Die Tagebücher des Michael Iain Ryan. Nadja Losbohm
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Название: Die Tagebücher des Michael Iain Ryan

Автор: Nadja Losbohm

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Die Tagebücher des Michael Iain Ryan

isbn: 9783752920550

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СКАЧАТЬ mit Dankbarkeit an das, was ich habe, und nicht mit Gram an das, was mir vielleicht fehlt. Ich setze meinen Weg fort, betrete mein Büro und gehe zu dem Wandteppich, der hinter meinem Schreibtisch hängt. Es ist ein bewundernswertes Werk der Webtechnik, nahezu ein Kunstwerk, das das Abbild der Heiligen Maria, Mutter Gottes, zeigt. Der Teppich ist fast so alt wie ich, wenn nicht sogar älter, und war ein Geschenk von Gerbert de Aurillac gewesen, den ich einst als Papst Silvester II kennengelernt hatte. Ich keuche überrascht auf und mache mir in Gedanken eine Notiz, dass auch er unbedingt Erwähnung finden muss in meinen Tagebüchern. Er war ein interessanter Zeitgenosse gewesen, der ebenso wie ich aus armem Hause stammte und doch zu Großem bestimmt gewesen war. Auch die Begeisterung für die Astronomie teilte ich mit ihm. Ich nicke. Ja, ich muss par force über ihn und die Zeit mit ihm schreiben.

      Meine Finger streichen zärtlich über sein Geschenk, dessen Schönheit die Zeit keinen Abbruch getan hat. Die Farben, nun verblasst, hatten vor Jahrhunderten kräftig geleuchtet: Rot, Blau, Grün und Gold. Doch nach wie vor wirkt das Bildnis naturgetreu und lebendig. Ich strecke meinen Arm zur rechten Seite und finde dort das Seil, das den Teppich zur Decke hinaufbefördert. Ich ziehe an ihm. Das gütig lächelnde Antlitz der Heiligen Maria, Mutter Gottes, gleitet an mir vorbei nach oben und enthüllt das hinter ihr verborgene Geheimnis: meinen eigenen kleinen Garten.

      Ich öffne die Glastür. Ein kühler Windhauch schlägt mir entgegen und zerzaust mein Haar. Ich trete auf die oberste Stufe der Steintreppe und überlege, ob ich ganz hinausgehen soll. Die Möglichkeit, dass mich jemand sieht, besteht nicht. Eine etwa vier Meter hohe Ziegelmauer umgibt die kleine Oase, in der Kastanienbäume, Wildblumen in den verschiedensten Farben, Efeu, Fliedersträucher und Farne stehen, und bietet mir Schutz vor neugierigen Blicken. Ich kümmere mich nicht um ihn, schneide kein Gras und stutze keine Hecken. Alles ist in seinem natürlichen Zustand belassen, und die Vielfalt kann ich mir nur damit erklären, dass der Wind die unterschiedlichen Samen der Pflanzen gesammelt und hier abgeladen hatte. Ich wandere auch nicht oft durch ihn. Ich weiß nicht, wieso. Ungern denke ich darüber nach, ob es deswegen ist, weil ich Angst habe, von einem Ast erschlagen zu werden und er mich so schwer verletzt, dass ich es nicht mehr zurück auf den heiligen Boden der St. Mary‘s Kirche schaffe und sterbe. Ich fürchte mich nicht grundsätzlich davor, die Kirche zu verlassen und die Verbindung zu ihr zu lösen, die mein Überleben sichert. Sobald ein neuer Jäger oder eine neue Jägerin zum ersten Mal auf die Jagd geht, begleite ich ihn oder auch sie. Bei aller Bescheidenheit, aber ich weiß, dass ich gut bin, sehr gut sogar, in dem, was ich in einem Kampf tue. Ich gehe nie leichtsinnig vor, doch ich habe höchstes Vertrauen in meine Fähig- und Fertigkeiten.

      Beinahe muss ich selbst über meine Verschrobenheit dahingehend lachen. Es ist schon seltsam. Bei der Jagd mache ich mir keine Sorgen, mich könnte ein herabstürzender Stein treffen, aber die Gefahr eines Astes, der mich niederstreckt, hält mich davon ab, in den Garten zu gehen. Vielleicht liegt es daran, dass ich bei der Jagd nicht allein bin? Ich setze einen Fuß vor, stelle mich meinen Bedenken und gehe die Treppe hinunter. Ich folge den Steinplatten, die im hohen Gras fast untergehen, und gelange zum Lampenputzergras. Die Flaschenbürsten ähnlichen Blütenähren gleiten durch meine Finger und kitzeln meine Haut. Ich zupfe mir eine Ähre ab, um sie mit mir hineinzunehmen. Für ein paar weitere Minuten streife ich umher und berausche mich an den Farben und Düften der Gewächse.

      Die Erinnerung an meine alte Heimat schleicht sich in mein Bewusstsein. Mit ihrer Schönheit, Fülle und Mannigfaltigkeit kann es das kleine Biotop, auf das meine Welt geschrumpft ist, nicht annähernd aufnehmen. Voller Kontraste steckt das Land, aus dem ich komme. Es gibt öde Gegenden, die trocken und staubig sind. Gleichwohl gibt es prachtvolle Heidelandschaften, die besonders im Licht der untergehenden Sonne ein Augenschmaus sind. Täler mit saftigem grünem Gras und fröhlich sprudelnde Bäche, schroffe Felsen, dichte Wälder und flache Ebenen – für jeden Geschmack ist etwas dabei. Nicht zu vergessen ist natürlich die Küstenlandschaft. Ich ringe nach Luft. Ich bin ganz außer Atem geraten, da ich mich so enthusiastisch an all das erinnere.

      Ich befinde, dass es Zeit ist, zurück an den Schreibtisch zu gehen. Nach einer Umrundung des Gartens ist mein Wagemut aufgebraucht, und ich will unbedingt mein Leben weiter aufschreiben. Ich beeile mich auf meinem Rückweg, kann es kaum erwarten, das Kratzen der Feder auf dem Papier zu vernehmen. Als ich endlich auf meinem Platz sitze, lege ich die Ähre des Lampenputzergrases in die linke obere Ecke des Tisches, öffne das Tintenfässchen rechts neben mir, tauche die Spitze der Feder hinein und setze sie auf das Blatt auf.

      ***

      De Forestier hatte Recht. Der Glutofen, die Kargheit, die Monotonie verwandelten sich. Erst waren es kleine Schritte, ein Strauch hier, eine Blume dort, die die Veränderung ankündigten. Doch dann wurden aus ihnen riesige, gewaltige Schritte, ja ganze Wege. Plötzlich waren Felsen zu sehen, zwischen denen Heidekraut und Ginster blühten. Grünes saftiges Gras wiegte sich sacht im Wind. Sträucher wuchsen überall und hier und da bildeten Bäume in Gruppen kleine Wäldchen. Der Duft von Kraut und Blume strömte durch die geöffnete Kutschentür zu uns herein. Die Farbenpracht und Fülle an Gewächsen machte mich ganz schwindelig, und meine Blicke wanderten wild umher. Sie konnten sich nur schwerlich für eine Sache entscheiden, bei der sie verweilen wollten. Ich hatte sogar Tränen in den Augen. Ich konnte kaum begreifen, dass mir erlaubt wurde, all das hier zu sehen. Es grenzte an ein Wunder.

      „Du wirst noch viel Schöneres, viel mehr und viel Größeres zu Gesicht bekommen, Michael“, sagte de Forestier. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Größer, schöner als das?

      „Ich glaube nicht, dass ich das verkraften kann“, sprach ich meinen Gedanken aus.

      Er lachte und nickte. „Doch, das wirst du. Ich weiß, dass deine Welt bisher klein ausgesehen hat. Aber nach und nach wird sie wachsen und so groß werden, wie du es dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kannst. Genieße es. Man weiß nie, wie lange es anhält“, sagte er geheimnisvoll. Ich wollte ihn fragen, was sich hinter seinen Worten verbarg, doch da hatte er den Kopf schon gegen die Seitenwand gelehnt und war am Dösen. Ich zog eine Grimasse. Wie konnte er in so einem Moment schlafen und mich mit Rätseln zurücklassen? Ich winkte ab, schloss die Tür und besah mir die wilde Schönheit der Natur durch das Fenster, ihren Anblick so lange genießend, wie de Forestier es mir ans Herz gelegt hatte.

      Der Himmel verfärbte sich bereits und sorgte dafür, dass sich die Landschaft in einem anderen Licht und neuen Farben präsentierte. Ob Baum, ob Strauch, ob Heidekraut, ob Fels – alles wirkte dunkler, satter, intensiver. Ich beobachtete, wie Insekten aus dem Dickicht in die Luft aufstiegen, sich sammelten und in einem Ball aus schwarzen Punkten in die Nacht davonflogen. Ein Käuzchen, sitzend in dem Forst, an dem wir soeben vorbeifuhren, zu dem der Zugang durch verschieden große Felsen versperrt war, sandte seinen abendlichen Gruß aus. Er riss mich aus der Trance, in die mich das Ruckeln des Wagens hatte sinken lassen, und ich erinnerte mich, dass es doch auch für uns an der Zeit sein musste, das Nachtlager aufzuschlagen. Wieso hielt Rousel dann nicht an? Behutsam legte ich meine Hand auf de Forestiers Knie und rüttelte daran.

      „Eure Exzellenz“, sagte ich leise, schließlich wollte ich ihn nicht zu Tode ängstigen. Er brummte nur im Schlaf und drängte seinen Kopf weiter in die weichen Vorhänge, die ihm als Kissen dienten. Ich rüttelte ihn erneut und rief dieses Mal: „De Forestier!“ Mit einem Fluchen fuhr er hoch und sah sich mit weit aufgerissenen Augen um, bis sein Blick auf mir zu ruhen kam.

      „Michael, ist alles in Ordnung?“, fragte er und wischte sich mit den Händen über das Gesicht, als wollte er damit den Schlaf vertreiben.

      „Mhh“, machte ich und nickte. Auch mir schlug das Herz bis zum Hals. Er hatte mich mit seiner abrupten Bewegung erschreckt. „Es tut mir leid, Euch geweckt zu haben, aber ich habe mich gefragt, wann wir anhalten, um das Nachtlager aufzubauen“, erklärte ich.

      De Forestier beäugte mich, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. Er schnalzte mit der СКАЧАТЬ