Mörderjagd in Mecklenbeck. Gernot Beger
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Название: Mörderjagd in Mecklenbeck

Автор: Gernot Beger

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

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isbn: 9783956837470

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СКАЧАТЬ mich ab. Eine halbe Stunde später stellten wir unseren Wagen auf dem letzten freien Parkplatz vor dem Heim ab. Die Fahrzeuge standen so eng aneinander, als wollten sie Nachwuchs zeugen. Schnell waren wir im Eingangsbereich der Seniorenresidenz, ließen den Fahrstuhl, den man nicht mal auf eigene Gefahr benutzen sollte, rechts liegen und gingen in den ebenerdigen C-Flügel.

      Wir klopften an die Tür, die in Kopfhöhe mit dem Foto eines Herbststrauches und dem verzierten Namenszug 'Christine' den Eingang zum Privatbereich von Gernots Mutter anzeigte. Wir lauschten auf Antwort, aber das erwartete 'Ja, bitte' blieb aus. Vorsichtig öffnete Gernot die Tür. Niemand war im Zimmer. Christine musste es vor kurzem erst verlassen haben. Auf dem runden Tisch neben dem Sessel, den sie von zu Hause hierhin mitgenommen hatte, lag ein aufgeschlagenes Buch neben der Lesebrille und einem halb vollen Glas Wasser. Die Jugendstil-Wanduhr verkündete dezent den Lauf der Zeit im Sekundentakt. Diverse Fotos, eines davon in Farbe, zeigten drei aneinander geschmiegte Gestalten mit dem heiteren Gesicht von Gernots Freundin Jule, dem ausdruckslosen in der Mitte mit heraushängender Zunge, natürlich von mir, und dem lachenden von Gernot. Auf anderen Bildern war mein Leinenhalter in Kindertagen mit kurzer Lederhose zu sehen, außerdem seine früh verstorbene Schwester sowie Christine mit Ehemann Hans in teilweise verblichenem Schwarz-Weiß und silbern geränderter Fassung. Alle diese Fotografien hatten sich vor längerer Zeit auf der Kommode aus der Gründerzeit zum trauten Zusammensein versammelt. Gehäkelte Kissen zierten das kleine Sofa und ein großformatiges romantisches Landschaftsgemälde eines längst verstorbenen Künstlers blieb selbst einem flüchtigen Besucher nicht verborgen. Hier hatte sich die Erinnerung ihren Alterssitz geschaffen.

      Ich konnte Christine noch ganz deutlich riechen. Für einen Hund war dies nun wirklich keine Leistung. Sogar mein Zweibeiner, der zu der Rasse der olfaktorischen Analphabeten gehört, die nur gehaltvolle Pupser mitbekommen, die von lauten schallschwingenden Tönen begleitet werden, hätte das in diesem Falle wahrscheinlich auch geschafft. Gerüche sind im Universum meiner Artgenossen von zentraler Bedeutung und haben eine Aussagekraft, die außerhalb der Reichweite der menschlichen Vorstellung liegt. Wenn ich sage, dass der Geruchssinn eines Hundes hunderttausendmal feiner als der eines Menschen ist, dann wird der Unterschied nur unzureichend beschrieben. Wenn ich aber darlege, dass ich mit meinen Artgenossen Krankheiten, Angst, Verzweiflung, Enttäuschung und Lügen riechen kann, dann wird klarer, was ich meine. Mein vierbeiniger Freund Einstein, von dem später noch zu berichten sein wird, kann zuweilen sogar Gedanken riechen. Aber zurück zu Christine. Ihr typischer Geruch war auch bei ihrer Abwesenheit ein ständiger Gast in ihrem Zimmer im Altenheim. Es musste irgendetwas Unangenehmes passiert sein, denn es roch auch nach Ärger und Aufregung. Davon bekam mein Leinenhalter natürlich nichts mit. Gernot sah unschlüssig durch das reich beblumte Fenster nach draußen, als wenn er dort irgendwo seine Mutter im immer noch anhaltenden Nieselregen entdecken könnte. Dann ging er wieder zur Tür zurück und trat in den gefeudelten Korridor, der nach Sparsamkeit und Lysol roch.

      Seine Miene hellte sich für einen kurzen Moment auf, als er seine Mutter sah und ihre Stimme hörte, die im Näherkommen auf Anna, eine Pflegerin, einredete. Aber dann realisierten mein Leinenhalter und ich, dass Christines Stimme lauter klang als sonst und gewürzt war mit einer Prise Verärgerung.

      »Ich habe schon zwei Mal alles durchsucht. Er ist einfach weg«, redete sie mit einer Träne im Auge auf Anna ein.

      »Wir schauen gemeinsam noch mal nach«, antwortete Anna ruhig mit ihrem harten polnischen Akzent, um dann mit ihrer Gebissspange ein schüchternes Lächeln aufzusetzen und uns zu begrüßen.

      »Hallo Herr Beger, hallo Chaka, großes Prinzesschen. Gehen wir bald mal spazieren?« Sie bückte sich, um mich hinter den Ohren zu kraulen.

      »Ihre Mutter kann Ring nicht finden, aber er wird ja nicht weggelaufen sein«, sagte sie zu uns. Gernot herzte seine Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

      »Mutter, was machst du für Sachen. Warum ziehst du den Ring überhaupt aus?« Gernot versuchte, einen sanften Ton anzuschlagen, was ihm nur mäßig gelang. Er glaubte seit geraumer Zeit, bei seiner Mutter die ersten Anzeichen von Demenz festzustellen und ließ bei diesbezüglichen Äußerungen oftmals das nötige Taktgefühl vermissen. Ich für meinen Teil hielt Christine weder für dement noch für vergesslich. Immer wenn ich sie zusammen mit Gernot besuchte, dachte sie daran, mir einen Kauknochen zu geben. Ganz im Gegensatz zu Gernot, den ich allzu oft an meine Fütterungszeiten erinnern musste.

      »Ich habe den Ring doch gar nicht ausgezogen«, antwortete Christine. »Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, es getan zu haben«, fügte sie kleinlaut hinzu. Mein Leinenhalter machte ein Gesicht, als wenn er denken würde: ‚Sage ich doch‘.

      Der Ring blieb verschollen. Anna, Christine und Gernot hatten jeden Winkel des Zimmers durchsucht, in allen Schubladen sorgfältig nachgesehen, alle Schränke durchstöbert, sogar die Wäsche neu sortiert und den Papierkorb kontrolliert. Selbst ich hatte mich an der Suche beteiligt, obwohl Ringe keinen besonderen Eigengeruch besitzen. Gefunden wurden dafür Sachen, die wir gar nicht gesucht hatten. Einen Fünfzig DM-Schein aus dem vorigen Jahrhundert fand Gernot in einer Holzschatulle mit Intarsienarbeiten zwischen Postkarten, die nach der Art der Briefmarken noch älter als der Geldschein waren. Ich entdeckte eine graue Ratte, die eingeklemmt zwischen Couch und Eckwand die letzten Wochen in einer unbequemen Lage verbracht haben musste. Trotz dieser Umstände hatte sie sich gut gehalten. Ich freute mich, sie wiedergefunden zu haben und sie erneut in den Kreis meiner Stofftiere aufnehmen zu können. Aber das interessierte von den Zweibeinern offensichtlich niemanden.

      Sie zeigten sich mit etwas anderem beschäftigt: mit Ratlosigkeit.

      »Das war das wichtigste Andenken an Papa«, meinte Christine leise. »Er hat mir diesen Ring zur Verlobung geschenkt. Das war der teuerste Schmuck, den ich je besessen habe«, fügte sie hinzu.

      »Vielleicht hast du den Ring in der Cafeteria oder beim Mittagessen verloren«, warf Gernot mit bemüht warmer Stimme ein. »Dann müsste er ja gefunden werden.« Gernot und ich konnten uns gut an das schlichte, zeitlose Schmuckstück erinnern. Ein goldener Ring mit einem funkelnden Diamanten besetzt, einem Einkaräter, den Christine stets mit Hingabe trug.

      »Wir müssen auf jeden Fall bei der Heimleitung nachfragen und sie über den Verlust informieren«, meinte er abschließend.

      »Wenigstens der Apfelkuchen schmeckt«, bemerkte Gernot mit vollem Munde, nachdem er in der Cafeteria für Christine und sich selbst ein großes Stück an der Kuchenausgabe geholt und zuvor die Heimleitung, Frau Dinkelkötter, in ihrem Büro aufgesucht hatte. Leider war kein Ring gefunden worden.

      »Mutter«, sagte Gernot zu Christine und nahm ihre Hand, die er zärtlich streichelte. »Nun gib die Hoffnung mal nicht auf. Der findet sich bestimmt wieder und dann lachen wir beide über die ganze Sache.« Christine saß zusammengesunken in ihrem Stuhl und schüttelte unmerklich den Kopf.

      »Gut, dass Papa das nicht mitbekommt.« Lustlos probierte sie den Kuchen und nippte gedankenverloren an ihrem Kaffee.

      Am Nachbartisch saß der Heimbewohner Anselmus von Lukowitz, ein feingliedriger Typ mit dichtem Fell auf der Oberlippe, der selten Besuch bekam, alleine mit einer aktuellen Ausgabe der Westfälischen Nachrichten und trank seinen Kaffee. Bei Anselmus von Lukowitz‘ Namen denkt man an den Besitzer eines weitläufigen pommerschen Landgutes mit Privatbibliothek, in der sich Wolfshunde vor einem prasselnden Kaminfeuer ausstrecken. Tatsächlich wohnte er sein Leben lang in einer Dreizimmerwohnung in Münster und war in seinem Berufsleben Mitarbeiter der örtlichen AOK gewesen, und zwar einer der gewissenhaftesten überhaupt. Er besaß das rigide Temperament eines Briefmarkensammlers und die Ausdauer eines Taubenzüchters. Beide Hobbies pflegte er in seiner aktiven Zeit mit Leidenschaft. Die Briefmarken hatte er ins Heim mitgenommen, bei seinen Tauben war das nicht möglich.

      Die Unterhaltung an unserem Tisch war ihm nicht entgangen. СКАЧАТЬ