Aufrichten in Würde. Gabriele Frick-Baer
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Название: Aufrichten in Würde

Автор: Gabriele Frick-Baer

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783934933392

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СКАЧАТЬ Trauma als ein „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt.“ (Fischer, Riedesser 1999, S.79)

      Begrifflich hat es sich für uns als sinnvoll herausgestellt, verschiedene Aspekte zu unterscheiden, die in der Sammelbezeichnung „Trauma“ enthalten sein können:

       das Traumaereignis oder die Traumasituation, also in diesem Kontext die Handlungen sexueller Gewalt,

       das Traumaerleben, also die Art und Weise, wie ein Mensch sich und seine Welt vor, während und unmittelbar nach dem Traumaereignis erlebt,

       die Traumabewältigung, also die Art und Weise, wie der Mensch langfristig sein Traumaerleben bewältigt,

       die Traumafolgen, also die Folgen des Traumaerlebens und der Traumabewältigung.

      Trauma ist eine subjektive Kategorie und beinhaltet das subjektive Erleben einer Situation. Wesentliche Merkmale des traumatischen Erlebens sind:

       Die Situation wird als existenziell bedrohlich erlebt. Was unter „existenziell“ verstanden wird, ist individuell unterschiedlich. „Existenziell bedrohlich“ sind nicht nur Situationen, in denen das Leben bedroht ist (die es allerdings auch sehr häufig gibt), grundlegend bedroht werden kann auch die seelische und soziale Existenz.

       Fischer und Riedesser betonen in ihrer Definition die Diskrepanz zwischen der Bedrohung und der eigenen Hilflosigkeit. Das Ohnmachtserleben, das Grundgefühl, einer Gewalt ausgeliefert zu sein, die Erfahrung, in allem, was man tut, unwirksam zu sein, gehört folglich ebenso zum Traumaerleben.

       Die Beschädigung des Selbstwertgefühls habe ich in der Beschreibung der Phänomene betont.

       Ebenso haben wir dort aufgezeigt, dass die Schutzgrenzen, die die Intimität und Persönlichkeit bewahren, gewalttätig durchbrochen wurden. Jede sexuelle Gewalt ist ein Erleben existenzieller Beschämung.

       Das Erfahren sexueller Gewalt ist immer auch eine Beziehungserfahrung. Nähe wird als gewalttätig und grenzverletzend erlebt, Vertrauen wird gebrochen.

       Erleben sich Opfer sexueller Gewalt in der traumatischen Situation einsam und allein, so setzt sich das Gefühl, alleingelassen zu sein bzw. zu werden, für viele in der „Zeit danach“ noch fort.

      Alle diese Merkmale traumatischen Erlebens müssen nicht für alle Opfer sexueller Gewalt zutreffend sein, für die meisten sind sie es – nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen und nach wissenschaftlichen Studien. In letzteren ist der „Zeit danach“ bisher nicht die Bedeutung zugemessen worden, die dieser Phase meiner Meinung nach gebührt. Aufgerüttelt durch Erfahrungen von Klient/innen, deren Aussagen sich in dem Zitat „Das Schlimmste ist das Alleinsein danach“ stellvertretend wiederfinden, habe ich mir die Forschungsaufgabe gestellt, diese Phase genauer zu untersuchen. Über die Ergebnisse Rechenschaft abzugeben, wird einer späteren Veröffentlichung vorbehalten sein. (Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Damit verharmlose oder relativiere ich keinesfalls die Taten der Täter/innen. Ohne die Taten gäbe es keine „Zeit danach“.) Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die „Zeit danach“ für viele Opfer darüber entscheidet, ob das Traumaerleben bewältigt werden kann oder zu einem nachhaltig bestimmenden Teil der Biografie wird, und dass sie oft über die Nachhaltigkeit des Schreckens und der anderen Folgen entscheidet.

      Das Traumaerleben sollte deshalb in drei Phasen unterteilt werden: das Erleben der akuten traumatischen Situation/en der Erfahrung sexueller Gewalt, die „Zeit danach“, in der die Betroffenen getröstet und parteilich aufgefangen werden – oder auch nicht, und die Phase der Traumabewältigung, in der die Betroffenen auf unterschiedliche Weise mittel- und langfristig die Folgen des Traumaerlebens in ihre Lebensmuster integrieren.

      Eine traumatische Erfahrung ist ein Erleben existenzieller Bedrohung. Um solchen Bedrohungen zu begegnen, greifen besondere Mechanismen im Körper, insbesondere im Gehirn. Diese zu verstehen, ist wesentlich, um zu begreifen, auf welche besondere Art das Erleben sexueller Gewalt und anderer Traumata im Gehirn bearbeitet und gespeichert wird. Aus diesen Prozessen ergeben sich wichtige Schlussfolgerungen für das Wiedererinnern und die therapeutische Arbeit. Hier sollen v.a. zwei wesentliche Besonderheiten des Traumagedächtnisses vorgestellt werden (Damasio 2001, Hüther 2001, Roth 2003, 2007, Singer 2002, Spitzer 2002, 2006 u.a):

      Die erste Besonderheit besteht darin, dass alle sinnlichen Eindrücke des Menschen auf ihre existenzielle Gefährlichkeit geprüft werden. Dieses jahrtausende alte Prüfprogramm ist entwicklungsgeschichtlich sinnvoll für das Überleben der einzelnen Menschen wie der Gattung Mensch.

      Wenn ein Mensch etwas Ungefährliches wie eine Blume sieht, reagiert er anders, als wenn er einem Säbelzahntiger begegnet und es um sein Überleben geht. Alles, was an einen Säbelzahntiger erinnert, mobilisiert die höchste Alarmstufe. Was früher die Geräusche, Gerüche und Spuren der Säbelzahntiger waren, sind heute die Trauma-Trigger.

      Neurobiologisch beginnt der Prozess beim Thalamus. Diese Region des Gehirns ist zuständig für die Roherfassung der sinnlichen Eindrücke. Zur genaueren Bewertung und Einordnung leitet der Thalamus sie immer auch an die Amygdala weiter. Die Amygdala ist die existenzielle Wächterin des Gehirns. Sie prüft, ob ein Notfall, eine existenzielle Bedrohung vorliegt. Trifft dies zu, aktiviert sie ein Notfallprogramm.

      Das traumatische Erleben ist ein Notfall. Wenn sinnliche Eindrücke über den Thalamus an die Amygdala gelangen, setzt diese Sofortreaktionen in Gang. Wer über die Straße geht und plötzlich ein herannahendes Auto hört, versucht wahrscheinlich, zur Seite zu springen. Dies geschieht, bevor er das Signal eingeordnet hat. „Flight“ oder „Fight“ werden die spontanen, durch die Amygdala hervorgerufenen Reaktionen genannt.

      Wie kann die Amygdala solch ultraschnelle Reaktionen bewirken? Sie umgeht den Hippocampus, worin die zweite Besonderheit besteht. Der Hippocampus integriert üblicherweise die vom Thalamus neu eintreffenden Erfahrungen zeitlich, räumlich und emotional mit den Erinnerungen der Neocortex (dem neuronalen Speichersystem, der „Festplatte“) und schafft ein inneres Bild, aufgrund dessen ein Mensch handeln kann und das er abspeichern kann. Normalerweise hilft steigende emotionale Erregung, den Hippocampus zu stimulieren. An den ersten Kuss werden sich noch viele Menschen erinnern. Doch wird in der extremen Notfallsituation die Erregung außergewöhnlich hoch, wird der Hippocampus ausgeschaltet und umgangen. Wenn ein Mensch vom Säbelzahntiger bedroht wird, werden viele organische Funktionen, die nicht unmittelbar zum Überleben notwendig sind, abgeschaltet oder reduziert. Die genauen Umstände des Angriffs des Säbelzahntigers sind ebenso unwichtig wie sein Alter oder die Zahl seiner Barthaare.

      Diese Kurzschlussreaktion führt dazu, dass die Amygdala autonom das vegetative System aktiviert und damit das gesamte Stressprogramm mobilisert, von der Adrenalinausschüttung bis zum Herzrasen. Gleichzeitig stellt die Amygdala unmittelbar Verbindungen zur Neocortex her. Die Folge ist, dass in solchen Situationen oft gar kein zusammenhängendes Bild hergestellt wird, an das sich der betroffene Mensch später erinnern kann. Um eine solche Erinnerung zu schaffen, hätte der Hippocampus aktiv sein müssen. Es bleiben in der Erinnerung der Amygdala und teilweise des Neocortex nur Fetzen, Fragmente, Bruchteile der Erinnerung, ein Geruch, die Erregung, Aktionen des vegetativen Nervensystems usw. Die fehlenden bzw. nur in Bruchstücken vorhandenen Erinnerungen, über die traumatisierte Menschen oft klagen, sind Ergebnis dieses Prozesses.

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