Die Tagebücher des Michael Iain Ryan. Nadja Losbohm
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Название: Die Tagebücher des Michael Iain Ryan

Автор: Nadja Losbohm

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Die Tagebücher des Michael Iain Ryan

isbn: 9783752920550

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СКАЧАТЬ meine tote Mutter, die zu meinem Entsetzen nicht schön, sondern am Verwesen war, sodass ihr bereits Haut- und ganze Fleischstücke fehlten. Meine Träume wurden auch von Bruder Antoine, Arnauds Folterknecht, beherrscht, der sich vor mir, der mit dem Halseisen an die Wand gekettet war, auf dem Boden in meinem Blut und meinen Tränen wälzte und mit Armen und Beinen zuckte wie ein Hund, der sich im Gras herumwirft und darauf wartet, dass ihm sein Herr den Bauch krault. Hin und wieder schlichen sich aber auch neue Bilder ein, und ich erlebte Ungewohntes.

      So kam es vor, dass ich von mir selbst träumte und doch war nicht wirklich ich es, den ich sah. Es war ein junger Mann, dem Aussehen nach mein Zwilling. Seinen Taten nach zu urteilen jedoch ähnelte er dem Prior. Diese fremde Person, die mein Gesicht, meine Haare und meine tiefbraunen, fast schon schwarzen Augen mit den hellen Lichtpunkten hatte, schikanierte und folterte andere, wie es ihr beliebte. Am Ende des Traums, wenn er seiner Leidenschaft gefrönt hatte, stand er von Schwärze umhüllt einfach nur da und lächelte mich an, bis sich hinter ihm ein Mann, ebenfalls zufrieden lächelnd, aus der Finsternis schälte, und ihm vertrauensvoll eine Hand auf die Schulter legte. Es war schon eine Weile her, dass ich diesen Traum zum ersten Mal gehabt hatte. Ich war damals schreiend aufgewacht und hatte vergeblich mit Stroh von meinem Nachtlager versucht, mich von dem Schmutz namens Arnaud zu befreien. Ich will nicht so sein wie er. Ich bin nicht so wie er, hatte ich dabei unter Tränen gemurmelt. Seitdem hatte ich panische Angst davor, noch einmal davon zu träumen.

      Im Halbschlaf nuschelte ich eine Antwort auf die Frage, wieso er nicht wach wurde. Ich dachte, es ginge um Jean, der in meinem Traum auf seinem Hocker saß. Sein Habit war so sehr zerrissen, dass nur Stofffetzen auf seinem Leib lagen. Die blasse Haut leuchtete überall zwischen ihnen hervor. Ich glaubte, ich erwiderte so etwas wie: Sein knurrender Magen ist sein geringstes Problem. Es ist vielmehr erstaunlich, dass er nicht von der Kälte wach wird. Ich spürte etwas an meinem Oberschenkel, konnte jedoch nicht zuordnen, was es war. Ich wischte mit meiner Hand über die Stelle, um die Missempfindung loszuwerden. Irgendwer in Corentins Unterrichtsraum schnalzte missbilligend mit der Zunge. Dann verspürte ich einen Tritt in die Rippen und war schlagartig wach.

      Ich fuhr hoch und sprang auf alle viere. Ich mochte dünn und schwach sein wie ein zartes junges Bäumchen. Dafür aber war ich flink wie ein Eichhörnchen. Ebenso wie dieses um einen Baumstamm flitzt und sich an ihm in die Höhe schraubt, konnte auch ich mich bewegen. Ich huschte auf Händen und Füßen über den Waldboden, erhaschte mir dabei einen Stock, um mit ihm notfalls jemand ein Auge auszustechen, und verharrte schließlich etliche Schritte von meiner Schlafstatt entfernt hockend in absoluter Alarmbereitschaft. Mein Atem kam schnaufend hervor. Mein Herzschlag pulsierte in meinen Ohren. Meine Augen kullerten in den Höhlen herum, alles von ihrer Umgebung auf einmal erfassen wollend.

      Der Wind flüsterte. Blätter rauschten. Sonnenstrahlen drangen durch sie und trafen auf mein Gesicht. Ich wunderte mich darüber, hatte mich in meiner Kammer doch zuvor nie am Morgen der wärmende Kuss der Sonne liebkost. Erst jetzt begriff ich, dass ich nicht mehr in ihr war, und erinnerte mich wieder an alles. Schließlich fand ich die beiden Männer, die völlig überrascht von meinem seltsamen und übertriebenen Gebaren neben meiner Decke und meinem Kissen standen und mich anstarrten. Sie tauschten ratlose Blicke aus, nicht wissend, wie sie das Gesehene einordnen sollten. Der Moment zog sich unnatürlich in die Länge. Eine schwere Stille lastete auf uns, die ausgerechnet Rousel durchbrach und der unangenehmen und auch irgendwie peinlichen Situation ein Ende bereitete.

      Der Kutscher presste die Lippen fest aufeinander, die in seinem struppigen Bart nur als schwarze Striche auszumachen waren, schnaubte und verdrehte die Augen. Er beugte sich hinunter, wobei ihm die zerzausten, schmuddeligen und kinnlangen Haare ins Gesicht fielen, und klaubte mein Schlafzeug zusammen. Kopfschüttelnd zog er davon und ließ mich mit de Forestier allein zurück. Dieser trat einen Schritt beiseite und vollführte eine Handbewegung, die mich nicht aufforderte, sondern einlud mitzugehen. Ich entspannte mich langsam und ließ den Stock ins Laub fallen, den ich umklammert hatte wie eine Rettungsleine. Ich erhob mich, richtete meinen Habit und nahm seine Einladung an, nicht ohne den Versuch, de Forestier eine Erklärung zu geben, als ich an ihm vorbeilief. Behutsam hielt er mich am Arm zurück und schüttelte den Kopf.

      „Du musst dich nicht rechtfertigen, Michael. Es gibt stets gute Gründe, wieso sich ein Mensch so oder so verhält. Doch ich muss dir gestehen, dass ich davon begeistert bin, wie flink du bist“, sagte er augenzwinkernd. „Das dürfte sich in der Zukunft als nützlich erweisen.“ Tiefe Falten traten auf meine Stirn, als ich verwundert über seine Worte die Augenbrauen zusammenzog. Er hatte lediglich vier Sätze hervorgebracht, hatte mir Verständnis und Nachsicht angedeihen lassen, obgleich er oft vulgär war, nur um am Ende Neugierde und Verwirrung in mir zu erzeugen. War es seine Absicht gewesen, um mir meine Befangenheit zu nehmen, die sich an diesem Morgen auf mich gelegt hatte?

      Ob er es nun geplant hatte oder nicht, es funktionierte. Die Verlegenheit war verschwunden. Ich sorgte mich nicht mehr, was er oder Rousel von mir hielten. In meinem Kopf war nur noch Platz für eines: die Frage, inwiefern meine Fähigkeit, mich flink zu bewegen, nützlich sein würde? Ich öffnete den Mund, um de Forestier dahingehend zu befragen, doch er schien zu wissen, was ich vorhatte, und würgte mich umgehend ab. „Folgen wir Rousel. Er hat lange genug auf uns gewartet und wird deswegen noch unausstehlicher sein als sonst. Außerdem drückt es auf sein Gemüt, dass ich ihn im Morgengrauen ausgeschickt habe, die Umgebung zu inspizieren. Kurz bevor er dich geweckt hat, ist er zurückgekehrt mit der freudigen Nachricht, dass die Pferde noch da sind, der Wagen ganz und die Straße frei ist von Wegelagerern, sodass wir unsere Reise getrost fortsetzen können“, erklärte er und fügte weitere ausschweifende Beschreibungen über Gesocks hinzu, dessen unerfreuliche Bekanntschaft er bereits des Öfteren nach dem morgendlichen Aufbruch gemacht hatte, wenn sich zuvor kein Späher umgesehen hatte.

      Er sprach in einem fort, ohne Luft zu holen. Nicht einmal der Marsch durch den Wald, das Ducken unter Ästen hindurch und das Steigen über umgestürzte Bäume brachten ihn zum Pusten oder Schnaufen, während mir die Zunge aus dem Hals hing, ein Pfeifen aus meiner Brust drang und mir der Schweiß den Rücken hinunterlief. „Solche Spießgesellen sind äußerst nervig, weswegen ich dir eine solche Begegnung tunlichst ersparen möchte“, schloss er ab, als wir endlich an unserem Gefährt angekommen waren. „Geht es dir gut? Du siehst fiebrig aus“, merkte er an und nahm mich genau in Augenschein.

      „Ich -“, schrie ich über das Rauschen meines Blutes hinweg, das mir laut in den Ohren dröhnte, „mir – geht – es – gut.“ Ich japste nach Luft und wischte mir die Stirn trocken.

      „Mon dieu!“, hörte ich Rousels Stimme rufen. Kurz darauf tauchte er zwischen den Pferden auf. Er bedachte mich mit einem vernichtenden Blick und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Hey, Graf Kotz“, sagte er, „ob du es wohl schaffen wirst, die Gäule aus dem Wald zu führen, oder brauchst du erst ein Schaumbad, Quasten und Puder, um wieder zu Kräften zu kommen?“ Mein Kopf ruckte zurück, die Kinnlade fiel mir auf die Brust. Schockiert sah ich den Bischof an.

      „Er ist auf mich sauer. Denke daran“, flüsterte dieser und schob mich in Richtung des Kutschers. Es war nett von ihm gemeint, aber ich konnte seinen Worten keinen Glauben schenken. Nichtsdestotrotz schluckte ich meinen Ärger hinunter und ignorierte meinen verletzten Stolz, der jammerte, dass nach dem verbalen Missbrauch im Kloster von Gourin weiterer in der vermeintlichen Freiheit stattfand. Ich wusste, ich konnte Paroli bieten. Ich war durchaus dazu in der Lage, hatte es bereits sowohl Rousel als auch einst Philippe bewiesen. Ich musste aber weiterhin meine Schlagfertigkeit üben, um nicht wieder in die Rolle des Opfers zu schlüpfen. Andernfalls würde ich diesen teuflischen Kreis niemals durchbrechen. Ich übernahm die Pferde, während ich Pläne schmiedete, wie ich mein Mundwerk besser in den Griff bekam, um unter den beiden Männern auch nur annähernd bestehen zu können.

      Unsere kleine Karawane bestehend aus Tieren und Kutschwagen setzte sich in Bewegung und trat ächzend, knirschend, wiehernd und polternd aus dem Schutz des Waldes heraus. Jenseits der Bäume, Sträucher und СКАЧАТЬ