Название: Das letzte Schwurgericht
Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783429061586
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»Es war kein natürlicher Tod. Eine äußerst unschöne Sache. Er wurde vor seinem Haus von einem Auto überfahren. Aus den Spuren zu schließen, vorsätzlich. Wir haben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Zusammenstoß war so stark, dass er an den Folgen sofort verstorben ist. Damit hat sich der Täter aber nicht zufrieden gegeben. Nach der Kollision ist der Fahrer oder Beifahrer ausgestiegen, zu dem alten Mann hingegangen und hat ihm gezielt aus nächster Nähe in beide Augen geschossen.«
»Das ist ja total pervers! Das sieht ja fast so aus, als wollte der Täter eine Botschaft hinterlassen. Riecht irgendwie nach einer Rachehandlung oder einem Ritualmord.«
»Wir tappen im Augenblick noch völlig im Dunkeln. Laut Aussage der Nachbarn war Dr. Kürschner ziemlich dement. Wieso er mitten in der Nacht auf die Straße gelaufen ist, ist noch rätselhaft. Ein paar Kilometer entfernt, in der Nähe des Hubland-Campus haben wir das Tatfahrzeug gefunden. Die Spuren am Fahrzeug waren eindeutig. Es war gestohlen. Der Eigentümer hatte den Diebstahl schon angezeigt. Im Fahrzeug fanden wir keine verwertbaren Spuren, die auf den Täter hindeuteten. Wir ermitteln in Kürschners privatem und in seinem früheren beruflichen Umfeld. Aus ermittlungstechnischen Gründen ging noch nichts an die Presse hinaus. Deshalb konntest du auch noch nichts darüber in der Zeitung lesen.«
Kerner malte nachdenklich mit dem Zeigefinger Striche an sein beschlagenes Weinglas.
»Es würde mich nicht wundern, wenn der oder die Täter in seiner beruflichen Vergangenheit zu finden wären. Dr. Kürschner war wirklich ein knallharter Richter, der keine Kompromisse machte.«
Brunner sah ihn zweifelnd an. »Bei einem Schwurgerichtsprozess entscheiden doch fünf Richter, drei Berufsrichter und zwei Schöffen, über das Urteil. Kann da wirklich der Vorsitzende eine so dominante Rolle spielen?«
»Prinzipiell ist das schon richtig. Die Berufsrichter und die Schöffen stimmen in geheimer Beratung über das Urteil ab, wobei jede Stimme gleichwertig ist. Eigentlich dürfte über die Beratungen nichts nach außen dringen, aber unter Kollegen ist dann hin und wieder mal durchgesickert, dass es keinen Fall gab, bei dem letztlich etwas anderes herausgekommen ist, als sich Dr. Kürschner vorgestellt hatte. Er muss, gelinde gesagt, bei den Urteilsberatungen eine starke Überzeugungskraft gehabt haben. Es war ein offenes Geheimnis, dass Kürschner eine gewisse Affinität zur Todesstrafe hatte und bedauerte, dass man sie in Deutschland abgeschafft hatte. Man kann das ja sogar nachlesen. Er hat sich in seiner Freizeit literarisch mit den teilweise martialischen Strafen früherer Jahrhunderte auseinandergesetzt. Sein Standardwerk über die Hinrichtungsstätten in Würzburg zu Zeiten der Fürstbischöfe und deren Rechtsprechung hat ja in einschlägigen wissenschaftlichen Kreisen durchaus Anerkennung erfahren. Insgesamt betrachtet, war der Kollege schon eine etwas schillernde Juristenpersönlichkeit, was man aber höheren Orts aufgrund seiner fachlichen Fähigkeiten hinnahm.«
»Naja, für uns war es natürlich eine Genugtuung, wenn er einen Straftäter, dem wir mühsam ein Verbrechen nachgewiesen haben, dann auch tatsächlich hinter Gitter geschickt hat. Und das oft auch lebenslänglich.«
Kerner nickte. »Kann ich gut verstehen. Uns Staatsanwälten ging es ja nicht anders. Ich habe damals als Oberstaatsanwalt in zahlreichen Prozessen die Anklage vor dem Schwurgericht vertreten. Ich kann dir sagen, Kürschner hätte in seinen Verhandlungen eigentlich gar keinen Staatsanwalt gebraucht. Da ging es wirklich hart zur Sache. Dabei ist er immer völlig ruhig und freundlich geblieben. Das hat viele Angeklagte und ihre Verteidiger eingelullt. Wenn er dann das Urteil verkündete, hat es manchem Angeklagten regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen.
Ich erinnere mich noch gut an den letzten Prozess, den er als Vorsitzender des Schwurgerichts geleitet hat. Ich habe damals in diesem Verfahren die Anklage vertreten. Es war zufällig auch meine letzte Verhandlung vor dem Schwurgericht, bevor ich dann die Ermittlungen gegen die Main-Spessart-Mafia übertragen bekommen habe. Es ging um einen ziemlich verzwickten Mordfall, letztlich ein Indizienprozess, der hinsichtlich der Beweislage auf etwas tönernen Füßen stand. Da ich von der Täterschaft absolut überzeugt war, habe ich natürlich alles darangesetzt, um eine Verurteilung zu erreichen.«
»War das nicht die Sache mit diesem Winzer, diesem Thannenberger? Er hatte seine schwangere Freundin im Schlaf mit dem Kissen erstickt.«
Kerner nickte.
Brunner erinnerte sich. »Ich war damals nicht mehr bei der Mordkommission, sondern bereits mit der Gründung der Sonderkommission Spessartblues beschäftigt. Aber wir haben uns natürlich unter Kollegen darüber unterhalten. Wie ich hörte, war die Beweislage wirklich ausgesprochen schwierig. Thannenberger hat ja dann auch bis zum Schluss die Tat geleugnet.«
»Ja. Es gab keine Zeugen, lediglich den Ehemann der Ermordeten, der sich zum Todeszeitpunkt seinerseits bei einer Geliebten aufhielt. Die Ehe war, wie er aussagte, total zerrüttet. Als er am Morgen nach Hause zurückkam, fand er seine Frau tot vor. Er hat dann sofort die Polizei verständigt. Am Anfang galt er ja als Hauptverdächtiger, aber seine Freundin verschaffte ihm ein wasserdichtes Alibi. Sie sagte aus, dass er die ganze Nacht bei ihr gewesen sei.
Thannenberger gab schließlich zu, dass er bei der Ehefrau gewesen war, er habe sie aber weit vor dem festgestellten Todeszeitpunkt wieder verlassen. Bei der Obduktion wurde dann festgestellt, dass die Tote im vierten Monat schwanger war und an diesem Abend mit Thannenberger Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Das Kind stammte allerdings, wie die spätere Untersuchung ergab, von ihrem Ehemann.
Nachbarn sagten aus, dass sie am späteren Abend aus der Wohnung Streit vernommen hätten. Diese Zeugen bestätigten, dass es sich dabei nicht um die Stimme des Ehemannes gehandelt hatte. Blieb nur Thannenberger. Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass die Ermordete wegen des Kindes die Beziehung zu Thannenberger beenden und zu ihrem Mann zurückkehren wollte. Bei dem dadurch ausgelösten Streit sei Thannenberger ausgerastet und habe in dessen Verlauf seine Geliebte mit dem Kissen erstickt. In der Lunge der Toten fand man Stoffpartikel, die mit dem Kissen übereinstimmten. Das Problem Thannenbergers war, dass man unter den Fingernägeln der Frau Hautmaterial von ihm sicherstellen konnte. Thannenberger hatte entsprechende Kratzspuren am Rücken. Er behauptete zwar, diese Spuren seien während des Liebesspiels entstanden. Wir gingen hingegen davon aus, dass sie sich im Todeskampf heftig gewehrt haben musste. Im Laufe des Prozesses hat er dann den Streit zugegeben, erklärte aber, er sei irgendwann im Zorn gegangen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Frau noch gelebt. Das Schwurgericht hat diese Aussage als Schutzbehauptung eingestuft und ihm nicht geglaubt. Erschwerend für den Angeklagten kam hinzu, dass er einen schlechten Pflichtverteidiger hatte, einen Anfänger ohne Erfahrung. Dr. Kürschner hat meiner Meinung nach solche grünen Burschen bewusst ausgesucht, damit er sie beim Prozess ohne Salz und Pfeffer zum Frühstück verzehren konnte. Die Prognose des Gutachters gab dem Angeklagten dann den Rest. Thannenberger war Jahre zuvor zweimal wegen Körperverletzung verurteilt worden. Im Gutachten wurde ihm daher eine grundsätzliche Bereitschaft attestiert, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Damit war die Sache gelaufen.«
Kerner nahm einen Schluck Wein.
»Das Schwurgericht hat seinen Unschuldsbeteuerungen nicht geglaubt, und Kürschner hat ihn zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verdonnert. Auch für mich persönlich war es durchaus ein gerechtes Urteil. Natürlich habe ich mich auch gefreut, dass ich meinen letzten Schwurgerichtsprozess nicht verloren habe.«
Es trat eine kleine Gesprächspause ein, weil die Bedienung an den Tisch trat und die beiden einen weiteren Schoppen bestellten.
Brunner wechselte das Thema. »Was macht denn die Jagd?«
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