Название: Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Автор: Almut Hille
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr Studienbücher LITERATUR- UND KULTURWISSENSCHAFT
isbn: 9783823302193
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Haben die Lernenden Gelegenheit zur Überprüfung ihres Textverständnisses erhalten?
Die empfohlenen, im Unterricht immer wieder anzuwendenden Lesestrategien beziehen sich grundsätzlich auf das Lesen von Sach- und Informationstexten wie von literarischen Texten. Beim Lesen literarischer Texte sind jedoch Strategien in den Vordergrund zu rücken, die deren besonderen Merkmalen gerecht werden – etwa der Autofunktionalität, der Konnotation (Andeutung und Mehrdeutigkeit), der Verfremdung (von Alltagssprache bzw. etablierter literarischer Formensprache) und der Symbolik (auch literarischer Formen) (→ Kap. 1).
Für eine „Literaturdidaktik, die vom Lesen ausgeht,“ formuliert Ehlers (2010) verschiedene „selektive Mechanismen“ (ebd.: 1538), die für das Leseverstehen von grundlegender Bedeutung sind: etwa die Unterscheidung von Wichtigem und Unwichtigem; die Frage, ob Texte thematisch zugänglich sind, die sich jeweils vom Text her (objektiv) und von den Lesenden her (subjektiv) diskutieren lässt; die Vertrautheit mit Konventionen sowie die Dimensionen von je individuell differierender Emotion und Motivation der Lesenden. Für den fremdsprachlichen Leseprozess kommen zu dieser allgemeinen Basis noch verschiedene Variablen hinzu wie das Verhältnis zwischen der L1 und der L2, die Fremdsprachenkenntnisse der Lernenden, die Leseflüssigkeit in der Fremdsprache sowie die Ressourcen an kulturellem Wissen (ebd.: 1539). Ehlers formuliert ihre Ausführungen zum fremdsprachlichen Lernen vor allem im schulischen Kontext von Deutsch als Zweitsprache und nennt auch das soziale Bedingungsgefüge als Faktor für das Lesen in der L2; dazu gehören das „Bildungsmilieu (Bildungsabschluss der Eltern, Einkommen, Beruf), das Prestige der Herkunftssprache innerhalb einer Gesellschaft und die demografische Verteilung von Minderheitengruppen“, oftmals nur „[r]eduzierte kulturelle Ressourcen (Bücher, Zeitungen), die Kommunikationssprache in der Familie (L1 vs. L2), die Medienpraxis (Nutzung von Medien in der L1 oder L2) und die Sprachfertigkeit der Eltern in der Zweitsprache“ sowie die „literalen Ressourcen (Zugang zu Gedrucktem) und Praktiken im Elternhaus mit Vorlesen, Geschichten erzählen und über diese kommunizieren.“ (Ehlers 2016: 58) Als Maßnahmen zur Förderung von L2-Lesekompetenzen schlägt sie vor, „zweitsprachendidaktische Elemente“ auch für die Lesedidaktik zu nutzen: „Wortschatzarbeit zur Entlastung des Textverständnisses und Verbesserung der Leseflüssigkeit, Schlüsselwortmethode, bei der Träger von Kerninformationen identifiziert werden […] Nutzen von Kontextinformationen (Titel, Bilder), Einsatz von Bildern als Semantisierungshilfe; zusätzliche Erläuterungen, Explizitmachen von Lesestrategien; für schriftliche Aufgaben Stützgerüste mit Satzbauplänen und Hilfen wie Wörter, Artikel, Nummerierungen; Aktivitäten vor der Lektüre (pre-reading-activities), z. B. Bereitstellen von kulturellem Wissen und Aktivieren von vorhandenen Kenntnissen zu einem Gegenstandsbereich.“ (Ehlers 2016: 59) Für das Lesen von literarischen Texten verweist sie auf die Interkulturelle Literaturdidaktik und deren Ansätze des Fremdverstehens (→ Kap. 8).
Wichtig für die Verbesserung der Lesekompetenz – sowohl in der L2 wie in der L1 – ist es, regelmäßig und möglichst viel zu lesen. In diesem Punkt sind sich alle Leseforscher*innen einig: Lesen lernt man am besten durch Lesen.1
II Etablierte Perspektiven in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
5 Fertigkeiten
„Grundlegend für den Fremdsprachenunterricht sind […] die vier Fertigkeiten Sprechen, Hören, Schreiben und Lesen: An ihnen zeigt sich die wahre Sprachkompetenz.“ (Brinitzer et al. 2016: 9) Einer solchen Aussage, hier der Handreichung DaF unterrichten. Basiswissen Didaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache entnommen, liegt ein handlungsorientiertes Verständnis von Fremdsprachenunterricht zugrunde: Lernende sollen zum ‚Sprachhandeln‘ befähigt werden (vgl. ebd.). Die Arbeit mit literarischen Texten spielt in einem solchen, auch im GER (2001) vertretenen Verständnis von Unterricht kaum eine Rolle. In kritischer Auseinandersetzung mit ihm wird jedoch in jüngeren Forschungsdiskussionen und auch im neuen Begleitband zum GER (2020) die Auffassung vertreten, dass literarische Texte durchaus einen Platz im Fremdsprachenunterricht haben.
Insgesamt ersetzt der GER nun „das traditionelle Modell der vier Fertigkeiten (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben), das sich als zunehmend unzureichend für die Erfassung der komplexen Wirklichkeit von Kommunikation erwiesen hat, durch kommunikative Sprachaktivitäten und Strategien“ (GER 2020: 38). Diese werden in Form von vier Modi dargestellt: Rezeption, Produktion, Interaktion und Mediation, die „die Art, wie Menschen Sprache tatsächlich benutzen, eher wider[spiegeln] als die vier Fertigkeiten“ (ebd.: 39). Gleichzeitig ergeben die Modi Rezeption und Produktion, „jeweils mündlich und schriftlich, […] die vier traditionellen Fertigkeiten“; umfasst Interaktion sowohl Rezeption als auch Produktion, umfasst Mediation sowohl Rezeption als auch Produktion und oft auch Interaktion (ebd.: 40). Die Arbeit mit literarischen Texten im weiten Sinne ist in den Modi Rezeption („Lesen als Freizeitbeschäftigung“, „Fernsehsendungen, Filme und Videos verstehen“, GER 2020: 71f., 64), Produktion („Kreatives Schreiben“, GER 2020: 81ff.) und Mediation („Persönliche Reaktion auf kreative Texte“, „Analyse und Kritik kreativer Texte“, GER 2020: 127ff.) aufgehoben. Die einzelnen Deskriptoren umfassen Aktivitäten und Strategien des Lesens, Schreibens, Hörens, Sprechens, (Hör-)Sehens und Sprachmittelns.1 Wie sie in der Forschung bislang diskutiert wurden und sicher auch weiterhin noch werden, wird im Folgenden dargestellt.
Im Fokus steht zunächst die Fertigkeit Lesen, auch im Begriff der Lesekompetenz (→ Kap. 4) aufgehoben. Sie umfasst einerseits so grundlegende Prozesse wie das Erkennen von (längeren) Wörtern oder Sätzen, andererseits aber auch die Förderung von Strategien, welche die Bedeutungskonstruktionen auf der Textebene oder die bewusste Gestaltung von Leseprozessen durch die Lernenden unterstützen.
Literarische Texte gelten als besonders geeignet zur Förderung von Lesekompetenz, da sie – anders als Sach- und Informationstexte – „eine Stärkung der emotionalen und damit auch motivationalen Lesebereitschaft“ (Burwitz-Melzer 2006: 109) bewirken können. Die emotionale Lesebereitschaft kann durch Unterhaltung und empfundene Spannung, durch Interesse an der beobachteten (neuen) Welt oder durch Identifikationen mit einzelnen Figuren und deren Wegen über das ‚Reale‘ hinaus aufgebaut werden. Die Vorstellungskraft und Phantasie der Lernenden, die Bilder zum Geschehen in ihren Köpfen entwickeln, werden angeregt; die Rede ist in diesem Zusammenhang auch vom „Lesen als Kino im Kopf“ (Spinner 2004: 199). Es sind ganz unterschiedliche Bilder, die beim Lesen in den Köpfen einzelner Menschen entstehen. Durch ihre Unbestimmtheiten und Mehrdeutigkeiten fordern literarische Texte diese heraus. Sie fördern die kreative Mitwirkung an der Bedeutungskonstruktion, die durch bestimmte Strategien bzw. Verfahren (→ Kap. 20) unterstützt werden kann.
Zur bewussten Gestaltung von Leseprozessen gehört auch die Anwendung verschiedener Lesestile durch die Lernenden – abhängig von Zielsetzungen und Aufgabenstellungen (→ Kap. 19) für das Lesen. Zu unterscheiden sind, in etwas anderer Formulierung auch im GER dargestellt, grundlegend folgende Stile des Lesens (wie auch des Hörens und des Hör-Sehens):
global (bzw. kursorisch): Die Leser*innen erkennen Thema, Zeit, Raum und Handlung des Textes, zentrale Figuren bzw. Figurenkonstellationen sowie zentrale Textverfahren (bspw. Ironie) und Textsymboliken.
selektiv (bzw. selegierend): Die Leser*innen erfassen bestimmte Informationen des Textes.
detailliert: Die Leser*innen erfassen den Text und seine ‚Machart‘, seine Strukturmerkmale und deren mögliche Funktionen wie Wirkungen möglichst vollständig (vgl. auch Schramm 2008: 160).
Neben dem hier intendierten intensiven Lesen einzelner Texte in der Regel im Unterricht ist auch das extensive Lesen, d.h. die regelmäßige freie Lektüre selbst gewählter Texte in der Fremdsprache, zu fördern СКАЧАТЬ