Название: Ekiden
Автор: Adharanand Finn
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783903183896
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Der letzte Grund, der für Kyoto sprach, war die Schule. In England gehen meine Kinder in eine Steiner-Schule, die einem anderen Lehrplan als konventionelle Schulen folgt. Wir hofften, dass ihnen, wenn sie in Japan auch in eine Steiner-Schule gingen, der Wechsel weniger schwerfallen würde und der Lehrplan etwas vertrauter wäre.
Steiner-Schulen gibt es auf der ganzen Welt. Auch hier in Japan. Eine der renommiertesten davon befindet sich in einem Vorort von Kyoto namens Kyotanabe. Also entschieden wir uns für diesen Ort.
Bereits nach 20 Minuten muss Max stehen bleiben. Er schwitzt heftig und hat Seitenstechen. Ich jogge ein wenig auf der Stelle, um zu sehen, ob er sich wieder erholt, doch er schüttelt nur den Kopf. Ohne zu sprechen, gehen wir langsam wieder zurück zu seinem Haus. Nach einiger Zeit kommt Max wieder zu Atem. Er erzählt mir, dass Kenji, der ehemalige Läufer, den seine Frau kennt und der ein Amateurteam besitzt, aus Kyotanabe stammt, dem Ort, in dem die Schule liegt. Er wäre quasi unser Nachbar, wenn wir dort hinziehen.
Bevor wir bei Max’ Haus ankommen, bleiben wir wieder bei dem Schrein stehen, trinken etwas von dem glasklaren Wasser dort und sammeln uns etwas. Am Eingang des Schreins befindet sich ein kleiner Kinderspielplatz. Ein junges Paar sitzt verlegen händchenhaltend auf einer kleinen Bank und versucht, so unauffällig wie möglich zu erscheinen, während Max zu den Schaukeln hinübergeht.
Er hatte mir von einem Freund erzählt, einem Yogalehrer, der ihm einige Tricks beigebracht hat. Und nun will er mir eines dieser Kunststücke vorführen. Max zieht sich auf die Querstange hinauf und dreht sich mit seinem Oberkörper nach vorne, bis seine Beine in die Höhe ragen. Mit konzentriertem Blick atmet er tief ein, schwingt seine Beine hinauf und über die Stange zurück wieder in die Startposition. Immer weiter rotiert er um die Stange und atmet dabei kräftig aus. Das Pärchen auf der Bank versucht, nicht hinzusehen. Nach ein paar weiteren Umdrehungen stoppt er und hängt mit dem Kopf nach unten von der Stange.
„Ein alter Sprinttrainer an der Uni hat mir einmal gesagt, wenn du zehn von diesen Schwüngen hintereinander machen kannst, kannst du die 100 Meter in unter zwölf Sekunden laufen. Schon für einen brauchst du eine Menge Kraft“, sagt er.
Darauf konzentriert er sich wieder und dreht sich noch einmal um die Stange, während ich zusehe. Dann lässt er sich wieder auf den Boden hinunter und wischt sich den Staub von den Händen.
„Ich bin ziemlich außer Übung. Im Moment schaffe ich nur sechs“, erklärt er.
Ein Haus in Japan zu finden, das man für länger als sechs Monate mieten kann, ist nicht so einfach für eine britische Familie. Ich habe von vielen Seiten gehört, dass Japaner nur ungern an Ausländer vermieten. Japan wird oft als ein homogener Inselstaat dargestellt, der nur sehr wenig mit Ausländern zu tun haben will. Für über 200 Jahre war es das Nordkorea der Welt und stellte das Ein- und Ausreisen unter Todesstrafe. Ein wenig von diesem isolationistischen Gedanken ist noch immer vorhanden. Vor einigen Jahren musste der japanische Verkehrsminister, dessen Aufgabe es unter anderem war, den Tourismus im Land anzukurbeln, zurücktreten, da er meinte, dass die Japaner Ausländer nicht besonders mögen. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage fand heraus, dass es Hunderte von Hotels in Japan gibt, die offen zugeben, ausländische Gäste abzuweisen.
2002 führte das Harvard Institute of Economics eine umfassende Studie durch, die zum Ergebnis kam, dass Japan eines der homogensten Länder der Welt ist. Das ganze Konzept von Japan als einzigartige, isolierte Insel wurde schon so oft von Japanern und Nicht-Japanern beschrieben, dass es sogar ein eigenes Genre dafür gibt: Nihonjinron. Dieses Konzept wird allerdings von einigen Gelehrten als veraltete Form eines kulturellen Nationalismus abgetan. Aber noch bevor ich in Japan ankam, stieß ich bereits auf unzählige Türen, die sich auf meiner Suche nach einem Ekiden-Team, dem ich beitreten könnte, vor meiner Nase schlossen. So wie Brendan Reilly es in seiner E-Mail geschrieben hatte: „Japan kann manchmal eine frustrierend verschlossene Gesellschaft sein.“
Just zu jenem Zeitpunkt, als wir am Beginn unserer Reise nach Japan mit dem Eurostar kurz davor waren, in den Channel-Tunnel einzufahren, rief mich Max am Handy an.
„Dhar, ich habe ein Haus für euch gefunden, aber du musst mir jetzt sagen, ob ihr es nehmen wollt oder nicht.“
Inzwischen zog die Landschaft Kents am Fenster vorbei. Uma fragte mich, ob ich ihr etwas vorlesen würde, und Ossian sprang laut singend auf seinem Sitzplatz auf und ab.
„Das Haus ist wirklich schön und nicht besonders teuer. Und es liegt nicht weit von der Schule entfernt“, meinte Max.
„Wir nehmen es“, antwortete ich.
Es war die erste konkrete Zusage, die ich bekam, seit ich mit den Arrangements für unseren Umzug nach Japan begonnen hatte. Und ich wollte diese Chance nicht verpassen. Abgesehen davon hatten wir bereits so viel dem Zufall überlassen, dass es im Moment egal war, wo wir wohnen würden. Meiner Meinung nach hatten wir kaum eine andere Wahl, als auf Gott zu vertrauen. Und auf Max.
Ein paar Sekunden später fuhr der Zug in den Tunnel ein, und die Verbindung riss ab.
„Sieht so aus, als hätten wir ein Haus, wenn wir dort sind“, sagte ich zu Marietta, die vor mir saß.
„Wirklich? Wie ist es?“
„Keine Ahnung.“
Das Haus ist schmal und hoch und passt genau zwischen zwei ähnliche Gebäude in einer kleinen, steilen Sackgasse in Kyotanabe. Um dorthin zu gelangen, zwängen wir uns alle in Max’ kleinen roten Sportwagen. Kaum sitzen wir drin, besprüht er wieder zuerst uns mit effektiven Mikroorganismen und dann das Auto. Er besprüht sogar die Reifen und erklärt uns, dass sie sich dadurch weniger schnell abnutzen.
Wir fahren durch die Stadt, vorbei am kaiserlichen Palast und hinaus in die Vororte südlich von Kyoto, wo wir auf die Autobahn auffahren, die sich auf hohen Betonpfeilern in die Lüfte erhebt. Die Straßen biegen und kreuzen sich, dass man sich beinahe nicht mehr auskennt, und ehe wir uns versehen, befinden wir uns wieder auf Straßenniveau, wo wir an eintönigen Flächen mit Reisfeldern und vereinzelten Lagerhäusern, Scheunen und alten Plakatwänden vorbeikommen.
Nach etwa zehn Minuten erreichen wir wieder eine verbaute Gegend, mit großen Einkaufszentren, Parkplätzen und einem McDonalds Drive-Through.
„Willkommen in eurer neuen Nachbarschaft“, sagt Max, während Marietta und ich nervöse Blicke austauschen.
Die Kinder sind ganz aufgeregt, als wir an einer Feuerwehrstation vorbeikommen. Die Feuerwehrautos glänzen rot und sind vielleicht halb so groß wie die, die wir aus England kennen. Auch ein kleiner Ambulanzwagen parkt vor der Station.
Während wir weiterfahren, ertappe ich mich dabei, vergeblich nach einem Park zwischen den vielen СКАЧАТЬ