Aus meinem Leben - 3. Teil. August Bebel
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Название: Aus meinem Leben - 3. Teil

Автор: August Bebel

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783966511698

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СКАЧАТЬ eine Proklamation des Ministeriums veröffentlichte, wonach der kleine Belagerungszustand über Berlin verhängt wurde. Dieser Hiobspost folgte am nächsten Tage die Mitteilung, daß 67 unserer bekanntesten Parteigenossen, darunter J. Auer, Heinrich Rackow, F.–W. Fritzsche, bis auf einen sämtliche Familienväter, ausgewiesen worden seien. Einige mußten binnen 24 Stunden die Stadt verlassen, die meisten anderen binnen 48 Stunden, einigen wenigen räumte man eine Frist von drei Tagen ein. Die Nachricht von der Verkündigung des kleinen Belagerungszustandes über Berlin rief eine gewaltige Aufregung in Berlin und außerhalb hervor. Niemand konnte sich die Gründe einer solchen Gewaltmaßregel erklären, selbst die bürgerlichen Blätter bis weit nach rechts äußerten Bedenken.

      Als während der Beratung des Gesetzes bei § 28 (kleiner Belagerungszustand) der Abgeordnete Windthorst Bedenken äußerte, daß diese äußerste Maßregel leicht mißbräuchliche Anwendung finden könne, suchte ihn der Berichterstatter der Kommission, der Abgeordnete v. Schwarze-Dresden, durch die Erklärung zu beruhigen: »Es sind (für die Anwendung des § 28) ausdrücklich nur solche Fälle in Betracht genommen worden, wo ganze Bezirke oder Ortschaften durch die sozialdemokratischen Agitationen so unterwühlt sind, daß das allgemeine Bewußtsein von der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden der Bürger gestört ist; daß man erwarten kann, die öffentliche Sicherheit werde durch irgendwelche gewalttätige Ausbrüche gefährdet und gestört werden; daß mit einem Wort durch die gewöhnlichen, gegen einzelne Personen möglichen Maßregeln des Landesgesetzes die Rechtssicherheit und der Rechtsfrieden nicht aufrechterhalten werden könnten.« Ähnlich äußerte sich ein anderer konservativer Abgeordneter. Wären diese Erklärungen des Berichterstatters der Kommission, des Abgeordneten v. Schwarze, ehrlich von den Regierungen als Grundbedingung für die Verhängung des kleinen Belagerungszustandes angesehen worden, man hätte ihn weder über Berlin noch über die anderen Städte im Bezirk, die später davon betroffen wurden, verhängen können. Kein ehrlicher Mann konnte behaupten, daß in jenen Städten und Bezirken Zustände vorhanden waren, wie sie der Abgeordnete v. Schwarze als Voraussetzung für die Anwendung des § 28 des Sozialistengesetzes für notwendig hielt. Es erwiesen sich eben alle jene Interpretationen und Zusagen, die man während der Beratung des Gesetzes zur Beruhigung bedenklicher Gemüter gemacht, jetzt als leere Ausreden, die keinen Pfifferling Wert hatten.

      Für uns in Leipzig war durch die Berliner Massenausweisung die Situation sehr verbösert worden. Jetzt galt es aufs neue für die brot- und existenzlos gewordenen Genossen Stellung und für sie und ihre Familien während ihrer Existenzlosigkeit Mittel zum Unterhalt zu beschaffen. Auer ging nach Hamburg und fand dort an der neugegründeten »Gerichtszeitung« Stellung. Rackow, der Geschäftsführer der Berliner Genossenschaftsbuchdruckerei, wanderte nach London aus. Eine kleine Zahl der ausgewiesenen Genossen schwamm über den »großen Teich« nach den Vereinigten Staaten, die Mehrzahl kam nach Leipzig – darunter F.–W. Fritzsche – und Hamburg. Um neue Mittel zu schaffen, verfaßte ich im Einverständnis mit den übrigen Komiteemitgliedern folgendes Rundschreiben, das ich an alle mir geeignet scheinenden Persönlichkeiten sandte.

      »Leipzig, Datum des Poststempels.

      Geehrter Herr!

      Infolge von Vorgängen, die Ihnen hinlänglich bekannt geworden sein dürften, sind eine große Anzahl von Personen heimat- und existenzlos geworden und mit ihren Angehörigen bitterster Not überantwortet.

      Diese Notleidenden soweit als möglich zu unterstützen und ihnen zu einer anderweitigen Existenz zu verhelfen, dürfte ein Gebot der einfachsten Menschenpflicht sein, und erlaube ich mir deshalb im Einverständnis einer Anzahl meiner Freunde, auch an Sie die dringende Bitte zu richten, ein Scherflein für die Notleidenden beitragen zu wollen und in gleichem Sinne im Kreise Ihrer Freunde zu wirken.

      Ihren Beitrag wollen Sie gütigst unter der Adresse: Herrn M. Kobitsch, Dresden, an der Frauenkirche 6 und 7, oder an Frau J. Bebel, Hauptmannstraße 2, Leipzig, einsenden.

      Gewissenhafter Verwendung eingehender Beträge und diskretester Behandlung der ganzen Angelegenheit dürfen Sie sich versichert halten.

      Hochachtungsvoll A. Bebel.«

      Die vorsichtige Fassung des Rundschreibens zeigt, wie sehr wir im Dunkeln tappten. Wir mußten vorerst feststellen, wie weit wir auf Grand des Gesetzes würden gehen können, denn die Sammlung der Gelder konnte nicht verborgen bleiben. Tatsächlich erfolgte auch einige Monate später bei mir eine ergebnislos gebliebene Haussuchung und eine Anklage auf Grund des Sozialistengesetzes wegen verbotener Geldsammlungen. Ich wurde aber freigesprochen. Damals gingen die Gerichte noch nicht so weit, Sammlungen für die Ausgewiesenen zu bestrafen, später aber, als die Behörden solche Sammlungen ausdrücklich auf Grund des Sozialistengesetzes verboten, wurde die Rechtsprechung eine andere. Wir mußten jetzt die Sammlungen ausschließlich für die Familien der Ausgewiesenen vornehmen.

      Meine Aufforderung zur Geldsammlung wurde von einem Erfolg gekrönt, den ich nicht erhofft hatte. Später, als die Handhabung des Gesetzes immer strenger wurde und die Zahl der Ausgewiesenen immer größer, veranstalteten auch einzelne Abgeordnete der Linken im Reichstag Geldsammlungen. Sogar der Abgeordnete Lasker, dem sehr bald das Gewissen wegen seiner Zustimmung zum Gesetz schlug, beteiligte sich an einer solchen.

      Die Unterbringung der Ausgewiesenen in eine Arbeitsstelle wurde uns, wie ich schon ausgeführt, sehr schwer gemacht. Die wirtschaftliche Krise befand sich noch auf voller Höhe. Ein Überangebot von Arbeitskräften war in fast allen Branchen vorhanden. Und war es einem Ausgewiesenen geglückt, eine Stelle zu erhalten, flugs erschien die Polizei und denunzierte den armen Teufel seinem Arbeitgeber, der oft widerwillig den eben erst angenommenen Arbeiter entließ. Der mußte jetzt sein Ränzel aufs neue schnüren und zum Wanderstab greifen. Für Männer in vorgeschrittenen Jahren ein hartes Los.

      Die fortgesetzten Ausweisungen und die Schikanierung der Ausgewiesenen durch die Polizei hatten aber einen Erfolg, den unsere Staatsretter nicht vorausgesehen. Durch die Verfolgungen aufs äußerste verbittert, zogen sie von Stadt zu Stadt, suchten überall die Parteigenossen auf, die sie mit offenen Armen aufnahmen, und übertrugen jetzt ihren Zorn und ihre Erbitterung auf ihre Gastgeber, die sie zum Zusammenschluß und zum Handeln anfeuerten. Dadurch wurde eine Menge örtlicher geheimer Verbindungen geschaffen, die ohne die Agitation der Ausgewiesenen kaum entstanden wären. Der Vorgang erinnert an die Verfolgung der Christen in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung durch die römischen Cäsaren und ihre Werkzeuge. In die äußersten Winkel des Reiches vor den Verfolgungen flüchtend, predigten sie überall die neue Lehre, wegen der sie verfolgt wurden, und untergruben so am meisten das Reich, das sie als Umstürzler fürchtete. Es muß ausgesprochen werden, daß die Ausgewiesenen, meist kenntnisreiche energische Männer, damals der Partei die größten Dienste leisteten und ihr doppelt und dreifach vergalten, was die Partei an finanziellen Opfern für sie bringen mußte. Das kam auch allmählich unseren Feinden zum Bewußtsein. Von den Bürgermeistern der kleinen Städte und den Landratsämtern liefen fortgesetzt Klagen bei den höheren Instanzen ein über das Unheil, das diese Ausgewiesenen in ihren Bezirken anrichteten. So kam es, daß man vom Jahre 1886 an wenigstens in Berlin nur ganz ausnahmsweise auswies. Man sagte geradezu denjenigen, die man auf verbotenen Wegen ertappte, nachdem sie ihre Strafe verbüßt: Wir weisen euch nicht aus, draußen agitiert ihr, aber hier haben wir euch unter der Fuchtel und legen euch das Handwerk.

      Mit welchen Augen ich die Lage Ende 1878 beurteilte, nachdem das Gesetz etwas über zwei Monate in Kraft gewesen war, mag folgender Brief vom 12. Dezember an Vollmar zeigen, der zu jener Zeit noch im Landesgefängnis zu Zwickau wegen Preßvergehens eine lange Straftat verbüßte.

      »Wenn ich Sie so lange mit einigen Zeilen von mir warten lasse, so muß ich zu meiner Entschuldigung das alte Lied wiederholen: Überhäufung mit Arbeit. Die Maßregelungen, die Ausweisungen usw. haben mir eine Menge von Arbeiten gebracht, an die ich bei Kreierung des Gesetzes nicht gedacht. Statt daß es recht stille werden sollte, habe ich mehr zu tun wie die ganzen Jahre zuvor, und zum Glück setzt СКАЧАТЬ