Название: Sag mir, was du wirklich meinst
Автор: Oren Jay Sofer
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783867813693
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Präsenz gehört zu den Dingen, die sich in Worten nur schwer auf den Punkt bringen lassen, und doch macht sie im Hinblick auf unsere Lebensqualität einen riesigen Unterschied. Ich definiere Präsenz als das Erleben, im gegenwärtigen Moment vollkommen bewusst zu sein und den eigenen Körper zu spüren. Meiner Erfahrung nach ist Präsenz so wichtig für die Kommunikation, dass ich all meine Trainings damit beginne, das deutlich zu machen und den Teilnehmenden einen Geschmack davon zu vermitteln, wie es ist, im Gespräch präsent zu sein.
Präsenz ist das verkörperte Gewahrsein unseres unmittelbaren sinnlichen, mentalen und emotionalen Erlebens.
Bei einer der Übungen, die ich als Erstes anleite, lade ich die Teilnehmenden ein, einander eine kurze Geschichte zu erzählen. Wir beginnen mit einigen Minuten Stille, um zu spüren, wie es ist, ganz hier und sich des eigenen Körpers gewahr zu sein. Dann hört die eine Person zu, während die andere ihre Geschichte erzählt, beide in dem Versuch, im gegenwärtigen Moment präsent zu bleiben.
Nach etwa einer Minute läute ich eine Glocke und bitte alle innezuhalten – wo auch immer sie gerade sind, und sei es mitten im Satz. Ich lade sie ein, zu dem Gefühl von Präsenz zurückzukehren und wahrzunehmen, was in ihren Körpern geschieht. Nach einigen Momenten der Stille fahren sie fort und tauschen dann die Rollen, sodass alle Teilnehmenden die Gelegenheit bekommen, im Sprechen innezuhalten. Die meisten Menschen berichten hinterher zweierlei: (1) wie schnell sie den Kontakt zu ihrem Körper verloren haben und (2) wie aufgewühlt sie innerlich waren, als sie innehielten.
Einen Moment lang die Präsenz zu halten ist für die meisten Menschen machbar und einfach. Kontinuierlich mit der Präsenz in Kontakt zu bleiben ist viel schwieriger – offen gesagt, es erfordert einige Übung. In einem Gespräch die ganze Zeit über bewusst zu bleiben ist sogar noch anspruchsvoller. Wir neigen stark dazu, die Präsenz zu verlieren: Oft fallen wir schon aus ihr heraus, sobald wir nur die Augen öffnen. Und es ist kaum zu glauben, wie schwer es ist, hier zu bleiben, sobald wir den Mund öffnen!
Natürlich kennen wir alle auch Ausnahmen: Sei es die Intimität, die wir in romantischen Beziehungen erleben, oder Momente gesteigerten Gewahrseins in der Natur. In solchen Augenblicken fühlen wir oft eine tiefe Verbundenheit. Es ist genau die Kombination von tiefer Präsenz und der Beziehung zu einem anderen Menschen oder unserer Umgebung, die diese Erfahrungen so eindrücklich macht.
Präsenz in eine Beziehung zu bringen ist eine kraftvolle Praxis. Es bedeutet, dass wir wirklich da sind, für uns, für die andere Person und für das, was zwischen uns passiert. Doch es gibt einige Gründe, warum es schwer ist, präsent zu bleiben, während wir sprechen und zuhören:
Wir fühlen uns verletzlich, wenn wir von Angesicht zu Angesicht mit einem anderen Menschen sprechen.
Soziale Interaktion kann unser Nervensystem aktivieren und uns nervös machen.8
Wir neigen dazu, unsere Aufmerksamkeit entweder nach außen zu richten, auf die andere Person, oder nach innen, auf unsere Gedanken – und so das Gefühl für die Bezogenheit und die Verbindung zu verlieren.
Wir sind nicht geübt, im Gespräch präsent zu bleiben.
Bei Primaten kann Blickkontakt ein Ausdruck von Aggression sein. Und auch in uns Menschen wirkt noch immer und trotz der Größe unseres Gehirns diese alte Konditionierung, wenn wir einem anderen ins Angesicht schauen. In Sekundenschnelle schätzt unsere Biologie ein, ob wir in Sicherheit sind: »Ist das ein Freund, ein Feind oder ein potenzieller Partner?«
Obwohl diese Konditionierung meist unterhalb der Bewusstseinsschwelle wirkt, spielt sie doch zu Beginn der meisten Interaktionen eine gewisse Rolle. Wenn wir unsere Kommunikationsmuster transformieren wollen, so gehört dazu auch, dass wir diese grundlegende Verunsicherung in unserem Nervensystem erkennen und wissen, wie wir uns erden und beruhigen können. (In Kapitel 3 werde ich Ihnen einige Methoden vorstellen, die das begünstigen.)
Menschliche Stimme, Atem und Identität
Ein weiterer Grund, warum Kommunikation ein solch heikles Terrain ist, hat damit zu tun, wie sich unser Hören entwickelt hat. Unsere Ohren sind auf eine sehr spezifische Bandbreite an Klängen eingestellt und reagieren besonders sensibel auf einen engen Frequenzbereich: die menschliche Stimme. (Die Ohren vieler Tiere sind ebenfalls auf einen bestimmten Klangbereich eingestellt. Die Gesänge der Wale in den Meeren oder das tiefe Grummeln von Elefanten finden in Frequenzen statt, die für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind.) Kennen Sie das: Sie hören, wie jemand in lautes Gelächter oder auch in Schluchzen ausbricht, und verspüren einen unbestimmten, aber heftigen Drang herauszufinden, was los ist? Oder waren Sie schon einmal vom Geheul einer Herde Kojoten irritiert, das der menschlichen Stimme so ähnlich ist, dass man es kaum unterscheiden kann?
Hier sind zehntausende Jahre Evolution am Werk. Um für unseren Nachwuchs zu sorgen und unsere Sippe zu schützen, hat sich die Architektur unseres Innenohrs so entwickelt, dass es ganz präzise auf die menschliche Stimme eingestellt ist und den Klang eines Menschen in Not sofort erfasst.9 Erinnern Sie sich, dass Babys zunächst nur durch Lächeln oder Weinen kommunizieren? Die Konditionierung, auf diese Signale zu reagieren, ist tief in uns eingegraben.
Wenn wir einander zuhören, wird genau diese Architektur beansprucht, daher reagieren wir darauf in zwei potenzielle Richtungen. Das Hören der menschlichen Stimme kann die im Nervensystem angelegten Mechanismen Kämpfen, Flüchten oder Erstarren aktivieren oder aber das (nach Stephen W. Porges) sogenannte »Social Engagement System«,10 das bewirkt, dass wir uns beruhigen und uns verbunden fühlen.
Der physiologische Vorgang des Sprechens trägt seinerseits dazu bei, dass Worte so aufgeladen sein können. Wir Menschen erzeugen Sprache, indem wir einen Luftstrom über den Kehlkopf und die Stimmbänder lenken. Unsere Worte werden auf einer Atemwelle getragen, demselben Atem, der die Zellen unseres Körpers mit Sauerstoff versorgt, vom Moment unserer Geburt bis zum Augenblick unseres Todes. Lassen Sie das einen Moment auf sich wirken: Wir nutzen denselben physiologischen Vorgang zum Sprechen wie zum Aufrechterhalten unserer Lebensenergie.
Es geht sogar noch weiter. Unser Atem (und damit unser Sprechen) steht mit dem Nervensystem in einer engen wechselseitigen Beziehung: Verändert sich etwas auf der einen Seite, wirkt sich das auch auf die andere aus. Wenn wir aufgeregt, ängstlich oder aggressiv sind (verschiedene Arten sympathischer Aktivierung), beschleunigt der Atem. Sind wir entspannt, ruhig oder fühlen uns wohl (verschiedene Arten parasympathischer Deaktivierung), wird unser Atem langsamer und tiefer.
Das liegt zum Teil an der besonderen Rolle der Atmung im autonomen Nervensystem, das die grundlegendsten Funktionen unseres Körpers reguliert.11 Die Atmung vollzieht sich sowohl willentlich als auch unwillentlich; sie funktioniert automatisch, lässt sich aber auch durch den Willen steuern. Beim Sprechen manipulieren wir den Atem bewusst und absichtsvoll.
All das ist für unser Training in achtsamer Kommunikation bedeutsam. Wenn wir die Beziehung zwischen unserem Atem, unseren Worten und unserem mental-emotionalen Zustand verstehen, können wir unsere Erfahrung und unseren Selbstausdruck besser steuern. An einigen Stellen in unserer Erkundung werde ich Anregungen geben, wie Sie das bewusste Atmen dazu nutzen können, die Aufmerksamkeit eines Zuhörers zu halten, mit intensiven Gefühlen umzugehen und in angespannten Situationen inneren Halt zu finden.
Auf dieser Physiologie beruht die komplexe Verbindung zwischen dem Atem, der Stimme und unserem Identitätsgefühl. Unsere Stimme ist einer der intimsten und persönlichsten Aspekte unserer selbst. Für die meisten Menschen ist sie das wichtigste Ausdrucksmittel, eine Art akustische Unterschrift, an der man uns erkennen kann. Von all den Dingen, СКАЧАТЬ