Название: Ekiden
Автор: Adharanand Finn
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783903183896
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Einige Minuten später fordert sie ein Schaffner auf, wieder einzusteigen, und dann fährt der Zug ab. Wir lassen Moskau hinter uns und fahren vorbei an Holzhäusern und grauen Plattenbauten, durch kleine Ortschaften und endlose Wälder, immer weiter, tage- und nächtelang, über den Ural und dann nach Sibirien. Die Landschaft ist überraschend schön, übersät mit kleinen Häusern mit spitzen Dächern und Holzbrunnen im Garten, fast wie aus einem Märchen.
Russen wundern sich oft darüber, dass Touristen sich diese Zugfahrt zum Spaß antun. Für sie ist es nur ein Mittel, um von A nach B zu kommen, und nichts weiter. Der Prunk an Bord des Zuges ist eher vernachlässigbar. Die Abteile in unserem Waggon sind modrig, und die Waschräume bestehen aus nichts anderem als einer schmutzigen Metalltoilette und einem Waschbecken. Der Speisewagen besteht aus abgestoßenen Holztischen und ausgebleichten Vorhängen. Außerdem ist er meist voll mit deutschen Touristen oder betrunkenen Russen, die traurig vor sich hin starren. Als wir den Speisewagen aufsuchen, drückt uns die Kellnerin eine Speisekarte in die Hand, voll mit lecker klingenden Gerichten, die so gut wie allesamt nicht verfügbar sind.
„Borschtsch“, sagt sie, in einem Tonfall, der andeutet: entweder das oder gar nichts.
Nach einem zweitägigen Aufenthalt in Irkutsk, wo wir am Ufer des tiefsten Sees der Welt, dem Baikalsee, sitzen, Eis essen und Steine hüpfen lassen, besteigen wir eine noch ältere und klapprigere Garnitur. Die Luft im Zug ist drückend heiß, und es stinkt nach Zigarettenrauch. Zu unserem Horror müssen wir feststellen, dass die Fenster sich nicht öffnen lassen. Als wir aus der Station fahren, ziehe ich mir mein T-Shirt aus. Ich schwitze, während ich versuche, unsere Betten zu machen, und zähle bereits die Stunden, die wir in diesem Ofen verbringen müssen, bis wir Wladiwostok erreichen.
Die nächsten drei Tage verbringe ich damit, die Türen zwischen unserem Waggon und dem nächsten offen zu halten, damit der Zigarettengestank durch die kleine Öffnung abzieht. Doch immer wieder kommt jemand, der die Tür schließt. Drei Tage lang bunkern wir uns ein und halten die Tür zu unserem Abteil geschlossen, um unsere Atemluft zu schützen. Wir verbringen die Zeit gemeinsam mit Lesen, Schachspielen und Filme sehen. Nicht gerade die beste Vorbereitung auf mein Abenteuer in Japan. Abgesehen davon, dass ich einmal im Amager Fælled Park in Kopenhagen laufen war, hatte ich auf unserer Reise keine Gelegenheit gehabt, mich fit zu halten. Normalerweise genieße ich es, laufen zu gehen, wenn ich im Ausland bin, und nutze es, um meine neue Umgebung kennenzulernen, doch wenn wir nicht gerade in einem Zugabteil eingepfercht waren, hatten wir andere Dinge zu tun, wie etwa etwas zu essen aufzutreiben oder eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden.
Als der Zug am letzten Tag dann mitten in der Gluthitze der sibirischen Taiga zum Stehen kommt, glaube ich, dass ich endgültig durchdrehe. Während die Stunden vergehen, reicht der Gedanke daran, dass wir die Fähre verpassen und in Wladiwostok festsitzen könnten, aus, dass ich am liebsten in das metallene Bettgestell beißen möchte. Glücklicherweise laufen die Kinder, die sich tragischerweise bereits an die verrauchte Luft gewöhnt haben, den Gang rauf und runter und spielen mit den anderen Kindern im Zug.
Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr weiß, wie lange ich das noch ertragen kann, als der Zug plötzlich einen Ruck macht und sich langsam wieder in Bewegung setzt.
Am nächsten Morgen sind wir schon ganz aufgeregt und freuen uns darauf, Russland mit der koreanischen Fähre zu verlassen. Als wir Wladiwostok hinter uns lassen und die frische Luft und die warme Sonne auf unseren Gesichtern spüren, können wir endlich wieder befreit durchatmen. Nach zwei Tagen auf See erreichen wir Japan.
3
Wir nehmen den Hochgeschwindigkeitszug nach Kyoto, unserem Zielort. Das Innere des Zugs ist so breit wie ein Flugzeug, und auch die Sitzplätze sind in zwei Reihen zu je drei Sitzen angeordnet. Der Zug ist voll mit Leuten, die gerade von der Arbeit kommen. Kaum jemand spricht. Es ist eine Art ruhiger Tagesausklang. Ich sitze neben Lila, meiner ältesten Tochter. Sie liest. Auf der anderen Seite von mir sitzt ein Mann, der mit seinem Telefon spielt. Ich blicke an ihm vorbei durch das Fenster und beobachte, wie Städte und Ortschaften in der bläulichen Abenddämmerung vorbeiziehen. Wir fahren auf Höhe der Hausdächer. Jenseits der beleuchteten Straßen und Gebäude erheben sich bewaldete Berge, wie große Schatten, umgeben von weißem Nebel.
„Argh, aufhören“, höre ich Uma rufen, die etwas weiter hinten im Waggon sitzt. „Das ist ungezogen, Ossian. Umbaya.“
Dem folgt ein herzzerreißendes Jaulen als Antwort.
„Ach du liebe Zeit“, sage ich zu Lila. Sie grinst und amüsiert sich darüber, dass ihre beiden Geschwister das einzige Geräusch verursachen, das neben dem sanften Brummen des Zugs zu hören ist.
Hinten bricht ein richtiger Streit aus. Lila wirft einen Blick den Mittelgang hinunter und sieht mich dann glucksend an.
„Die sind so laut“, sagt sie.
Es ist vier Wochen her, seit wir mit unseren Koffern den Zug am Tiverton Parkway in Devon bestiegen haben. Nun sind wir endlich an unserem Ziel.
„In Kürze erreichen wir Kyoto“, ertönt es auf Englisch durch die Sprechanlage des Zugs, der nun immer langsamer wird. „Der Ausstieg befindet sich auf der rechten Seite.“
Wir schleppen unsere Koffer aus den hell beleuchteten Tiefen des Bahnhofs durch ein riesiges unterirdisches Einkaufszentrum hinaus in die warme Nacht. Alles in allem 13 Koffer und Taschen, wovon einige so schwer sind, dass sich beinahe der Boden des Waggons senkte, als wir sie in den Zug hievten.
Ossian, unser Jüngster, sitzt auf seinem Koffer und betrachtet die hohen Gebäude ringsherum.
„Wohin fahren wir jetzt?“, fragt er.
„Wir sind da“, sage ich. „Nur noch eine letzte Taxifahrt, dann ist es geschafft.“
Wir stehen neben einem riesigen Parkplatz. Ein Taxi nach dem anderen fährt an uns vorbei, doch keines bleibt stehen. Sie sehen uns, mit dem vielen Gepäck und den Kindern, und fahren weiter. Es sind kleinere Limousinen mit weißen Schutzbezügen auf den Sitzen und uniformierten Fahrern, die weiße Handschuhe tragen. Die beleuchteten Taxischilder auf den Taxidächern sind herzförmig. Endlich hält eines vor uns an.
„Hoteru?“, fragt der Fahrer.
Ich gebe ihm einen Zettel, auf dem eine Adresse auf Japanisch steht. Wir haben uns für ein paar Tage bei einem alten Freund namens Max einquartiert. Der Fahrer studiert den Zettel ein paar Sekunden, nickt, nimmt die schwersten Koffer und hebt sie in den Kofferraum seines Wagens.
Es ist nicht einfach, alles zu verstauen, doch er gibt sich Mühe. Einige unserer Taschen stellt er zu unseren Füßen hin, andere müssen wir auf den Schoß nehmen. Dann sind wir und unser Gepäck endlich verstaut. Wir fahren durch das Zentrum Kyotos in Richtung Norden, vorbei am kaiserlichen Palast, Fahrrädern und Menschen, die in Gruppen – wie Touristen – durch die Straßen ziehen, sowie an jungen Männern, die in Schaufenstern stehen und Comics lesen.
Im Wagen selbst hören die Kinder fasziniert der japanischen Stimme des Navis zu. Der Fahrer stellt den Bildschirm auf Fernseher. Es läuft gerade eine Gameshow. Man hört viel Gelächter und sieht, wie die Kandidaten immer СКАЧАТЬ