit und Vernichtungssucht an.

      Wenn es die Eigenschaft des Staates ist, dass er einen enormen Beamtenapparat nötig hat, so trägt der Staat seinen Krankheits- und Todeskeim in sich, und es ist fraglich, wie sich aus dem vorläufig allmächtigen Gebilde des Staates jemals unser utopischer Traum der freien Gemeinschaft kleiner Kreise entwickeln soll. In Russland habe ich das unerhörteste, ungemessenste Leiden in fast allen Schichten der Bevölkerung gefunden, fröhlich aber und guter Dinge habe ich (außer den Kindern) nur eine Schicht gesehen, nämlich eine im wirklichen Sinne des Wortes parasitäre, bürgerliche Mittelschicht von neuem Beamtentum, die sich weiß Gott woher zusammen gefunden hat, sich über den wissbegierigen und ernst und eifrig den Zusammenhängen nachforschenden Fremdling lustig macht, ihn durch Ignoranz oder bewusste Irreführung bei seiner Arbeit behindert. Ich sprach schon vorhin von der Schwierigkeit, durch Informationen die Wahrheit über die innere Struktur des Apparates zu erhalten. Diese Schicht einer, man kann es ruhig so nennen, neuen Bourgeoisie, der sogenannten Sowjet-Bourgeoisie, ehrgeizige, zynisch unzuverlässige Menschen, werden durch Maulwurfsarbeit den Staatskörper unterminieren und würden vermutlich die ersten sein, die auf den Trümmern, wenn es jemals Trümmer geben könnte, die weiße Fahne oder irgendeine andere hissten.

      Die inneren Kreise kennen diese Zustände, kennen diese Leute ganz genau. Von Zeit zu Zeit „kämmen sie sie aus“, d. h. sie schütteln sie ab unter Hinweis auf die Notwendigkeit, dass die Front junger Männer bedarf, dass in einem entfernten Ort des weiten Landes ein Posten vakant geworden ist, auch wird der kommunistische Samstag oft als willkommener Anlass dazu ersehen, die zu geistiger wie zu körperlicher Dienstleistung Unwilligen zu entlarven, sich ihrer zu entledigen. Aber es fragt sich, ob der Ersatz, der für diese Ausgekämmten geschaffen wird, nicht aus noch trüberen Elementen besteht. Es ist in den Russland feindlich gesonnenen Ländern immer wieder die Rede davon, dass die Rote Armee es sein wird, die letzten Endes die Bolschewiki stürzen wird. Dieser Hoffnung muss sich die vereinte kapitalistische Welt entschlagen. Die neue Sowjet-Bourgeoisie schenkt ihrerseits dieser kapitalistischen Welt eine erneute, wenn auch beträchtlich geringere Hoffnung. Es ist unwahrscheinlich, dass die Sowjet-Führer diesen Krebsschaden früher oder später vollkommen auszuschneiden fähig sein werden.

      Die Kommunistische Partei Russlands ist zahlenmäßig gering. Sie beträgt nach neuester Schätzung dreiviertel Millionen bei einer gesamten Volkszahl von 150 Millionen, und von dieser dreiviertel Million ist, gering bemessen ein Drittel, und zwar gerade das wertvollste, verlässlichste und opferwilligste Drittel an den Fronten, wo es in den vordersten Gräben die Sache der Sowjets verficht. Welches Maß von Heroismus an diesen Fronten von den überzeugungstreuen, opferwilligen Kommunisten stündlich bezeugt wird, kommt nie ans Tageslicht. Die letzte Woche des Wrangel-Abenteuers, die ich in Russland verlebt habe, weist auf eine Epopöe hin. Kämen diese verlässlichen, erprobten Menschen zurück, das Übel wäre über Nacht in nichts vergangen.

      Es ist unzweifelhaft, dass eine Schwäche, nicht der Führer allein, sondern des ganzen Systems darin liegt, dass die konterrevolutionären, die sabotierenden, faulen und korrupten Elemente nicht radikal beseitigt werden können. Schwierig dürfte es ja sein, die „Spez“ hinauszuwerfen. „Spez“ ist ein ebensolches Schimpfwort wie „Spek“. „Spez“ ist der Spezialist, „Spek“ der Spekulant. Beide zugleich Spekulanten und Spezialisten der alten, nur unvollkommen vernichteten Wirtschaft und Gesinnung. Der Spez ist ehemaliger Kaufmann, Fabrikant, Kapitalist, Ausbeuter, aber gründlicher Kenner seines Produktions- oder Verteilungsgebietes. Er ist nicht leicht durch Männer der geraden Gesinnung, aber mangelnden Sachkenntnis zu ersetzen.

      Eine Vereinfachung des Beamtenkörpers wäre indes wohl durchführbar, und dadurch könnte eine ungeheure Schar überflüssigen, herumlungernden, Witze und Zoten reißenden Gelichters aus den Ämtern entfernt werden. Sie tun ja doch nichts. Man gerät in gelinde Wut, wenn man auf sie angewiesen ist. Unsereiner, der nur wenige Wochen und Monate in den großen Zentren der Arbeit und Verwaltung verweilen kann, leidet Höllenqualen. Die Ämter sind in Villen oder Palästen untergebracht, die ehemals reichen Leuten gehört haben und so ziemlich an der Peripherie der Stadt gelegen sind, nur wenige im Zentrum. Telefon funktioniert nicht, oder, wenn es funktioniert, nur einseitig. Eine Maschine, d. h. ein Automobil, das einem nebst Sekretär, Übersetzer und anderen schönen Dingen versprochen worden ist, tritt nicht in Erscheinung. Man ist also gezwungen, entweder zu Fuß zwölf Werst zu laufen oder sich in eine Droschke zu setzen, deren Lenker für eine Strecke wie vom Brandenburger Tor nach dem Anhalter Bahnhof 5.000 Rubel verlangt und auch bekommt. Der Monatsgehalt eines Sowjet-Beamten, Arztes oder anderen Funktionärs macht selten mehr als diese Summe aus; daher kann sich nur ein Spekulant eine Droschke leisten; infolgedessen entzieht sich der Droschkenlenker, der früher 10 bis 15 Kopeken für die Fahrt bekommen hat, der irdischen Gerechtigkeit.

      Man hat fest ein Stelldichein verabredet mit einem Funktionär zweiten, dritten oder fünften Grades; rast mit dem Iswostschik durch die Stadt. Der Funktionär ist nicht zugegen, verreist, noch nicht ins Büro gekommen, kommt wahrscheinlich auch nicht, hat vergessen oder – ist nicht aufgelegt. Aber das ist es nicht, was einem die heilige Wut gegen das Beamtentum allmählich in den Adern gerinnen lässt. Es sind nicht nur die Einzelnen, auch nicht Gruppen, wie jene Chemiker im Gouvernement Wiatka (?), die sich an die Zentralstelle in Moskau mit dem schamlosen Ersuchen gewendet haben, keine Kommunisten zu schicken, sondern Leute, die Chemie verstehen; es ist auch nicht eine Kreatur wie jene Oberärztin in dem Petersburger Gefängnis, die uns mit sadistischer Wollust in ihrem Bereich herumführte, dann mit unverhohlenem Zynismus ihre Vorgesetzten wegen ihrer kommunistischen Gesinnung verhöhnte und uns, als wir ihr aus unserer Gesinnung kein Hehl machten, mit naiver Miene fragte: wie kann man nur?

      Es kann passieren, dass einem, nachdem man in einem Amt mehr oder weniger sichere und erschöpfende Auskunft bekommen hat und hoch befriedigt das Zimmer verlässt, ein kleines verdächtiges Lachen nachgesandt wird. Man wendet sich dann um, sieht eine Gruppe von vollkommenen unwissenden Leuten, die sich soeben eine Menge Lügen aus den Fingern gesogen haben und jetzt den Bauch halten über die Naivität des Fremdlings, der wirkliches Wissen vorausgesetzt hat und mit wirklichem Wissen abzuziehen vermeint. Gogolsche Revisorstimmung. All' das sind wohl Geringfügigkeiten, obzwar sie sich traurig genug anhören. Aber durch solche Unzuverlässigkeiten geschieht es, was ich einmal in einer mir interessant und wertvoll dünkenden Bildungsstätte in Moskau erlebt habe. Dort war eine Reihe von Werkstätten geschlossen, einfach, weil aus Nachlässigkeit der vorgesetzten Behörde die Grenzfrage der Belieferung mit Materialien durch das eine oder das andere Kommissariat, das Kommissariat für professionelle Arbeit oder das Kommissariat für Volksaufklärung СКАЧАТЬ