Nietzsche aus Frankreich. Jacques Derrida
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Название: Nietzsche aus Frankreich

Автор: Jacques Derrida

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

Серия:

isbn: 9783863936082

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СКАЧАТЬ und im Weinen aus und vergeudet sich als Lachen und Weinen selber, die das Bild dieses Bedürfnisses sind – Lachen und Weinen, die unabhängig von jedem Motiv entstehen, welches das bewußte Denken in seiner Zweckmäßigkeit ihnen zu Recht oder Unrecht beilegen mag. Und so verschwendete sich unser tiefstes Bedürfnis und der Verlust jeden Ziels würde für einen Augenblick mit unserem tiefen Glück zusammenfallen.

      Das Pathos versteht also sehr wohl uns, während wir an seiner Art, zu verstehen, nicht teilhaben können. Denn woher kommt uns plötzlich dies Fehlen eines vernünftigen Motivs und diese Befriedigung, die wir im Lachen oder Weinen vor dem offenbar grundlosesten Schauspiel finden, wie es uns die Ansicht einer plötzlich enthüllten Landschaft oder die Brandung am Meeresstrand bietet; etwas in uns lacht oder weint, das, um sich unsrer zu bedienen, uns verzückt und uns selbst uns entzieht; heißt das, daß dies Etwas nie anders als in den Tränen und im Lachen gegenwärtig ist? Denn wenn ich in dieser Weise lache und weine, verstehe ich nur, daß dies unbekannte Motiv, das in mir weder Gestalt noch Sinn gewonnen hat, sofort verschwindet, wenn es nicht das Bild dieses Waldes oder dieser eifersüchtigen Wellen über verschütteten Schätzen ist. In Beziehung auf dies unbekannte Motiv, das mir diese äußeren Bilder verbergen, bin ich nur Bruchstück, wie Nietzsche schreibt, mir selbst nur ein Rätsel und grauser Zufall. Und als Bruchstück, als Rätsel, als Zufall bleibe ich in Beziehung zu meinem Wesentlichsten, das sich, vielleicht, in diesem Lachen und diesem Weinen ohne vernünftigen Grund ausgesprochen hat; doch dies Wesentlichste, das sich in dieser Weise geäußert hätte, würde einem dem Licht des Bewußtseins verborgenen Bilde entsprechen, einem gegen mich selbst verkehrten Bilde, das ich, in der Perspektive des Ziels befangen und bei dem Versuch, diesem Lachen oder Weinen das größte Ausmaß an Bewußtsein zu schenken, zu begreifen versäumt habe; und es muß also eine Notwendigkeit geben, die mich lachen oder weinen machen will, als würde ich freiwillig lachen oder weinen; und ist diese Notwendigkeit nicht die selbe wie diejenige, die die Nacht in Tag verkehrt, den Schlaf in ein Wachen, darin das Bewußtsein seine Ziele aufrichtet? Sollte es nicht die selbe Notwendigkeit sein, die die Bilder des hellen Tages wieder in die der Nacht verkehrt? In der Perspektive auf ein Ziel leben und denken bedeutete also für mich, von meinem Wesentlichsten mich entfernen, von dieser Notwendigkeit, die sich in mir als mein tiefstes Bedürfnis ausspricht; mein Wesentlichstes wiederzuerlangen bedeutete folglich, gegen den Strich meines Bewußtseins zu leben, und in diese Notwendigkeit, die mich im Lachen und im Weinen überrascht hat, hätte ich all mein Wollen und mein Vertrauen zu setzen; denn dieselbe Bewegung, die das Bewußtsein aus der Nacht in die Morgenröte, wo sie ihr Ziel setzt, hinauswirft, entfernt mich von diesem Ziel, um mich zu dem zurückzuführen, was ich in der tiefen Mitternacht an Wesentlichem habe. Dieser Notwendigkeit unterworfen zu sein, ist eines; ein andres ist es, ihr wie einem Gesetz unterworfen zu sein; und wieder ein anderes, dieses Gesetz im Bild des Kreises zu formulieren.

      Das Streben nach Wahrheit ist uns als Trieb gegeben und dieser Trieb mit der Funktion des Bewußtseins vermischt; zu fragen, inwieweit das Streben nach Wahrheit dem Pathos und seinen Irrtümern einverleibt werden kann, würde also heißen, daß das Pathos etwas erzeugt, was es sich noch einverleiben muß. Und tatsächlich – wenn das Bewußtsein nur diesem Streben als seinem eigenen Trieb folgt, so wirkt es, im Namen der Wahrheit, auf seinen eigenen Ruin hin: was ist es, das einem derartigen triebhaften Streben nachgeht, dies Ding oder dieser Zustand, den das Bewußtsein unter dem Namen der Wahrheit am hellichten Tage als sein Ziel aufstellt? Was ist dieser Name der Wahrheit andres als das verkehrte Bild dessen, wovon dieses Streben selber das Bedürfnis war? Und auf diese Weise diesen letzten Trieb, Streben nach Wahrheit genannt, seinerseits umzukehren – dieses Streben des in seiner Gesamtheit ergriffenen Pathos –, das Bild dieses Strebens umzukehren, heißt das zu formulieren, was Nietzsche im folgenden Satz ausspricht: Wahrheit ist die Art von Irrtum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte. Der Wert für das Leben entscheidet zuletzt. Das im Leben zuletzt aufgetretene Streben – das gefährliche Streben nach Wahrheit, wäre also bloß die Umkehrung des gesamten Pathos unter der Form des Ziels.

      Doch hier entdecken wir bei Nietzsche etwas Beunruhigendes: in welcher Absicht stellt er die Frage, inwieweit die Wahrheit ihre Einverleibung in die Lebensbedingungen verträgt, in welchem Sinn sagte er, daß dies triebhafte Streben nach Wahrheit wie die natürlichen Irrtümer lebenserhaltend geworden sei? Hat er die Frage nicht in den Begriffen des bewußten, aber herdenhaften Denkens gestellt, in den Begriffen des Bewußtseins, das sich notwendig ein Ziel setzt, und erfüllen sich nicht die Begriffe von Irrtum und Wahrheit, ihres Gehalts durch die herdenhafte Bedeutung schon beraubt, sogleich mit deren Gehalt?

      Welche Form müßte diese Erfahrung für den Philosophen oder den Denker oder den Weisen im Sinne Nietzsches annehmen, um gelehrt werden zu können? Wie wäre der Wille dazu zu bringen, gegen den Strich der bewußten Zweckmäßigkeit zu wollen, daß dies Wollen sich demjenigen zuwende, was es selbst als sein Wesentlichstes hat, als sein am wenigsten Mitteilbares, daß es sich selbst als sein Objekt nehme, sich selbst als zu sich selbst zurückgekehrtes Wollen der zu sich selbst zurückgekehrten Existenz begreift? Wäre es nicht nötig, das bewußte Denken wachzurufen und folglich die Sprache der Herde (in diesem Fall die des Positivismus) zu verwenden und den Begriff des Nutzens und des Ziels gegen allen Nutzen und gegen jedes Ziel gekehrt wiederaufzunehmen?

      Im rückblickenden Vorwort zur Fröhlichen Wissenschaft, das von 1886 datiert ist, lesen wir:

      »Incipit tragoedia – heißt es am Schlusse dieses bedenklichunbedenklichen Buches: man sei auf der Hut! Irgend etwas ausbündig Schlimmes und Boshaftes kündigt sich an: incipit parodia, es ist kein Zweifel…«

      Was bedeutet, heißt es im ersten Aphorismus der Fröhlichen Wissenschaft, was bedeutet das immer neue Erscheinen jener Stifter der Moralen und Religionen, jener Urheber des Kampfes um sittliche Schätzungen, jener Lehrer der Gewissensbisse und Religionskriege? Was bedeuten diese Helden auf dieser Bühne? … Es versteht sich von selber, daß auch diese Tragöden im Interesse der Art arbeiten, wenn sie auch glauben mögen, im Interesse Gottes und als Sendlinge Gottes zu arbeiten. Auch sie fördern das Leben der Gattung, indem sie den Glauben an das Leben fördern. »Es ist wert zu leben – so ruft ein jeder von ihnen –, es hat etwas auf sich mit diesem Leben, das Leben hat etwas hinter sich, unter sich, nehmt euch in acht!« Jener Trieb, welcher in den höchsten und gemeinsten Menschen gleichmäßig waltet, der Trieb der Arterhaltung, bricht von Zeit zu Zeit als Vernunft und Leidenschaft des Geistes hervor; er hat dann ein glänzendes Gefolge von Gründen um sich und will mit aller Gewalt vergessen machen, daß er im Grunde Trieb, Instinkt, Torheit, Grundlosigkeit ist. Das Leben soll geliebt werden, denn! Der Mensch soll sich und seinen Nächsten fördern, denn! Und wie alle diese Solls und Denns heißen und in Zukunft noch heißen mögen! Damit das, was notwendig und immer, von sich aus und ohne allen Zweck geschieht, von jetzt an auf einen Zweck hin getan erscheine und dem Menschen als Vernunft und letztes Gebot einleuchte – dazu tritt der ethische Lehrer auf, als der Lehrer vom Zweck des Daseins, dazu erfindet er ein zweites und anderes Dasein und hebt mittels seiner neuen Mechanik dieses alte gemeine Dasein aus seinen alten gemeinen Angeln…. Und Nietzsche schließt: nicht nur das Lachen und die fröhliche Weisheit, sondern auch das Tragische mit all seiner erhabenen Unvernunft gehört unter die Mittel und Notwendigkeiten der Arterhaltung! – Und folglich! Folglich! Folglich! Oh versteht ihr mich, meine Brüder? Versteht ihr dieses neue Gesetz der Ebbe und Flut? Auch wir haben unsere Zeit!

      Wird nun Nietzsche seinerseits als ein neuer Lehrer vom Zwecke des Daseins die Szene betreten? Als ein neuer Lehrer der Moral? Sollte es nötig sein, die Überlegungen des bewußten zwecksetzenden Denkens für das zur Hilfe zu rufen, was wir als Wesentlichstes besitzen, wenn es darum geht, die Existenz ohne Zweck zu begreifen? Nietzsche bringt immer wieder eine Formel ins Spiel, die einen Imperativ zu implizieren scheint: den Willen zur Macht.

      Es gibt eine große Schwierigkeit: welche ist Nietzsches wahre Sprache? Ist es die seiner Erfahrung, die der Inspiration, die der Offenbarung oder diejenige der aufgegebenen Erfahrung, also die des Experiments? Und gibt es СКАЧАТЬ