Название: Der christliche Sonntag
Автор: Annika Bender
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Erfurter Theologische Studien
isbn: 9783429064150
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Der evangelische Praktische Theologe Christian Grethlein plädiert dafür, den Sonntagsgottesdienst nicht im Kontrast, sondern im Verhältnis zu anderen Gottesdienstformen und -zeiten zu sehen. Sie scheinen von größerer Attraktivität zu sein. Außerdem sollten Erkenntnisse über nicht-sonntägliche Gottesdienste auch für den Sonntagsgottesdienst genutzt werden. Unter den gegenwärtigen religionssoziologischen Voraussetzungen seien Innovationen für den Sonntagsgottesdienst entscheidend. Das sich verändernde Verhältnis von Gottesdienst und Gemeinde führt für den evangelischen Theologen zum Hinterfragen der angenommenen Deckungsgleichheit von Sonntagsfeiergemeinschaft und Gemeinde. Die Berücksichtigung der Lebensbedingungen der Gottesdienstfeiernden sei dabei die Grundvoraussetzung30.
Für den evangelischen Sonntagsgottesdienst ist das Erscheinen der Erneuerten Agende im Jahr 1999 ein wichtiger Schritt gewesen31. Die Agende bietet verschiedene Modelle für den Sonntagsgottesdienst und ist „Regelbuch, Werkbuch und Textsammlung in einem“32.
Im Kontext der parochialen Strukturveränderungen werden in der evangelischen wie der katholischen Theologie in Bezug auf den Gottesdienst ähnliche Fragen diskutiert. Sie betreffen die Form des Gottesdienstes und die damit verbundenen theologischen Konsequenzen33. Im Kontext dessen wird auf der Grundlage liturgiehistorischer und soziologischer Erkenntnisse die Frage nach der Definition von „Gemeinde“ und der Bedeutung von „Gemeinde“ gestellt34.
Katholischerseits kommen außerdem v.a. Möglichkeiten und Grenzen für die Eucharistiefeier und die Wort-Gottes-Feier in den Blick. Die theologische Reflexion der Wort-Gottes-Feiern wurde besonders durch die Herausgabe der liturgischen Bücher für das Gebiet der deutschsprachigen Schweiz, Deutschlands und Österreichs vorangetrieben35. Hier spielen bisher v.a. Fragen der Leitung, die Teilhabe der Gemeinde und die liturgische Feiergestalt eine Rolle36.
Bezüglich der Eucharistiefeier werden die Bedeutung konkreter Gestaltungselemente wie Predigt37 und Orationen und die Notwendigkeit und Möglichkeiten zur Eucharistiefeier diskutiert38. Bei den Feierformen sind neben der Wort-Gottes-Feier für den katholischen Bereich das sog. Zweite Programm für die evangelische Kirche bzw. spezielle Gottesdienstangebote zu erwähnen39.
Einzelne Beiträge heben das lebenspraktische Potential des Sonntagsgottesdienstes in seiner Bedeutung für die christliche Spiritualität in grundsätzlicher Weise und am Beispiel etwa von neuen geistlichen Gemeinschaften hervor. Auch fehlt es nicht an Aufsätzen mit exemplarischen Erläuterungen zu den einzelnen Gestaltungselementen von Wortgottesdienst und Eucharistiefeier40.
Medien kommt in der Vermittlung religiöser Inhalte eine wichtige Bedeutung zu. Zwei Formen kirchlicher Sonntagskultur im Fernsehen spielen hier eine besondere Rolle: die sonntäglichen Gottesdienstübertragungen und das „Wort zum Sonntag“. Den Gottesdienst betreffend werden hier v.a. liturgietheologisch die Möglichkeiten zur participatio actuosa – also die Frage, ob die Gottesdienstzuschauer als Mitfeiernde zu verstehen sind – diskutiert41. Das „Wort zum Sonntag“, das prominent im Samstagabendprogramm des öffentlichrechtlichen Fernsehens positioniert ist, ist als eine feste Größe etabliert und ermöglicht den beiden großen Kirchen in Deutschland, ein breites Publikum mit zentralen christliche Glaubensinhalte in Beziehung zum christlichen Festkalender und tagespolitisch aktuellen Fragestellungen bekannt zu machen 42.
Zwei neuere pastoraltheologische bzw. praktisch-theologische Arbeiten widmen sich der Analyse der Perspektive der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sie versuchen, Verbindungslinien zwischen theologischen Konzeptionen und subjektivem Empfinden aufzuzeigen und Rückschlüsse für liturgisches Handeln zu ziehen43.
Kirchenrechtlich findet eine Diskussion über die „Heiligkeit“ des Tages und die „Sonntagspflicht“ statt. Außerdem werden die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen der sog. Wort-Gottes-Feier diskutiert. Sie werden angeregt von aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, dem veränderten Teilnahmeverhalten und dem für die katholische Kirche drängenden Problem des Priestermangels, der dazu führt, dass vielerorts eine sonntägliche Eucharistiefeier nicht mehr gewährleistet werden kann44.
Ein Schwerpunkt neuerer Veröffentlichungen liegt im sozialethischen Bereich, hier geht es um die Funktion des Sonntags als „Humanum“. Die Arbeitsruhe und die Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen stehen hier im Vordergrund45. Es wird erkennbar: Der mögliche Verlust des Sonntags als arbeitsfreier Tag erlangt offensichtlich größeres wissenschaftliches Interesse als eine Gefährdungssituation des Gottesdienstes.
Fragen nach der Bedeutung des Sonntags für die christliche Identität und ihre kulturelle Bedeutung unter den Voraussetzungen heutiger Glaubenspraxis sind in den aufgeführten Publikationen angestoßen und sollen im Folgenden noch vorangetrieben werden.
1.2 Der Ansatz der Kontextuellen Theologie: Kultur als Konstitutivum theologischer Reflexion
Formen des Glaubens haben sich in Europa verändert. Häufig ist von Säkularisierung die Rede. Ein solcher Formenwandel wirkt sich auch auf die Fragestellungen der Theologie aus. Das Konzept der sog. Kontextuellen Theologie stellt einen konstruktiven Ansatz dar, der solche Veränderungen grundsätzlich berücksichtigt. Für die Frage nach der theologischen und gesellschaftlichen Relevanz christlicher Glaubenspraxis in der Gegenwart ergeben sich daraus wichtige hermeneutische Impulse.
Die gesellschaftliche Debatte um den Sonntag als arbeitsfreien und damit zu schützenden Tag ist spezifisch europäisch. Die theologische Reflexion dieses Themas muss deshalb kontextuell erfolgen und die Bedingungen religiösen Lebens für dieses Territorium bedenken; das schließt Traditionen, gesellschaftspolitische Diskussionen und kulturelle wie religiöse Veränderungen ein. Theologiegeschichtlich ist die Bezeichnung „Kontextuelle Theologie“ im Zusammenhang der Befreiungstheologie entstanden, heute gilt sie auch für ein in weiten Teilen säkulares Europa46. Deswegen kann unter Berücksichtigung des europäischen Kontextes durchaus von einer „europäische[n; A.B.] Theologie“47
Kontextuelle Theologie vereint dabei verschiedene Paradigmen, auf die sich das Zweite Vatikanische Konzil auch in Bezug auf die Fragen der Liturgie als Wege der Inkulturation – der Weitergabe der Botschaft des Evangeliums unter den jeweiligen Voraussetzungen – bezieht51. Sie ermöglicht es der Kirche, ihren Glauben öffentlich zu kommunizieren und dem Sendungsauftrag nachzukommen52. Sie entspricht zugleich dem ekklesiologischen wie dem missionarischen Grundzug der Kirche, Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen zu stiften. Die christliche Gemeinde ist dabei nicht auf sich selbst beschränkt, sondern bezieht die Mitglieder anderer Kommunikationssysteme ein. Die Art der Vermittlung der kommunizierten Botschaft kann sich dagegen unterscheiden. Kontextuelle Theologie versucht über die Grenzen der Theologie hinweg im Dialog mit anderen Disziplinen die Sendung der Kirche zu erfüllen und das Evangelium weiterzugeben53.
Ein wesentliches Merkmal der Kontextuellen Theologie besteht in ihrem Prozesscharakter und in ihrer Entwicklungsfähigkeit. So wie sich die kontextuellen Voraussetzungen verändern, ist auch die Kontextuelle Theologie in Bewegung. Theologie und Kontext befinden sich in einer Wechselbeziehung zueinander54. Es СКАЧАТЬ