Название: Steuerstrafrecht
Автор: Johannes Franciscus Corsten
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Heidelberger Kommentar
isbn: 9783811406506
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Der StPfl. macht sich aber nicht gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 strafbar, solange er richtig und vollständig über alle steuerlich erheblichen Tatsachen vorträgt und es „dem Finanzamt dadurch ermöglicht, die Steuer unter abweichender rechtlicher Beurteilung zutreffend festzusetzen“.[99] Unter diesen Voraussetzungen steht es dem StPfl. frei, „jeweils die ihm günstigste steuerrechtliche Gestaltung zu wählen“.[100]
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§ 42 bildet auch keine Grundlage für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2, da aus § 42 keine eigenständigen strafbewehrten Erklärungspflichten gegenüber den FinB folgen.[101] Eine solche Erklärungspflicht kann sich allerdings, nach den üblichen Regeln, aus anderen Steuergesetzen ergeben.[102]
(1) Rechtsanwendung und Rückwirkungsverbot
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Das Gesetzlichkeitsprinzip aus Art. 103 Abs. 2 GG (und § 369 Abs. 2 i.V.m. § 1 StGB) verlangt unter anderem, dass die Strafbarkeit bestimmt war, „bevor“ die Tat begangen wurde (Verbot rückwirkender Strafbegründung oder -verschärfung).[103]
(2) Die rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfristen
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Keine unzulässige Rückwirkung enthält nach h.M. die rückwirkende Verlängerung des Zeitraums der Verfolgbarkeit einer einmal gesetzlich bestimmten Strafbarkeit, da diese ihren Unrechtscharakter nicht dadurch verliert, dass sie nicht mehr verfolgt werden kann.[104] So hält die h.M. insb. die nachträgliche Verlängerung von Verjährungsvorschriften für zulässig.[105] Eine Grenze wird nur dort gezogen, wo die ursprüngliche Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist,[106] da dies andernfalls der Neubegründung einer materiellen Strafbarkeit gleichkommen würde.[107]
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Anwendung finden diese Grundsätze auch für den Bereich der verlängerten Verjährungsfrist bei besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung gem. § 376. Diese soll nach Ansicht des BGH auch auf Fälle anwendbar sein, bei denen die Neuregelung des Regelbeispielskatalogs nach § 370 Abs. 3 zur Tatzeit noch nicht existierte.[108]
(3) Die rückwirkende Änderung der Rechtsprechung
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Keine unzulässige Rückwirkung entfalten nach h.M. Änderungen der Rechtsprechung.[109] Nach der Rspr. des BVerfG gilt im Grundsatz, dass Gerichte nicht „an eine einmal feststehende Rechtsprechung“ gebunden sind, da sich eine solche Bindung „im Licht geläuterter Erkenntnis oder angesichts des Wandels der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse“ „als nicht haltbar“ erweisen könnte.[110] Die gewandelten Verhältnisse müssen sich dabei nicht wesentlich ändern.[111] Für eine insb. willkürfreie Entscheidung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG ist es ausreichend, wenn sie „hinreichend begründet“ ist und sich „im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält“.[112]
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Als problematisch könnte sich in diesem Zusammenhang die seitens der Rspr. durchgeführte Änderung der Wertgrenze für die Steuerhinterziehung großen Ausmaßes gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 erweisen.[113] Hier hatte der BGH die früher für bloße Gefährdungen des Steueranspruchs (in großem Ausmaß) vorgesehene Wertgrenze von 100 000 Euro abgeschafft und durch eine einheitliche Wertgrenze von 50 000 Euro ersetzt, die Gefährdungen und eingetretene Schäden gleichermaßen erfasst.[114]
(1) Das Doppelbestrafungs- und Verfolgungsverbot, Art. 103 Abs. 3 GG
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Aus Art. 103 Abs. 3 GG folgt auch für das Steuerstrafrecht, dass wegen derselben Tat niemand mehrmals bestraft werden darf (Ne bis idem-Grundsatz, Doppelbestrafungsverbot, zu den Folgen eines Verstoßes s. Rn. 66).[115] Über den Wortlaut hinaus ist nach allg. Meinung auch die mehrfache Verfolgung untersagt (Doppelverfolgungsverbot).[116] Das Verbot der doppelten Bestrafung bzw. Strafverfolgung findet dabei zunächst nur direkte Anwendung auf die Sanktionen des deutschen Kriminalstrafrechts, womit weder Sanktionen des Zivilrechts noch ausländische Strafsanktionen erfasst sind (zum europäischen Verbot der doppelten Bestrafung bzw. Strafverfolgung gem. Art. 54 SDÜ s. Rn. 67 f.).[117] Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts können den kriminalstrafrechtlichen Sanktionen qualitativ so nahe kommen, dass eine analoge Anwendung von Art. 103 Abs. 3 GG angezeigt sein kann.[118]
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Die Frage der Identität der abgeurteilten Taten wirft vielfältige Probleme auf. Die Rspr. behilft sich mit dem Kriterium eines aus „Anklage und Eröffnungsbeschluss“ sich ergebenden „geschichtliche(n) Vorgang(s)“, „innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll“.[119]
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Die Sperrwirkung des Doppelbestrafungs- und Verfolgungsverbots aus Art. 103 Abs. 3 GG erfasst vor allem verurteilende oder freisprechende (Sach-)Urteile[120] sowie den Strafbefehl,[121] da sie über eine inhaltliche Entscheidung über das Strafanspruch beinhalten. Prozessurteile wie etwa Einstellungsurteile, haben keine Sperrwirkung.[122] Eine nur eingeschränkte Sperrwirkung haben hingegen gerichtliche Einstellungsentscheidungen (z.B. §§ 153 Abs. 2, 153a Abs. 2 StPO) oder die Nichteröffnungsentscheidung (§ 204 i.V.m. § 211 StPO).[123]
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Keine Sperrwirkung haben im Grundsatz staatsanwaltliche Entscheidungen (Ausnahme: § 153a Abs. 1 S. 5 StPO).[124]
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Folgen eines Verstoßes: Wurde die Tat bereits rechtskräftig strafrechtlich abgeurteilt (Rn. 62 f.) und ist die Entscheidung von der Sperrwirkung des Art. 103 Abs. 3 GG erfasst (Rn. 64), liegt ein Verfahrenshindernis vor, das von Amts wegen zu beachten ist und zur Einstellung des Verfahrens führt (z.B. gem. § 385 Abs. 1 i.V.m. СКАЧАТЬ