Название: Öffentliches Wirtschaftsrecht
Автор: Stefan Storr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schwerpunktbereich
isbn: 9783811495876
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c) Reichweite der Grundrechtsbindung
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Grundrechte binden nach Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Bei der Grundrechtsbindung der Exekutive sind verschiedene Organisations- und Handlungsformen zu unterscheiden; allerdings ist mittlerweile eine umfassende Grundrechtsbindung auch im Bereich des privatrechtlichen Handelns anerkannt. Grundrechtsgebunden sind damit sämtliche Aufsichtsbehörden, aber auch die öffentlichrechtlichen Kammern (zu Fragen der Verwaltungsorganisation Rn 170 ff). Besonderer Begründung bedarf die Grundrechtsbindung nichtstaatlicher Institutionen[313].
Gegen Berufsausübungsregelungen in Gestalt von Satzungen von Kammern in Fall 8 (Rn 99) bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken[314], solange diese Satzungen auf gesetzlicher Grundlage ergehen. In dieser muss das zulässige Ausmaß von Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit umso deutlicher vorgegeben werden, je empfindlicher Berufsangehörige in ihrer freien beruflichen Betätigung beeinträchtigt werden[315]. Gerade die herkömmlichen Beschränkungen der Werbefreiheit sind aber nach Ansicht der Rechtsprechung für eine eigenverantwortliche Ordnung durch Berufsverbände geeignet, ohne dass es zusätzlicher inhaltlicher Vorgaben bedarf. Neue Rechtsprobleme stellten sich bei der Übertragung weiterer (staatlicher) Aufgaben auf die Selbstverwaltungsorgane, wie sie zB in § 124b HwO[316] bundesgesetzlich zugelassen wird. Unproblematisch ist dagegen die bloße Entgegennahme von Anzeigen (vgl etwa § 1 Abs. 2 RP-ZuVO Gewerberecht). Ebenfalls an den Grundrechten zu messen sind Maßnahmen der Bundesregierung, insbes im Bereich staatlicher Informationstätigkeit. Allerdings wird von der Rechtsprechung der Gesetzesvorbehalt eingeschränkt[317]. Dies betrifft einerseits die sog. „Fiskalgeltung“ der Grundrechte, aber auch die Grundrechtsbindung öffentlicher Unternehmen (dazu näher Rn 691 ff).
d) Die Grundrechtsprüfung: Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung
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Die Abwehrfunktion der Grundrechte prägt in den meisten Fällen die Grundrechtsprüfung[318]. Grundrechte gewähren keinen absoluten Schutz. Sofern ein Verhalten in den typischerweise eher weit gefassten Schutzbereich eines Grundrechts fällt (zum sachlichen Schutzbereich vgl die einzelnen Grundrechte, zum persönlichen Schutzbereich Rn 108 ff), ist jede staatliche Beeinträchtigung des Schutzbereichs, die sich als Eingriff darstellt rechtfertigungsbedürftig. Im Rahmen der jeweiligen Grundrechtsschranken muss sich der Eingriff dabei insbes als verhältnismäßig erweisen. Gerade beim zentralen Wirtschaftsgrundrecht der Berufsfreiheit gelten aber in mehrfacher Hinsicht Besonderheiten. Einerseits hat das BVerfG mittels der Dreistufentheorie (Rn 120 ff) die Verhältnismäßigkeitsprüfung ausdifferenziert, vor allem aber wurden die „faktisch-mittelbaren“ Grundrechtseingriffe in die Berufsfreiheit zu einem Dauerbrenner der verfassungsrechtlichen Diskussion.
Der klassische Grundrechtseingriff in Form staatlicher Rechtsakte (Gesetz und Verwaltungsakt), die unmittelbar gegenüber dem Betroffenen ergehen und in Form einer Regelung Rechtsverbindlichkeit beanspruchen, erwies sich nicht zuletzt angesichts der Ausdifferenzierung der staatlichen Handlungsformen als zu eng. Es wurde sogar die Forderung erhoben, „das gesamte sog. ʼinformaleʼ Handeln, die ʼweichenʼ Formen, die Vorgänge mit Auslandsberührung und die vielfältigen Realakte grundrechtlich systematisch neu zu vermessen“[319]. Die Probleme hängen wesentlich mit der Rechtsfigur des Eingriffes als des „unentbehrlichen Systemelementes“ der Grundrechtsdogmatik[320] zusammen, der trotz der mittlerweile jahrzehntelangen Diskussion um die „faktisch-mittelbaren Grundrechtseingriffe“ immer noch nicht geklärt ist[321]. Allerdings hat das BVerfG seine häufig kritisierte Glykol-Rechtsprechung zu den staatlichen Informationseingriffen im Bereich des Art. 12 GG mittlerweile aufgegeben (s. Rn 118 f). Da im öffentlichen Wirtschaftsrecht weiterhin der (adressatenbezogene) Verwaltungsakt dominiert, bedarf es nur selten einer Auseinandersetzung mit dem Eingriffsbegriff. Zugleich hat sich die Diskussion um das staatliche Informationshandeln auf die Ebene des einfachen Rechts verlagert, vgl Fall 10 (Rn 101, 119). Dabei werden die nationalen Grundrechtsstandards durch das Unionsrecht verdrängt, sofern – wie insbes beim bankaufsichtsrechtlichen „Naming and shaming“ – die Vorschriften eine unionsrechtliche Grundlage haben (dazu Rn 134).
2. Die Berufsfreiheit (Art. 12 GG)
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Art. 12 GG sichert „die Freiheit des Bürgers, jede Betätigung, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen“[322] und schützt damit nach der Rechtsprechung ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit[323]. Diese hat das BVerfG zum zentralen „Baustein“ seiner Wirtschaftsverfassung entwickelt[324]. Träger des Grundrechts sind nach dem Wortlaut alle Deutschen (s. zu EU-Bürgern und Unternehmen Rn 108 f). Da sich aus Art. 12 GG kein Schutz vor Konkurrenz ableiten lässt (s. zur Wettbewerbsfreiheit Rn 117), sind die meisten Vorschriften des öffentlichen Wirtschaftsrechts auch nicht drittschützend. Auch gegen staatliche Konkurrenz schützen Grundrechte nur ausnahmsweise (ausf Rn 693 ff). Strukturiert werden Eingriff und Rechtfertigung durch die Dreistufentheorie bzw das Verhältnismäßigkeitsprinzip (s. Rn 120 ff).
aa) Beruf und Gewerbe
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Die sachliche Reichweite dieses Schutzes wird durch den Begriff des Berufes bestimmt. Die Berufsfreiheit umfasst nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts „jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient“[325]. Angesichts der Weite dieses Begriffes ist insbes die Ausübung eines Gewerbes zentraler Bestandteil der Berufsfreiheit, wie das BVerfG im grundlegenden „Apothekenurteil“ nachdrücklich betont hat[326]. Jedes Gewerbe im Sinne der GewO ist ein Beruf im Sinne von Art. 12 GG, der insoweit auch die „Berufsbilder“ schützt, die das einfache Recht ausdifferenziert[327]. Die Garantie der Berufsfreiheit beschränkt sich allerdings nicht auf traditionell bzw rechtlich fixierte, typische Berufe, sondern überlässt es grundsätzlich der Dispositionsbefugnis des Grundrechtsträgers, sein Berufsbild selbst festzulegen[328]. Von der Berufsfreiheit werden schließlich auch solche Tätigkeiten erfasst, die der Verwaltung oder bestimmten Personen vorbehalten СКАЧАТЬ