Ekiden. Adharanand Finn
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Название: Ekiden

Автор: Adharanand Finn

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783903183896

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СКАЧАТЬ erholen könnte.

      An einem Tante-Emma-Laden biegen wir rechts ab und fahren einen steilen Hügel hinauf, vorbei an der Steiner-Schule und in ein Wohnviertel. Wir befinden uns noch immer in den Sommerferien, und die Straßen sind ruhig. Es hat etwa 30 Grad. Die Häuser stehen nahe an der Straße und so knapp nebeneinander, dass kaum eine Person dazwischenpasst. Bei fast allen Häusern sind die Rollläden unten.

      Schließlich halten wir vor dem Haus, das für die nächsten sechs Monate unser Heim sein wird. Wir steigen aus. Wir sind sicher ein Kuriosum hier in der Gegend, doch es gibt kein Anzeichen dafür, dass uns jemand heimlich beobachtet. Max schließt die Eingangstür auf. Drinnen ist es dunkel. Die Jalousien sind unten, und das Haus ist komplett leer. Keine Möbel, Töpfe oder Pfannen. Nicht einmal ein Kühlschrank oder eine Waschmaschine.

      „Lasst uns einkaufen gehen“, sagt Max.

      4

      Und so beginnt unser neues Leben in Japan. Bevor wir England verließen, las ich das Buch Mister Aufziehvogel des japanischen Autors Haruki Murakami. Es spielt in einer unscheinbaren Nachbarschaft in einem japanischen Vorort wie diesem hier. Doch hinter der scheinbaren Normalität des Alltagslebens verbirgt sich eine dunkle, verstörende und surreale Welt. Während wir unsere Futons auf dem nackten Holzboden ausrollen, frage ich mich, worauf wir in unserer kleinen Sackgasse stoßen werden.

      Die erste Person aus unserer Nachbarschaft, die sich uns vorstellt, ist eine Dame namens Rie, die nebenan wohnt. Es ist eine kräftige Frau mit einem breiten, freundlichen Lächeln. Und sie spricht sogar Englisch. In ihrer Jugend, bevor sie heiratete und Kinder bekam, hatte sie ein halbes Jahr in London verbracht. Während der nächsten sechs Monate sollte sie unsere gute Fee sein. Immer, wenn es Schwierigkeiten gibt, wir Briefe in unserem Briefkasten nicht lesen können oder wissen wollen, wie wir unsere Rechnungen bezahlen müssen, uns Bücher aus der Bibliothek ausborgen wollen oder einen Arzt suchen, erscheint sie wie aus dem Nichts an unserer Tür und bietet uns ihre Hilfe an.

      Ein paar Monate, nachdem wir eingezogen sind, bestellen wir unabsichtlich eine große Menge an Meeresfrüchten. Als es an der Tür läutet, steht ein Mann mit einer Schachtel und einem Zettel da. Ich verstehe kein Wort von dem, was er sagt, und so nehme ich beides entgegen. Meine Kinder wollen sehen, was sich in der Schachtel befindet. Wir nehmen den Deckel ab und sehen, dass die Box bis oben hin mit Eis und Plastiktüten mit Wasser gefüllt ist, in denen sich noch lebende Schalentiere räkeln.

      „Marietta“, rufe ich, „hast du das bestellt?“

      Das Einzige, was uns in so einem Fall übrig bleibt, ist, hinüber zu Rie zu gehen. Sie sieht sich den Zettel an und meint, dass wir wahrscheinlich das falsche Kästchen auf einem Formular angekreuzt haben. Wir verwenden sehr oft einen örtlichen Zustelldienst, der uns Essen liefert. So bestellen wir auch einmal unabsichtlich 100 Zwiebeln. Wir hatten kaum ein paar davon aufgebraucht, als in der folgenden Woche bereits eine weitere Großlieferung Zwiebeln auftaucht.

      Mit Meeresfrüchten ist das etwas anderes, die müssen schnell verzehrt werden, vor allem wenn man sich ansieht, wie sie sich noch in den Tüten bewegen. Unser Problem ist allerdings, dass wir alle Vegetarier sind. Rie lächelt und meint, wir sollen uns keine Sorgen machen. Sie kauft uns die Schalentiere ab und wird sie selbst zum Abendessen zubereiten.

      „Meine Kinder werden sich freuen“, sagt sie, als hätten wir ihr damit einen großen Gefallen getan.

      Die anderen Leute, mit denen wir in den ersten Tagen Bekanntschaft schließen, sind eine Familie, die gegenüber wohnt und deren drei Kinder ebenfalls die Steiner-Schule besuchen. Wie es der Zufall so will, geht eine der Töchter in Lilas und eine in Umas Klasse. Sie haben auch einen 15-jährigen Sohn. Die Familie spricht kein Wort Englisch, doch als sie hören, dass ich nach Japan gekommen bin, um ein Buch über das Laufen zu schreiben, ist Yoshiko, die Mutter, ganz verzückt. Wir brauchen ein Weilchen, um zu verstehen, was sie uns sagen will, doch es stellt sich heraus, dass ihr Sohn oft zusammen mit seinen Freunden läuft. Und zwar jeden Morgen vor Schulbeginn. Um halb sechs.

      Zuerst glaube ich, dass ich sie missverstanden habe. 15-jährige Burschen, die jeden Morgen bei Sonnenaufgang miteinander laufen gehen? Wirklich? Sie gehören nicht zu einem Verein, sie tun es nur, weil es ihnen Spaß mache, meint sie. Das kann ich mir nicht vorstellen, und so frage ich sie, ob ich vielleicht einmal mitlaufen dürfe. Sie sieht mich an, als wäre ich eine Art Priester, der ihr einen Freipass in den Himmel anbietet.

      „Danke, danke“, sagt sie immer wieder, während ich mich frage, worauf ich mich da wohl eingelassen habe.

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      Am nächsten Morgen, es ist 5:20 Uhr, läutet mein Wecker. Ich ziehe meine Laufsachen an und trete vor die Haustür in den stillen Morgen. Es ist bereits recht warm. Ryohei, der Junge aus dem Haus gegenüber, wartet bereits. Er trägt einen Mund-Nasen-Schutz und lehnt an seinem Fahrrad. Er verbeugt sich höflichst und deutet auf die Räder in unserer Auffahrt. Es war uns gelungen, Fahrräder für uns alle – außer für mich – zu erstehen. Also nehme ich das von Marietta und folge ihm die Straße hinunter.

      Vor dem Tante-Emma-Laden an der Ecke hält er, steigt vom Rad und schaut herum, fast so, als ob sich seine Freunde in den Büschen verstecken würden. Nichts bewegt sich im gräulichen Zwielicht. Es ist noch sehr früh. Dann sehen wir einen Jungen auf seinem Fahrrad die Straße entlang in unsere Richtung kommen. Ohne etwas zu sagen, bleibt er neben uns stehen und steigt ab. Er sieht nicht gerade überrascht aus, mich zu sehen. Einige Minuten später gesellt sich ein dritter Junge zu uns. Er lächelt und begrüßt mich auf Englisch, bevor er sich seinen beiden Kameraden zuwendet und sich leise mit ihnen unterhält. Sie alle tragen Shorts und T-Shirts. Keine spezielle Laufkleidung, sondern einfache Baumwollleibchen und normale kurze Hosen.

      Es ist nur schwer vorstellbar, dass englische Teenager so zeitig am Morgen aufstehen würden, um laufen zu gehen. Aber ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, wie oft das in Japan vorkommt. Das Ganze kann auch reiner Zufall sein, dass ich genau in der einzigen Seitengasse gelandet bin, in der es Teenager gibt, die um halb sechs in der Früh laufen gehen. Doch das scheint auch etwas weit hergeholt. So entdecke ich zum Beispiel einen anderen Jungen, der gerade Baseball trainiert, als ich wieder einmal frühmorgens das Haus verlasse. Er wirft den Ball immer wieder gegen eine Hauswand und versucht, ihn dann zu fangen. Als ich einmal spätnachts nach Hause komme, sehe ich zwei Männer, die gerade Schlagen trainieren, allerdings mit zirka 200 Federbällen, anstelle von Baseballbällen. Die Federbälle sind auf der ganzen Straße verstreut, wie kleine Papierlampions. Was diese beiden Männer, der eine Junge und die Teenager, mit denen ich an diesem Morgen laufen gehe, gemeinsam haben, ist, dass sie wirklich ernsthaft trainieren. Das ist kein einfaches „Herumspielen“, das ist richtiges Training. Sie nehmen es ernst. Diese Einstellung zum Sport wird mir während meines Aufenthalts in Japan immer wieder begegnen.

      Nachdem wir noch ein paar Minuten gewartet haben, ohne dass noch jemand gekommen wäre, steigen die drei Burschen wieder auf ihre Fahrräder und fahren los. Sie haben moderne Mountainbikes, auf denen sie sanft und geräuschlos durch die Straßen gleiten. Mariettas Rad ist alt, schwerfällig, ohne Gangschaltung und mit einem klapprigen Kindersitz. Dazu kommt, dass es zu klein für mich ist, und so muss ich mich richtig anstrengen, um mit ihnen mithalten zu können.

      Nach einer etwa fünfminütigen Fahrt verlassen wir die Vorstadtstraßen und erreichen eine weite, offene und flache Gegend mit Feldern. Die Sonne geht gerade auf und lässt Reihen von Auberginenpflanzen und Orangenbäumen in Gold erstrahlen. Jetzt macht es auf einmal Sinn, bereits wach und draußen in der Natur zu sein und herumzufahren, als wären wir vier Entdecker, die einen neuen Planeten erforschen.

      Ohne uns zu unterhalten, СКАЧАТЬ