Название: Aufrichten in Würde
Автор: Gabriele Frick-Baer
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783934933392
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Traumatherapie erfordert deshalb aber auch, an den Fragmenten und eingefrorenen Aspekten des Traumaerlebens anzusetzen, nicht nur an den kognitiven Reflektionen oder Bewertungen, sondern v.a. an sinnlichen Eindrücken wie Bilderfetzen, Geräuschen, Gerüchen sowie Erregungskonturen und körperlichen Aktionen und Reaktionen. Dies ist der tiefe Grund, warum Worte allein oft nicht reichen, warum Körperarbeit Zugänge verschafft und Veränderungen ermöglicht, warum z. B. Musiktherapie Erregungskonturen aufweichen und umwandeln kann und Kunsttherapie Bilderfetzen und andere sinnliche Fragmente re-integrieren kann.
Die Integration künstlerischer Medien in die Traumatherapie findet darin ihre Begründung und Legitimation. Entgegen manchen Vorurteilen ist die kreative oder künstlerische Therapie mehr als Basteln und mehr als das Malen eines Bildes, über das dann „therapeutisch“ geredet wird.
Künstlerische Medien in der Traumatherapie
ermöglichen Zugänge zum subverbalen und nonverbalen Erleben des Traumas,
bieten Chancen, Veränderungen des Erlebens und Verhaltens spielerisch-experimentell auszuprobieren,
ermöglichen Erinnern über die Sinneserfahrungen sowie gleichzeitig und darüber hinaus neue Erfahrungen der Sinne,
ermutigen und üben, zu greifen und zu ergreifen: Pinsel und Ton, Stoffe und Hände, Papier und Instrumente
öffnen Wege aus der Erstarrung,
bieten Chancen, ein Aufrichten körperlich-seelisch „probeweise“ zu er leben und individuelle Wege des Aufrichtens zu erproben,
geben Hinweise auf Spuren, die Dissoziierungen hinterlassen haben, und öffnen Wege der Entdissoziierung und Wiedergewinnung von Lebendigkeit,
lassen Unaussprechliches erklingen und ermöglichen niedrigschwellige Formen, mit dem Bruch des Schweigetabus zu beginnen,
ermöglichen neues Erleben und so auch neue und andere Worte,
können Erregungsverläufe hörbar und tanzbar und somit veränderbar werden lassen,
können Sinn und Spaß machen und Lebensfreude wiederbeleben
…
Traumatherapie ohne kreative Medien ist für mich nicht mehr vorstellbar. Das wird Ausdruck meiner persönlichen und therapeutischen Geschichte und Lebenserfahrung sein. Mir ist es ein großes Anliegen, alle Traumatherapeut/innen zu ermutigen, in dieser Richtung wenigstens das eine oder andere Experiment zu wagen. Sicherlich ist für die sichere Handhabung eine Aus-oder Weiterbildung in einer künstlerischen Therapie sinnvoll. Doch auch viele einzelne Elemente aus dem breiten Fundus künstlerischer Therapien können von erfahrenen Traumatherapeut/innen in ihre Arbeit integriert werden. Deswegen werde ich in Kapitel 4 einige dieser Methoden vorstellen, die sich in meiner traumatherapeutischen Praxis besonders bewährt haben und in der Fortbildung und Supervision von Traumatherapeut/innen Anklang und Bestätigung durch deren traumatherapeutische Praxis gefunden haben. Dabei bin ich mir bewusst, dass die schriftliche Beschreibung dieser Methoden das Erleben und das reflektierte Lernen in einer Aus- oder Weiterbildung nicht ersetzen kann.
2.4.3 Würdigen, was ist
Die Fragmentierung traumatischen Erlebens führt bei den meisten Betroffenen dazu, dass sie verunsichert sind und nicht mehr wissen, „woran sie mit sich dran“ sind, wie es eine Klientin ausdrückte. Das geringe Selbstwertgefühl, mit dem die meisten Klient/innen eine Therapie aufsuchen, ist Ausdruck davon. Traumatherapie ist deshalb immer auch Arbeit am Verständnis für die eigene Person, mit allen Fragmentierungen und Zerrüttungen, mit all den Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten.
Das Erleben einer existenziellen Bedrohung ist so chaotisch wie für viele Menschen die Folgen davon. Dieses Erleben sollte zuerst einmal so angenommen werden, wie es ist, ohne dass es zurechtgewiesen wird, weil es nicht in vorgegebene Phasen therapeutischer Behandlung oder in ideologische Vorannahmen der Therapeut/innen passt (dazu später mehr). Würdigen, was ist! In Kapitel 5 werde ich deshalb unser Konzept der 4 B (Boden, Beziehung, Begegnen, Bewältigen) vorstellen, mit dem wir diesem Erleben der Klient/innen gerecht zu werden versuchen, mit Blick auf die konkrete Person mit ihren konkreten Ressourcen und ihrem konkreten Leiden.
2.4.4 Beziehung, Beziehung, Beziehung
Das Erleben der traumatischen Situation ist eine existenzielle Bedrohung und somit eine Überforderung des betroffenen Menschen. Fight oder Flight, Freeze oder Fragment sind Ausdruck dieser Bedrohung und Überforderung. Das Handeln der Täter/innen kann nur deshalb auf Ohnmacht und Hilflosigkeit stoßen, weil die betroffenen Menschen ohne Hilfe, Beistand und Rettung sind.
Das traumatische Erleben ist ein Beziehungserleben in doppelter Hinsicht: Es ist das Erleben einer existenziell bedrohlichen Beziehung zu einem oder mehreren Täter/innen und es ist das Erleben einer Leere, des Fehlens von Hilfe und Unterstützung. Das Alleinsein in der traumatischen Situation setzt sich oft fort im Alleinsein „danach“.
Therapie ist ein Beziehungsangebot. Im therapeutischen Prozess wird die Beziehung zum Täter/zur Täterin ebenso lebendig wie das Erfahren von Leere und unterlassener Hilfeleistung. Und die therapeutische Beziehung ist eine Alternative zum Alleingelassen-Werden, eine Chance, Beziehung neu zu wagen und zu erproben. Deswegen werde ich in Kapitel 6 auf verschiedene Aspekte der therapeutischen Beziehung in der Traumatherapie eingehen.
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