Aufrichten in Würde. Gabriele Frick-Baer
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Название: Aufrichten in Würde

Автор: Gabriele Frick-Baer

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783934933392

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СКАЧАТЬ zusammensetzen. Doch ist die Situation der meisten Opfer sexueller Gewalt oder anderer traumatischer Ereignisse von besonderer Hilflosigkeit und Überforderung gekennzeichnet (s. auch Kap. 3.9). Sie können weder kämpfen noch fliehen – also geraten sie in die Falle traumatischer Überforderung. Die Reaktion darauf ist „Freeze“ und „Fragment“. Das Traumaerleben wird „eingefroren“ in der Dauererregung und den anderen Symptomen des Posttraumischen Stresssyndroms (PTSD), das Erleben und die Erinnerung daran bleiben fragmentiert. Die Nacharbeit des Hippocampus gelingt jedoch bei einigen Opfern nicht, bei denen, die unter den Folgen des PTSD leiden. Vor allem nicht bei Menschen, die Multitraumata erlebt haben.

      Die Opfer sexueller Gewalt und anderer Traumata, die kein erinnerungsfähiges Bild konstruieren können, können jedoch über körperlich-sinnliche Erinnerungen angesprochen werden: „Ist die Erinnerung an die traumatische Situation verloren oder fragmentiert, so repräsentieren traumatische Reaktionen bzw. Prozesse diese Erfahrung als implizite Erinnerung, auf der Ebene des Körpergedächtnisses.“ (Fischer/Riedesser 2003, S.119) In bildgebenden Verfahren wird bei experimentell herbeigeführten Flashbacks deutlich, dass das Broca-Areal als motorisches Sprachzentrum in seiner Aktivität unterdrückt wird, während der Bereich, dessen Schwerpunkt im bildhaften Speichern von Emotionen und Sinneseindrücken liegt, „besonders aktiv (ist). Dieser Befund erklärt, warum viele Traumatisierte das Geschehen oft nur bildhaft wiedererleben, nicht in Worte fassen können und von einem Zustand wortlosen Entsetzens (speechless terror) berichten.“ (a.a.O., S.123) Diese spezifische Art neurobiologischer Traumaverarbeitung macht die erste große Schlussfolgerung aus diesen Erkenntnissen zwingend: Traumatherapie muss Körper- und Sinnesgedächtnis ernst nehmen und ansprechen und auf der Ebene der Bilder, der Klänge und der Körpererfahrungen arbeiten.

      Die verschiedenen Fragmente des Traumaerlebens, die gespeichert sind, können als Trigger das traumatische Erleben reaktivieren. Sie müssen neu integriert und umgewandelt werden, um diese Kraft zu verlieren bzw. zu verringern. Um dem Traumaerleben heilend zu begegnen, in welcher Phase der Therapie auch immer, wird es oft notwendig sein, sich den Erinnerungen mit all dem damit verbundenen Schrecken zu stellen. Solche Erinnerungen sind nicht gegeben, sondern werden in dem Prozess des Erinnerns neu geschaffen (Schauer, Nenner, Elbert 2003). Erinnern ist immer auch Neu-Erinnern. Die neuronalen Vernetzungen des erinnerten Geschehens werden neu aktiviert. Das ist der Schrecken, der Schmerz der traumatischen Erinnerung. In dieser Neuaktivierung werden sie jedoch nicht in dem Gehirn von damals geschaffen, sondern in dem Gehirn des heutigen Zeitpunkts, mit Boden und Beziehung, mit größerem Selbstbewusstsein und helfender Unterstützung. Diese neuen Bedingungen, diese veränderte Umgebung des Erinnerns kann die Erinnerung verändern, was wir in der Traumabewältigung aktiv angehen. Nicht die erlebte „alte“ Erinnerung wird anschließend wieder gespeichert, sondern die neue, die veränderte Erinnerung. Forscher sprechen deshalb von der „Transformation der traumatischen Erinnerung“ in der Traumatherapie (Peichl 2001, S. 151).

      Auch dann, wenn Opfer zusammenhängende Geschichten des Traumaereignisses erzählen können, sind immer auch Dissoziationen und Fragmentierungen des Erlebens vorhanden, ist das Traumaerleben nicht vollständig integriert, was natürlich nur dann ein Problem ist, wenn Menschen darunter leiden. Bei der Bewältigung dieser Integration ist in der Therapie das nachzuholen, was dem Opfer unmittelbar nach dem Ereignis nicht möglich war. Der entscheidende Unterschied zu dieser Situation, die durch Hilflosigkeit, Einsamkeit und dem Dilemma, weder zu „Fight“ noch „Flight“ in der Lage zu sein, gekennzeichnet war, besteht in der therapeutischen Beziehung: Das Opfer ist nicht mehr allein, nicht mehr hilflos, nicht mehr überfordert, es bekommt Unterstützung, sich aus der Erniedrigung aufzurichten.

      Die Psychotrauma-Forscher kennzeichnen zusammenfassend das Trauma als „unterbrochene Informationsverarbeitung und als unterbrochene Handlung“. Die zweite große Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen, besteht darin, den Prozess in Handlung und Informationsverarbeitung – im geschützten Setting der therapeutischen Beziehung – so auf der Erlebensebene fortzusetzen, dass die Unterbrechung aufgehoben und in einen Prozess der Aufrichtens und der Erfahrung von Unterstützung überführt wird.

      Aus dem beschriebenen biologisch-neuronalen Prozess des Traumaerlebens und des Traumaerinnerns sind Konsequenzen für die Traumatherapie zu ziehen. Die vier wichtigsten sind:

      Jede Therapie mit Opfern sexueller Gewalt muss eine Therapie des Erlebens sein, denn die traumatische Erfahrung ist eine Erfahrung besonderen Erlebens. Diese besondere Erlebensstruktur gilt es in der Therapie zum Thema zu machen und zu verändern. Es geht nicht nur darum, ein bestimmtes Verhalten zu ändern oder ein bestimmtes Gefühl wie den Zorn auf einen Täter zuzulassen. Es geht nicht nur um kognitive Erinnerungen oder Denkweisen. Es geht nicht nur darum, dem Schrecklichen Positives gegenüberzustellen usw. All das sind Einzelaspekte. Es geht darum, die traumatische Erfahrung als Erfahrung besonderen Erlebens ernst zu nehmen und im therapeutischen Prozess zum Thema der Veränderung zu machen.

      Nur dann werden wir unserer Überzeugung nach den Klientinnen und Klienten gerecht.

      Wir nennen diese grundsätzliche Haltung leibtherapeutisch. Das Wort „Leib“ haben wir – um an dieser Stelle noch einmal zu wiederholen, worauf in Kapitel 1 schon hingewiesen wurde – aus der Phänomenologischen Philosophie übernommen. Leib bezeichnet den sich und seine Welt erlebenden Menschen. „Leib“ bedeutet „Leben“, „lebendig“. Leib meint den Menschen, der sich erlebt, ist also nicht synonym mit Körper, meint also nicht den gewogenen, gemessenen, äußerlich beschriebenen Menschen.

      Die Phänomenologische Philosophie hat die Prozesse des Erlebens untersucht und dafür eine Reihe von Begrifflichkeiten entwickelt (u.a. Merleau-Ponty 1966, Fuchs 2000). Wir haben diese Begrifflichkeiten aufgegriffen und um Ergebnisse der Säuglingsforschung (u.a. Stern 1992, Dornes 1999) und Neurowissenschaften ergänzt sowie auf der Grundlage der Auswertung unserer Erfahrungen zu einem Bündel diagnostischer Kategorien des Erlebens und leiborientierter Wege therapeutischen Veränderns erweitert, das wir Kreative Leibtherapie nennen.

      Traumatherapie muss sich auf die Besonderheiten des traumatischen Erlebens und seiner Nachwirkungen einstellen und diese zum Ausgangspunkt therapeutischen Einwirkens nehmen. Die beschriebenen Notfallreaktionen erklären z. B. die Bedeutung der Erregungsverläufe im Traumaerleben und betonen die Wichtigkeit, mit den Erregungskonturen in der Traumabewältigung zu arbeiten. Die Traumabewältigung ist wichtig, um die chronifizierte hohe Erregung zu reduzieren und die Erregungskontur zu flexibilisieren. Und die Veränderung der Erregungskontur ist notwendig, damit nicht jede hohe Erregung ein Trigger ist, ein Auslöser für die Reaktivierung der Amygdala und damit die Wiederbelebung des Traumaerlebens.

      Um solche Erregungsprozesse und ihre Veränderungen zu verstehen und zu handhaben, ist es nützlich, auf die leibtherapeutischen Modelle der Erregungskonturen und die Arbeit mit ihnen zurückzugreifen. In Kapitel 3 werde ich die für die Traumatherapie relevanten leibtherapeutischen Modelle des Verstehens und Handelns vorstellen und illustrieren, wie ich mit ihnen arbeite.

      Gerade weil der Hippocampus die in der traumatischen Situation hereinströmenden Eindrücke und Erfahrungen nicht zu einem kognitiv sortierten Bild zusammensetzen kann, sind die Betroffenen auf Erinnerungen ihres Körpers und ihrer Sinne angewiesen und diesen oft hilflos und verständnislos ausgeliefert. Über keine konsistenten Erinnerungen zu verfügen, woran viele Klient/innen СКАЧАТЬ