Название: Steuerstrafrecht
Автор: Johannes Franciscus Corsten
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Heidelberger Kommentar
isbn: 9783811406506
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Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Einhaltung des Präzisierungsgebots sieht sich das BVerfG nicht auf eine „Vertretbarkeitskontrolle“ beschränkt.[78] Das „Bestehen“ eines durch die Auslegungsarbeit der Rspr. „gefestigte(n) Normverständnis(ses)“ ist „in vollem Umfang“ verfassungsgerichtlich überprüfbar.[79] Was die inhaltlichen Anforderungen anbelangt, gesteht das BVerfG den Fachgerichten einen größeren Spielraum zu, insofern es ausreichen soll, dass das gefestigte Normverständnis „nicht evident ungeeignet zur Konturierung der Norm“ ist.[80]
aa) Der mögliche Wortsinn als äußerste Grenze richterlicher Auslegung
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Äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung ist der mögliche Wortsinn des Gesetzes.[81] Dies bedeutet zum einen, dass die Strafgerichte gehalten sind „den Gesetzgeber beim Wort zu nehmen“; es ihnen also untersagt ist, den Gesetzgeber in irgend einer Weise zu korrigieren.[82] Zum anderen bedeutet das, dass die Strafgerichte in den Fällen, „die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind“, zu einem Freispruch kommen müssen.[83]
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Die Bestimmung des möglichen Wortsinns des Gesetzes ist nach der Rspr. des BVerfG „aus der Sicht des Normadressaten – also grundsätzlich nach dem allgemeinen Sprachverständnis der Gegenwart – zu bestimmen“.[84]
bb) Das Verbot der Verschleifung von Merkmalen des gesetzlichen Tatbestands
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Nach der neueren Rspr. des BVerfG können sich auch Grenzen der Auslegung innerhalb des möglichen Wortsinns ergeben. So dürfen etwa einzelne Tatbestandsmerkmale nicht „vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen“ (Verschleifungsverbot).[85]
(1) Rechtsanwendung und Analogieverbot
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Absolute Grenzen der Rechtsanwendung im Steuerstrafrecht ergeben sich hinsichtlich des Verbots analoger Strafbegründung oder Strafschärfung (Art. 103 Abs. 2 GG, § 369 Abs. 2 i.V.m. § 1 StGB).[86] Nach der Rspr. ist dabei Analogie nicht nur „im engeren technischen Sinn zu verstehen“; vielmehr ist jede tatbestandsausweitende Rechtsanwendung ausgeschlossen, die „über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht“ (erweitertes Analogieverbot).[87] Dies gilt auch dann, wenn dem Gericht die nicht erfassten Verhaltensweisen „ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten“. Die Entscheidung über die Schließung oder Beibehaltung derartiger „Strafbarkeitslücken“ liegt in der alleinigen Entscheidungsverantwortung der Gesetzgebung.[88]
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Ein problematischer Fall ergab sich in der Entscheidung des BGH von 2001 zum Zigarettenschmuggel aus den Niederlanden.[89] Hier hatte der BGH die Anwendung der Steuerhinterziehung auf reine Auslandstaten nach § 370 Abs. 7 auch auf die Hinterziehung von Eingangsabgaben nach § 370 Abs. 6 bejaht und das Fehlen – nicht ganz unproblematisch – eines entsprechenden Verweises als „offenkundiges redaktionelles Versehen des Gesetzgebers“ bezeichnet.[90] Die Verweiskette ist mittlerweile durch den Gesetzgeber geschlossen worden (§ 370 Abs. 7, s. auch § 369 Rn. 37, 115; § 370 Rn. 12, 257).
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Keinen Verstoß gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG sah der BGH jüngst bei der Einordnung von Treibhausgas-Emissionszertifikaten als „ähnliche Rechte“ i. S. v. § 3a Abs. 4 Nr. 1 UStG.[91] Da es sich um eine steuerrechtliche Vorschrift handele, sei der Begriff der „Ähnlichkeit“ nicht „aus dem Blickwinkel des Rechts des geistigen Eigentums“ zu bestimmen, sondern „aus der ‚Außensicht‚ des Steuerrechts“, der eine „wirtschaftliche Betrachtungsweise immanent“ sei.[92]
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Nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist hingegen die täterbegünstigende Analogie, soweit die allgemeinen Analogievoraussetzungen – planwidrige Regelungslücke, vergleichbare Interessenlage[93] – erfüllt sind.
(2) Die teleologische Einschränkung begünstigender Normen
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Das erweiterte Analogieverbot erfasst nach der Rspr. auch das Verbot teleologischer Einschränkung täterbegünstigender Normen.[94] Als unzulässige Analogie gilt daher auch die nicht vom möglichen Wortsinn getragene Einschränkung von gesetzlichen Rechtfertigungs-, Entschuldigungs-, Strafmilderungs- oder Strafaufhebungsgründen.[95]
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Nicht unproblematisch war daher die seinerzeit durch den BGH durchgeführte teleologische Reduktion der strafbefreienden Selbstanzeige im Hinblick auf die heute nicht mehr mögliche Teil-Selbstanzeige.[96]
(3) Der Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, § 42
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Ein Sonderproblem kann sich ergeben, wenn die Anwendung eines Steuergesetzes in Rede steht, das durch den „Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten“ umgangen worden ist. Für diese Fälle kennt das Steuerrecht die Sonderregelung, die anordnet, dass bei einer missbräuchlichen Steuergestaltung der Steueranspruch so entstehen soll, „wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung“ entstanden wäre (§ 42 Abs. 1 S. 2). An die Stelle der Besteuerung der tatsächlich gewählten unangemessenen Gestaltung tritt damit die Besteuerung der fiktiven, wirtschaftlich angemessenen Gestaltung.[97]
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Die missbräuchliche Steuergestaltung gem. § 42 bildet hierbei keinen eigenständigen Steuertatbestand, weswegen nicht schon die missbräuchliche Steuergestaltung allein eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 begründet.[98]
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Eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 kann aber entstehen, wenn der StPfl. die missbräuchliche Steuergestaltung durch unrichtige oder unvollständige Angaben verschleiert (§ 370 Abs. 1 Nr. 1) oder СКАЧАТЬ