Das letzte Schwurgericht. Günter Huth
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Название: Das letzte Schwurgericht

Автор: Günter Huth

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783429061586

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СКАЧАТЬ Sein Sehvermögen war besonders in der Nacht stark eingeschränkt, und seine Brille lag drinnen auf dem Nachttisch.

      Er suchte nach seinem Jungen.

      Der Anrufer hatte ihn aus dem Tiefschlaf gerissen und ihm mit eindringlicher Stimme erklärt, er müsse sofort vor das Haus kommen, weil Michael, sein Sohn, von einem Auto angefahren worden sei. Er läge schwer verletzt direkt vor dem Grundstück.

      Mit zitternder Hand ließ der alte Mann den Griff des Rollators los und zog die Gartentür auf. Dabei taumelte er etwas, weil ihm leicht schwindelig wurde. Sein Kreislauf war durch das hektische Aufstehen völlig durcheinander. Die Aufregung ließ seinen Puls rasen. Er passierte die Tür und trat auf den Gehsteig hinaus. Die grobe Körnung des Asphalts stach ihn in die weichen Fußsohlen. Er registrierte es kaum. Verwirrt suchte er die Straße ab. »Michael«, rief er dann mit brüchiger Stimme, die kaum ein paar Meter weit trug. Noch einmal: »Michael!« Aber da war nichts.

      Er schob seine Gehhilfe über den auf Höhe des Eingangs abgesenkten Bordstein auf die Straße. Etwas verloren stand er mitten auf der nächtlichen Fahrbahn und stammelte den Namen seines Sohnes. Keiner hörte seine schwache Stimme. Alle Häuser dieser Wohnstraße lagen in Dunkelheit. Die Bewohner schliefen.

      Keiner sah das unbeleuchtete schwarze Auto, das sich einen guten Steinwurf weit entfernt vom Bordstein löste und sich langsam rollend, fast schleichend der einsamen Gestalt näherte. Etwa sechzig Meter vor dem Mann heulte der Motor plötzlich auf, und der Wagen fuhr mit voller Beschleunigung auf den Alten zu. Als der frontal angebrachte Rammbügel des massigen Geländefahrzeugs auf den mageren Körper des alten Mannes traf, gab es ein klatschendes Geräusch. In hohem Bogen wurde er über die Kühlerhaube nach oben geschleudert. Hart schlug er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe des Fahrzeugs, das ungebremst weiterfuhr. Das Sicherheitsglas erhielt sternförmige Risse, die vom zentralen Auftreffpunkt des Schädels ausgingen. Ein deutlich sichtbarer Blutfleck im Zentrum des Aufschlages zeugte von der Wucht des Zusammenpralls. Der Körper des Mannes wurde seitlich von der Motorhaube geschleudert und schlug hart gegen den Bordstein. Der völlig deformierte Rollator landete ein Stück weit entfernt im Rinnstein.

      Erst ein Stück hinter der Kollisionsstelle bremste der Wagen abrupt ab. Grell durchschnitten die glutroten Bremsleuchten die Nacht. Die Fahrertür wurde aufgerissen, eine Gestalt sprang heraus und näherte sich dem gestürzten Greis. Die Pistole mit Schalldämpfer zuckte zweimal in ihrer Hand, dann hastete sie wieder zum Wagen zurück. Mit durchdrehenden Reifen preschte das Fahrzeug die Straße entlang. Erst an der nächsten Kurve wurde das Fahrlicht eingeschaltet.

      Ein Bewohner aus einem der Nachbarhäuser, der einen leichten Schlaf hatte, wurde von dem Schlag der Kollision und dem späteren Quietschen der Reifen aufgeweckt. Schlaftrunken erhob er sich und sah von seinem Schlafzimmerfenster aus auf die Straße. Er fragte sich erbost, welcher rücksichtslose Mensch mitten in der Nacht einen derartigen Lärm verursachte. Verärgert wollte er sich schon wieder zurück ins Bett legen, als er die bewegungslose Gestalt im gestreiften Schlafanzug im Rinnstein liegen sah. Schlagartig war er wach. Er schlüpfte in seine Hose und rannte hinaus. Mit Entsetzen erkannte er unter der blutigen Maske das Gesicht seines Nachbarn.

      Wenig später konnte der herbeigerufene Notarzt nur noch den Tod Dr. Wilhelm Kürschners, des pensionierten Vorsitzenden Richters des Landgerichts Würzburg, feststellen. Der Aufprall hatte ihm das Genick gebrochen und der Bordstein den Schädel eingeschlagen. Die beiden Schüsse in seine Augen wären gar nicht mehr erforderlich gewesen. Der Täter hatte die Augenhöhlen in zwei blutige Seen verwandelt. Das Blut verschwand als schmales Rinnsal im zwei Meter entfernten Gully. Der Notarzt alarmierte die Einsatzzentrale der Polizei. Wenig später traf die Mordkommission ein und verwandelte die stille Seitenstraße in einen emsigen Ameisenhaufen.

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      Erster Kriminalhauptkommissar Eberhard Brunner hob sein Weinglas und prostete seinem Gegenüber zu.

      »Zum Wohl, Simon, schön, dass du wieder einmal einen gemeinsamen Schoppenabend ermöglichen konntest. Seitdem du in Gemünden die höheren Weihen eines Amtsgerichtsdirektors erhalten hast, sehen wir uns ja kaum noch.«

      In der Zeit, als Simon Kerner in seiner Funktion als Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Würzburg das große Ermittlungsverfahren gegen die Mafia-Familie Emolino im Landkreis Main-Spessart durchführte, war Brunner der Leiter der mit den Ermittlungen beauftragten Sonderkommission Spessartblues. Nach Beendigung des Verfahrens und der Auflösung der Sonderkommission hatte man Brunner zum Leiter des Kommissariats 1 der Würzburger Mordkommission ernannt.

      Simon Kerner trank, dann setzte er sein Glas langsam wieder ab. »Da kann ich dir nur beipflichten. Weißt du, für mich besteht im Grunde eigentlich keine Notwendigkeit mehr, nach Würzburg zu fahren. Mal abgesehen von jährlich ein bis zwei Dienstbesprechungen am Landgericht. Ich pendle zwischen meiner Wohnung in Partenstein und dem Gericht in Gemünden hin und her und wenn Steffi und ich etwas einkaufen wollen, fahren wir nach Lohr oder Karlstadt. Das sind für uns die kürzesten Wege. Da bekommen wir eigentlich alles, was wir so benötigen, und haben nicht den Stress wie in der Großstadt.«

      Die beiden, die seit der gemeinsamen Ermittlungsarbeit im Emolinofall Freunde geworden waren, saßen in der Weinstube Johanniterbäck und genossen einen fruchtigen Silvaner. Gerne hatte Kerner Brunners Einladung angenommen, die Nacht bei ihm im Gästezimmer zu verbringen. So konnte er ohne Rücksicht auf Promillegrenzen zusammen mit dem Freund den Abend genießen und sich ein paar Schoppen gönnen. Morgen war Samstag, und er musste nicht ins Büro.

      Durch das Gespräch schweiften Kerners Gedanken für einen Moment in die Vergangenheit zurück. Er war damals hart an die Grenzen seiner Integrität gestoßen, weil er lange Zeit geglaubt hatte, durch einen schrecklichen Zufall auf der Jagd den Sohn des Mafiabosses, gegen den er ermittelte, erschossen zu haben. Die Mafia entführte daraufhin seine Freundin und drohte ihm mit deren Tod. Unter diesem Zwang hatte sich Kerner nach schwersten inneren Kämpfen einige Zeit in der Grauzone des Gesetzes bewegt. Dank seiner Fähigkeiten, die er sich als Offizier einer Elitekampftruppe der Bundeswehr angeeignet hatte, gelang es ihm schließlich, Steffi zu befreien. Der Hinrichtung durch die Mafia waren Steffi und er nur knapp entgangen. Kerner würde niemals vergessen, dass er in diesem Kampf in die Abgründe seines eigenen Ichs geblickt hatte. Noch heute setzte er sich immer wieder mit der Tatsache auseinander, dass durch ihn Menschen zu Tode gekommen waren. Es war für ihn noch immer erschütternd, wenn er sich bewusst machte, wie fragil auch bei ihm die Zivilisationsschicht war. Seitdem beurteilte er die Verfehlungen der Menschen, die vor ihm als Richter standen, aus einem erweiterten Blickwinkel.

      Brunner bemerkte, dass sein Freund kurze Zeit geistesabwesend war. Der Kripobeamte konnte sich denken, wohin Kerners Gedanken abgeglitten waren. Auch Brunner war in dem damaligen Fall hart an die Grenzen seiner Loyalität gegenüber dem Gesetz einerseits und dem Freund andererseits gestoßen. Beide wussten, dass durch dieses Kapitel ihres Lebens ein schwarzer Schatten auf ihre ansonsten weißen Westen gefallen war.

      Brunner hielt einen abrupten Themenwechsel für angebracht.

      »Hast du übrigens mitbekommen, dass vor zwei Tagen Dr. Kürschner verstorben ist? Dr. Wilhelm Kürschner, du kannst dich doch an ihn erinnern? Er war lange Zeit beim Landgericht Würzburg der Vorsitzende des Schwurgerichts. Ein harter Knochen, bei dem die Angeklagten nichts zu lachen hatten.«

      Kerner hatte den plötzlichen Themenwechsel noch nicht ganz nachvollzogen. Es dauerte einen Augenblick, bis er aus seiner Gedankenwelt in die Gegenwart zurückgekehrt war und Brunners Worte verinnerlicht hatte. Zustimmend nickte er.

      »Natürlich СКАЧАТЬ