Название: Öffentliches Wirtschaftsrecht
Автор: Stefan Storr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schwerpunktbereich
isbn: 9783811495876
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Als Teilgewährleistung insbesondere der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GRCh) werden auch Geschäftsunterlagen und Geschäftsgeheimnisse geschützt, um so die Erhaltung marktwirtschaftlich erarbeiteter Wettbewerbsvorteile sicherzustellen. Für Eingriffe gilt der Gesetzesvorbehalt (Art. 52 GRCh). Als Belange des Gemeinwohls, die einen Eingriff in die Berufsfreiheit, insbesondere in die unternehmerische Freiheit, rechtfertigen können, hat der EuGH zB den Schutz der Menschenrechte, den Umweltschutz, den Schutz der Volksgesundheit, den Verbraucherschutz und die Herstellung des Binnenmarktes anerkannt. Gleichwohl zeigten sich in der praktischen Handhabung deutliche Unterschiede (s. Rn 132).
aa) Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
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Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse fallen in den Schutzbereich des Art. 12 GG, es wurde aber bereichsspezifisch unterschiedlich definiert, was sie umfassen. Grundsätzlich sind dies alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Geheimnisinhaber ein berechtigtes Interesse hat[413]. Dazu gehören insbes das technische und kaufmännische Know-how eines Unternehmens. Nunmehr findet sich erstmals eine Legaldefinition in § 2 Nr 1 GeschGehG. Das Gesetz betrifft zwar nicht unmittelbar die im öffentlichen Wirtschaftsrecht relevanten Konstellationen, da öffentlichrechtliche Geheimhaltungsvorschriften gem. § 1 Abs. 2 GeschGehG Vorrang haben. Allerdings spricht dies nicht ohne weiteres gegen die Erstreckung der Neudefinition auf das Informationsfreiheitsrecht[414].
bb) Verfahrensunabhängige Informationsansprüche
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Seitdem 1990 mit dem Umweltinformationsgesetz (UIG) erstmals in Deutschland „voraussetzungslose“ Jedermann-Ansprüche auf Information eingeführt wurden, hat sich die Rechtslage erheblich ausdifferenziert[415]. Mit Blick auf die Gesetzgebungskompetenz versteht man sie als Verfahrensrecht, so dass Bund und Länder jeweils eigene Vorschriften erlassen haben. Seit 2006 gibt es das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes. Auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts wird das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) relevant, das den freien Zugang zu gesundheitsbezogenen Verbraucherinformationen öffentlicher Stellen im Lebensmittel- und Futtermittelbereich und seit 2012 auch für Verbraucherprodukte iSd Produktsicherheitsgesetzes gewährt. Die Gesetze beruhen regelungstechnisch darauf, dass gegenüber Behörden ein voraussetzungsloser Informationsanspruch gewährt wird, der allerdings in bestimmten Fällen, unter anderem bei berechtigten Interessen Privater, wieder eingeschränkt wird[416]. Daneben treten die speziellen presserechtlichen Auskunftsansprüche nach den Landespressegesetzen und – gegenüber Bundesbehörden – als verfassungsunmittelbarer Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 GG[417]. Einen allgemeinen grundrechtlichen Anspruch auf Informationszugang gibt es demgegenüber nicht[418]. Davon zu unterscheiden sind die (punktuellen) aus Art. 12 GG bzw. Art. 19 Abs. 4 GG ableitbaren, verfahrensbezogenen Informationsansprüche[419]. Diese Vorschriften sind allerdings in ihrer Gesamtheit weniger ein Ausdruck gesetzgeberischer Systematik als Reaktion auf entsprechende Skandale[420].
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Einen solchen voraussetzungslosen Informationsanspruch betrifft Fall 9 (Rn 100)[421]. Nach § 1 Abs. 1 IFG hat B grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber Behörden des Bundes, zu denen unter Zugrundelegung des funktionellen Behördenbegriffes auch die BaFin zu fassen ist[422]. Dieses Informationszugangsrecht wird in §§ 3, 4 IFG bei besonderen öffentlichen Geheimhaltungsinteressen und in §§ 5, 6 IFG zum Schutz Dritter ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall stellt § 9 KWG eine durch Rechtsvorschrift geregelte Geheimhaltungspflicht iSv § 3 Nr 4 IFG dar, die bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 KWG zum Ausschluss des Informationszugangsrechts führt. Nach § 9 Abs. 1 S. 1 KWG dürfen die im Rahmen der Aufsicht bekanntgewordenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, deren Geheimhaltung im Interesse des Instituts oder eines Dritten liegt, nicht unbefugt offenbart oder verwertet werden. Unter die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind auch die hier von B geforderten Unterlagen seines Kreditinstituts zu fassen (s. Rn 130). Allerdings ist an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass die Maßstäbe des Geheimnisschutzes sich hier im Ergebnis aus dem Unionsrecht (hier Art. 54 MiFID I) ergeben[423]. Vertraulichkeit wird deswegen nur gewährt, wenn die Offenbarung nicht offenkundiger Informationen eine konkrete Gefahr für die Beeinträchtigung von Interessen des informationsübermittelnden Unternehmens oder Dritter oder für die Funktionsfähigkeit der Finanzmarktaufsicht bedeutet. Außerdem unterliegt der Geheimnisschutz zeitlichen Beschränkungen.
cc) Behördliche Informationsbefugnisse
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Die gesetzlichen Regelungen zu voraussetzungslosen Informationsansprüchen für jedermann erlauben der Behörde allerdings keine proaktive Öffentlichkeitsarbeit. Vielmehr bedarf es hierfür einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage, wie sie sich zB in § 6 Abs. 1 VIG findet; die Regelung des § 11 IFG bleibt dahinter zurück[424]. Der – weit auszulegende – Informationsanspruch nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr 1 VIG beschränkt sich nicht auf produktbezogene Informationen[425], allerdings lässt § 6 Abs. 1 VIG nur die Bekanntgabe von Tatsachen zu, so dass auf dieser Rechtsgrundlage insbes keine Bewertungsportale eingerichtet werden können[426]. Da die Antragsteller kein besonderes Auskunftsinteresse geltend machen müssen, fungieren der Gedanke des Rechtsmissbrauchs (dazu Rn 135) sowie die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als (im Rahmen der Abwägung grundsätzlich überwindbare) Grenze.
dd) Naming and Shaming
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Mittlerweile werden Informationen über behördliche Sanktionen gegenüber Unternehmen, die aufgrund eines bestimmten Fehlverhaltens verhängt worden sind, aber auch gezielt als Instrument indirekter Verhaltenssteuerung bzw der Rechtsdurchsetzung eingesetzt. Vorschriften über das sog. „Naming and shaming“ sehen die Veröffentlichung von Maßnahmen und Sanktionen auf der Internetseite der Aufsichtsbehörde vor. Sie finden sich, ausgehend vom Lebensmittelrecht, mittlerweile in vielen Bereichen des öffentlichen Wirtschaftsrechts (exemplarisch für die Finanzmarktaufsicht §§ 60b ff KWG; §§ 123 ff WpHG). Soweit die entsprechenden Ermächtigungen auf europäischem Sekundärrecht beruhen, sind sie an den europäischen Grundrechten zu messen[427]. Nur bei wenigen, europarechtlich nicht veranlassten oder über die sekundärrechtlichen Mindestanforderungen hinausgehenden Vorschriften bleibt Raum für eine Prüfung am Maßstab der deutschen Grundrechte (zB § 109 Abs. 2 WpHG). Der vielfach bemühte Vergleich mit dem mittelalterlichen Pranger ist genauso polemisch wie plastisch: Das Ausmaß der Sanktionswirkung hängt vollständig von der Reaktion der Öffentlichkeit ab und ist behördlich nicht mehr steuerbar[428].
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Fall СКАЧАТЬ