Oh mein Gott!. Christian Schwab
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Название: Oh mein Gott!

Автор: Christian Schwab

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783990012567

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СКАЧАТЬ mindestens 103.000 Menschen aus allen europäischen Staaten im KZ Mauthausen und seinen Nebenlagern auf grausame Weise ihr Leben verloren. (Quelle: Mauthausen Komitee, Zirkusgasse 3/5/1, 1020 Wien)

      Daniel und ich stehen mittlerweile in einer der damaligen Baracken und er erzählt vom täglichen Kampf um Brot, vom Leben auf engstem Raum, von den Quälereien der Kapos (KZ-Aufseher). Wir sprechen über den Verlust der menschlichen Würde, die dann selbst aus vielen guten Menschen Unmenschen machte. Die schwierigsten Orte im Memorial KZ Mauthausen stehen mir aber noch bevor: die ehemalige Gaskammer und die Verbrennungsöfen im Krematorium. Daniel zeigt mir das ehemalige Büro von SS-Hauptscharführer Martin Roth, der als Kommandoführer des Krematoriums hauptsächlich die Vergasungen durchführte und Listen darüber anfertigte. Nach jedem seiner Arbeitstage wusch er sich die Hände, fuhr in den Ort Mauthausen und aß mit seiner Familie zu Abend. Der Anblick der Verbrennungsöfen und der Duschhähne, verbunden mit dem Bewusstsein, was hier passiert ist, lässt mich verschämt zu Boden blicken. Ich merke, wie ich in manchen Momenten mit den Tränen kämpfe. Wir verlassen diese so traurigen Räume, es ist bitterkalt draußen. Was ist es nur für ein unsagbares Glück, dass ich Jahrzehnte später in einer warmen Winterjacke und Winterschuhen diesen Rückblick in die dunkle Vergangenheit machen kann und nicht selbst in ihr leben muss.

      Wie so viele, denen die Gnade der späten Geburt zuteilwurde, möchte ich mir nicht anmaßen, zu sagen, wie ich mich verhalten hätte. Ich bin einfach nur froh, dass ich mich dieser Frage nicht stellen musste. Und ich habe einen riesigen Respekt vor allen, die Kraft und Mut genug hatten, um Widerstand zu leisten, auch wenn viele davon diesen Mut mit dem Leben bezahlt haben. Wir Nachkommen müssen von dieser Geschichte lernen. Diese Erinnerungen hochzuhalten wird immer schwieriger, vor allem, da uns auch bald die letzten Zeitzeugen abhandenkommen werden. Ich war immer der Meinung, dass ein ähnlich schreckliches Regime wie jenes der Nazis nie wieder möglich sein würde, aber je älter ich werde und je mehr ich aktuelle Entwicklungen verfolge, umso mehr fühle ich mich an diese schreckliche Vergangenheit erinnert, umso unsicherer werde ich. Wie Daniel am Anfang sagte, es passierte nicht nur hier, an einem isolierten Ort, wo der Rest der Welt nichts davon mitbekam. Nein, die Nazis waren während des Zweiten Weltkriegs wohl selbst überrascht, dass all ihre Gräueltaten so reibungslos durchgingen.

      Beeindruckt, verwirrt und verstört steige ich ins Auto und fahre die Erinnerungsstraße zurück Richtung Autobahn. Die Gebäude des ehemaligen KZ Mauthausen verschwinden langsam im Rückspiegel, die Erinnerung an meinen Besuch wird bleiben. Viele Bilder werden mich in kommenden Nächten in meinen Träumen einholen.

      Ich war dann mal Jude

       Die Bilanz

      »Bahur Tov« heißt guter Junge. So heißt auch das koschere Lokal in der Taborstraße 19 im 2. Wiener Gemeindebezirk, in dem ich mein Finale als Jude mit meiner Freundin und meiner kleinen Tochter begehe. Bei einem Teller mit Gemüse, Salat und Humus sowie einem Hühnerspieß und einem gespritzten koscheren Wein ziehe ich Bilanz. Was bleibt? Was hat mich geprägt? Woran bin ich gescheitert? War ich ein guter Junge im Judentum?

      Vor allem freue ich mich, dass ich meinen Monat im Judentum durchgezogen habe. Das koschere Essen habe ich mit ein paar Kompromissen gut gemeistert. Daheim wurden Fleisch und Milch strikt getrennt, das eigens dafür angeschaffte Geschirr wurde nicht entweiht. Dafür hat vor allem Heidi gesorgt, das Thema koscheres Essen habe ich schleichend an sie abgegeben, ich hätte wahrscheinlich irgendwann den Überblick verloren. Ich habe auch kaum jemals zuvor einen Monat lang so wenig Fleisch gegessen wie in diesem. Da ich im Jänner viel unterwegs war, habe ich das Essen, das ich nicht daheim gegessen habe, vegetarisch gestaltet. So ging ich sicher, dass ich kein nicht koscheres Fleisch konsumiere. Komplett koscher, also auch mit eigenen Tellern und Töpfen zu essen, ist zwar nicht unmöglich, aber mit enormem Aufwand verbunden. Daher habe ich an meinem letzten Tag als Jude noch einen koscheren Hühnerspieß bestellt. Er schmeckt köstlich, aber irgendwie doch anders, als ich den Geschmack von Hühnerfleisch gewohnt bin. Vielleicht liegt es doch am Schächten. Das wäre auch noch ein Punkt auf meiner Liste gewesen, in einer koscheren Schlachterei vorbeizuschauen. Aber um ehrlich zu sein und keine Ausreden zu erfinden, davor habe ich mich dann doch gedrückt.

      Acht italienische Juden betreten nun das Lokal, das auch für viele jüdische Feste in Wien gemietet wird. Sie sprechen eine Mischung aus Italienisch und Hebräisch. Die meisten von ihnen tragen, wie die restlichen Gäste und das Personal im Bahur Tov, eine Kippa. Wir haben das Gefühl, auf Urlaub zu sein. Urlaub und Erholung führt mich zum nächsten Punkt. Das Judentum hat bereits vor Jahrtausenden das Rezept gegen Burnout erfunden: den Sabbat. Vier davon habe ich mitgemacht, einen davon in einer strengen Version, drei Mal war ich eher ein »Wellness-Jude«. Auch am letzten Sabbat, den ich aufgrund eines Auftritts am Samstagabend (aber bitte nach Sonnenuntergang, also schon nach dem Ende des Sabbats) in Tirol verbracht habe. Wie immer ohne Handy, ohne Fernsehen, ohne Internet, aber ich war im Hallenbad schwimmen und mit meiner Tochter am Rodelhang. Elektrisches Licht habe ich auch verwendet, wobei die Glühbirnen des Gasthofes, in dem wir übernachtet haben, schwächer waren als Kerzenlicht. Es war aber in Summe näher am Sabbat 4.0 als an der orthodoxen Version. Das wäre nach diesen Erfahrungen auch mein persönlicher Zugang zum Sabbat.

      Die Idee, einen Tag der Woche nur Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen, ohne Ablenkung, ist wunderbar. Dabei aber keinen Liftknopf drücken zu dürfen, halte ich für überholt. Einen Tag Ruhe geben, dafür muss man kein Jude sein. Das Geniale am Sabbat ist jedoch, dass er zwar nur 24 Stunden dauert, aber zwei Tage betrifft. So gibt’s am Freitag den Höhepunkt mit dem Beginn des Sabbats, auf den ich fast schon hin fieberte, und am Samstag ist es dann das Ende, auf das man wartet, um zum Beispiel endlich wieder alle Nachrichten am Handy checken zu können. Kein Handy zu verwenden hat mir nichts ausgemacht, der größte Verzicht waren Sportresultate im Live-Ticker. An einem Freitagabend nicht zu wissen, wie es gerade beim VSV, dem Eishockeyverein aus Villach, steht, war in manchen Momenten sehr hart. Hier hätte ich wirklich dringend einen Schabbes-Goi gebraucht.

      Spätestens nach dem dritten Sabbat hat sich auch mein familiäres Umfeld daran gewöhnt. Ihnen ist es ähnlich gegangen wie mir zu Beginn mit dem Oberrabbiner. Bei ihm habe ich sofort gewusst, dass er ab Freitag Sonnenuntergang nicht erreichbar ist. So hat etwa letzten Freitag mein Schwager zu meiner Schwester in Bayern gesagt: »Du, in einer Stunde ist in Wien Sonnenuntergang, wenn du deinen Bruder anrufen willst, dann musst du dich beeilen.«

      Es wäre also nicht so schwer, 24 Stunden nicht erreichbar zu sein. Und einmal in der Woche nicht auf Facebook sein, dafür hätte wohl sogar Marc Zuckerberg Verständnis. Der Gründer des sozialen Netzwerkes ist immerhin selbst Jude.

      Allerdings ist für mich als Kabarettist der Sabbat an den falschen Wochentagen. Freitag und Samstag sind die zwei besten Spieltage. Ich hatte Glück, dass ich im Jänner die Freitage über spielfrei hatte und am Samstagabend der Sabbat schon vorbei war. In der Kabaretthauptsaison von Februar bis Mai bzw. von Mitte September bis Dezember ist aber quasi fast jeder Freitag besetzt. Und in den Sommermonaten fällt der Sonnenuntergang so, dass man weder an einem Freitag noch am Samstag spielen könnte. An keinem Sabbat aufzutreten wäre für meine Erholung gut, aber schlecht für meine Brieftasche. Und das wäre dann längerfristig auch wieder nicht gut für die Erholung. Dann würde ich nicht nur am Sabbat bei Kerzenlicht in der Wohnung sitzen.

      Das koschere Lokal, in dem ich gerade das letzte Stück Hühnerfleisch vom Spieß runterkratze, hat natürlich am Freitag und Samstag geschlossen. Der Chef des Lokals, ebenso mit Kippa am Kopf, weiß nicht wirklich, woran er bei uns ist. Haben wir uns nur verirrt? Er merkt aber auch, dass wir doch etwas vertraut sind mit dem Judentum, uns mit dem koscheren Essen etwas auskennen. Juden, die rund um uns mit der Kippa sitzen, geben ein fast schon vertrautes Bild ab. Immer wieder fragt er: »Sind Sie zum ersten Mal bei uns?« Und er ist jedes Mal aufs Neue erfreut, wenn wir ihm sagen, wie gut es uns schmeckt.

      Den Eindruck, den der Chef vom Bahur Tov von mir hat, ist wohl genau das richtige Bild und СКАЧАТЬ