Название: Ekiden
Автор: Adharanand Finn
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783903183896
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Viele aufstrebende japanische Firmen betrachteten die Giants als Vorbild, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der man sich selbst für das Wohl der anderen aufopfert, in der von den Angestellten erwartet wurde, zur Harmonie der Gruppe beizutragen – in diesem Fall zur Harmonie der Firma. Das bedeutete auch, dass die Arbeit an erster Stelle stand, vor der Familie und den Eigeninteressen, die zuletzt folgten. Das typische Bild eines japanischen Büroangestellten oder Sarariman, wie sie in Japan genannt werden, war ein Mensch, der früh ins Büro kommt, es spät wieder verlässt und nach der Arbeit zusammen mit seinen Arbeitskollegen etwas trinkt, bevor er nach ein paar Stunden Schlaf wieder früh zur Arbeit fährt. Die Anzahl der schlafenden Männer in Anzügen, die ich abends in den Spätzügen sehe, deutet darauf hin, dass dieses Verhalten noch immer weitverbreitet ist, obwohl vielleicht nicht mehr ganz so dominant wie einst.
Viele Unternehmen übernahmen das Konzept des Wa in ihre Firmenmottos, und Japan verdankt seinen wirtschaftlichen Aufstieg in der Nachkriegsära wohl zu großen Teilen dieser Idee.
Robert Whiting schreibt in seinem 1989 erschienenen Buch You Gotta Have Wa, das von japanischem Baseball handelt, das Wort für Individualismus, Kojin-shugi, sei in Japan ein fast schon unanständiges Wort … Das Konzept und die Praxis der Gruppenharmonie sei der größte Unterschied zwischen japanischem und amerikanischem Baseball. Es ist der rote Faden, der sich durch das japanische Leben und den japanischen Sport zieht.
„Selbst die Bienen haben es hier“, sagt Max eines Tages zu mir, als wir durch die Vororte Kyotanabes fahren, auf der Suche nach einer gebrauchten Waschmaschine.
„Die Bienen?“
„Man hat einmal versucht, in Japan europäische Honigbienen anzusiedeln“, erklärt er mir. „Aber sie wurden von den riesigen japanischen Hornissen ausgerottet. Die europäischen Bienen konnten ihnen nichts entgegenhalten. Als die Hornissen die Bienenstöcke angriffen, flogen die Arbeiterinnen einzeln aus, um den Angriff abzuwehren. Doch gegen die riesigen Hornissen hatten sie nicht den Funken einer Chance. Die haben ihnen mit ihren Kiefern einfach den Kopf abgerissen. Eine kleine Gruppe Hornissen kann einen ganzen Bienenstock innerhalb weniger Stunden vernichten.
Japanische Bienen dagegen verteidigen sich auf eine andere Art. Anstatt hoffnungslos in ihren Tod zu fliegen, warten sie, bis die erste Hornisse zum Auskundschaften in den Bienenstock eindringt. Dann stürzen sich alle gemeinsam in einem dichten Schwarm auf die Hornisse. Sie versuchen auch nicht, sie zu stechen, sondern beginnen so stark mit ihren Flügeln zu vibrieren, dass die Temperatur ansteigt und das Kohlendioxid, das sie produzieren, den ganzen Stock ausfüllt. Die Hornisse hat bei diesen hohen Temperaturen und CO2-Werten keine Chance zu überleben. Das ist die Stärke der Gruppe“, sagt Max und hält vor einem weiteren Secondhand-Laden, vor dem eine Reihe gebrauchter Fahrräder und Waschmaschinen steht.
Ekiden verkörperte den Geist des Wa perfekt. Ein Staffellauf kann nur dann erfolgreich sein, wenn jeder Teil der Staffel seine Aufgabe erfüllt. Hier müssen alle zum Wohl des Teams an einem Strang ziehen. Es passte perfekt zum damaligen Zeitgeist, und so erfreute sich der Ekiden Schritt für Schritt immer mehr an Popularität und überholte damit den Marathon in seiner Beliebtheit.
Natürlich wäre es zu einfach, den Aufstieg des Ekiden allein an der konformistischen Natur der japanischen Gesellschaft festzumachen. Tatsächlich fängt diese weitverbreitete Sichtweise Japans als Kollektivgesellschaft bei genauerem Hinsehen langsam zu bröckeln an.
„Wenn die Japaner solche Konformisten sind, wie kommt es dann, dass alle ihre landestypischen Sportarten wie Judo, Karate, Sumo und so weiter Einzelsportarten sind?“, fragt Brian Moeran, Professor für Wirtschaftsanthropologie an der Kopenhagener Business School.
Das ist eine gute Frage. Roland Kelts, der japano-amerikanische Autor von Japanamerica: How Japanese Pop Culture Has Invaded the US, meint, dass Ekiden deshalb so gut zu Japan passt, weil dieser Sport auf einer individuellen Leistungskomponente aufgebaut ist. So schreibt er, dass, obwohl Japan dazu tendiere, die Harmonie der Gruppe über die Wünsche des Einzelnen zu stellen, dies nicht bedeute, dass Individualität und individuelle Leistungen und Verantwortung abgewertet würden. Tatsächlich legt das Konzept des Amae, das Bedürfnis voneinander abhängig zu sein und sich gut mit anderen zu verstehen, großen Wert auf individuelles Verhalten und individuelle Leistung. Du musst als Einzelner ein besserer Mensch sein, wenn sich andere auf dich verlassen. So gesehen sei Ekiden der perfekte Sport für die Japaner, denn während jeder Einzelne sein Bestes geben müsse, sei das Ziel der Erfolg der Gruppe, meint er.
Baseball dreht sich im Grunde auch um diesen Kampf zwischen zwei Individuen, in diesem Fall zwischen Werfer und Schlagmann, die beide für ihr Team kämpfen.
Keine dieser beiden Sportarten definiert sich speziell über Konformität oder das Nicht-Hervorstechen, sondern mehr darüber, dass die Verantwortung des Einzelnen im Vordergrund steht, dass jede einzelne Person ihren Teil zum Erfolg des Teams beiträgt. Beim Ekiden ist das sogar noch mehr der Fall als in anderen Teamsportarten, da eine schlechte Leistung alles zunichtemachen kann. Und wirklich, das Wort, das ich in den nächsten Monaten am öftesten zu hören bekomme, wenn andere mit mir über Ekiden sprechen, ist „Verantwortung“, das recht prägnant das Zusammenspiel des Einzelnen mit der Gruppe beschreibt.
Während mir alle diese Gedanken durch den Kopf gehen, erhalte ich ein paar Tage später endlich die Gelegenheit, einige Ekiden-Läufer persönlich zu treffen.
5
Meine erste Station in der japanischen Laufszene ist das Amateurteam, das Max’ Kontakt, dem ehemaligen Profiläufer Kenji Takao, gehört. Das Team trägt den Namen Blooming.
Die Mannschaft trifft sich an einem Ort namens Dawn Centre in Osaka. Max, der selbst am Training teilnehmen will, und ich fahren gemeinsam dorthin. Obwohl er immer zu kämpfen hat, wenn wir laufen gehen, sagt er, dass es sein Ziel sei, mich am Ende der sechs Monate zu schlagen. Er sagt das nicht aus Spaß oder um mich zu ärgern, er sagt es, als wäre dies ein Fakt. Im gleichen Ton, in dem er mir erklärt, welchen Bahnsteig wir nehmen müssen, behauptet er, dass er in sechs Monaten schneller laufen wird als ich.
Ein Teil seines Selbstvertrauens rührt sicher daher, dass er mich noch aus Zeiten kennt, in denen ich nicht lief. Diese Erinnerungen haben sein Bild von mir als Läufer sicherlich getrübt.
„Ich hatte keine Ahnung, dass du dich für Sport interessierst“, sagt er. „Ich konnte mich dich gar nicht als Läufer vorstellen.“
Bei einem unserer ersten gemeinsamen Ausläufe bietet er mir ein paar Shorts an.
„Ich glaube nicht, dass die passen“, sage ich, als ich sie vor mich hin halte.
„Komm schon“, sagt er. „Ich bin mir sicher, du kannst dich da reinzwängen.“
Er kann es kaum fassen, als ich sie anziehe und sie mir viel zu groß sind.
Wir verlassen die U-Bahn-Station in Osaka und betreten die Straße an einer großen Kreuzung. Mehrere Betonbrücken spannen sich hoch über unsere Köpfe hinweg. Das Dawn Centre, ein hohes Glasgebäude, ist nicht weit von hier. Mit seinen vielen Konferenzräumen sieht es ein wenig aus wie ein Kongresszentrum.
„Vierter Stock“, sagt Max und deutet auf eine Hinweistafel an der Rezeption. Die Tafel ist voll mit für mich unlesbaren Zeichen. Ich bin froh, dass СКАЧАТЬ