Название: Die Spur des Wolfes
Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783429062552
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Was sich im Detail im Duschraum wirklich abspielte, wurde nie aufgeklärt, da alle Beteiligten schwiegen. Letztlich hatte keiner der Männer ein gesteigertes Interesse daran, die Angelegenheit aufzuwühlen. Die Vollzugsbeamten sagten im Rahmen eines Dienstaufsichtsverfahrens aus, sie hätten aus der Dusche klatschende Geräusche gehört, dann einen unterdrückten Schrei. Sie seien von einer harmlosen Rangelei unter Gefangenen ausgegangen. Kurz darauf verließ zu ihrer Verwunderung Hasenstamm völlig gelassen den Raum und nickte den beiden Beamten mit einem merkwürdigen Lächeln zu. Es sollte einer der wenigen Momente gewesen sein, dass man den Gefangenen Hasenstamm lächeln sah. Die Beamten sahen daraufhin in der Dusche nach und fanden zu ihrer Überraschung die Gangmitglieder Bulganovs vor, deren Köpfe ziemlich malträtiert aussahen. Dem einen blutete die Nase, dem anderen schwoll bereits ein Auge zu. Bulganov selbst hatte es aber am härtesten getroffen. Das Handtuch, das sich der Russe aufs Gesicht drückte, war bereits blutgetränkt. Die Beamten bemerkten zu ihrem Entsetzen, dass aus dem linken Auge des Russen ein Fremdkörper herausstand. Die beiden Gangmitglieder des Russen behaupteten stur und steif, dass es sich um einen Unfall handele. Sie hätten unter der Dusche spaßeshalber etwas herumgecatcht, um den Neuen ein wenig zu testen. Dabei sei Bulganov auf den nassen Kacheln ausgerutscht und mit dem Gesicht gegen die Wand der Dusche geknallt. Dabei sei eine Fliese gebrochen und ein Fragment in Bulganovs Auge gedrungen. Das Auge des Russen konnte nicht gerettet werden. Bei der nachfolgenden Untersuchung stießen die Ermittler auf die berühmte Mauer des Schweigens. Die Russen blieben bei ihrer Version der Geschichte und Hasenstamms Kommentar bestand in einem Schulterzucken. Bulganov trug fortan eine schwarze Augenklappe und ging Hasenstamm aus dem Weg. Der Burgfrieden wurde nie gebrochen. Es drang nie nach außen, dass Hasenstamm Bulganov gedroht hatte, ihm beim nächsten Versuch einer Belästigung durch ihn oder seine Vasallen die Eier abzuschneiden. Keiner zweifelte an der Ernsthaftigkeit seiner Drohung.
Auch der kooperative Strafgefangene behauptete, von dem Fluchtplan Hasenstamms keine Ahnung gehabt zu haben. Wolfgang Hasenstamm teilte sich niemandem mit. Er sprach nur das Nötigste. Wie der Gefangene berichtete, hatte sich Hasenstamm nur einmal, es war, wie er sagte, der Jahrestag des Todes seiner Freundin, emotional berührt gezeigt und sein Schweigen ein wenig gebrochen. Dabei habe er sich dahingehend geäußert, dass er ein ausgezeichnetes Personengedächtnis habe und sich ihm alle Gesichter der Menschen, die am Tod seiner Anna beteiligt gewesen waren, eingebrannt hätten.
Diese Informationen wurden umgehend an Eberhard Brunner weitergegeben. Beim Studium der Verfahrensakten stieß er auf der Rückseite eines Blattes auf einen interessanten handschriftlichen Vermerk, den er fast übersehen hätte. Danach hatte man die damalige Anordnung der Ordnungsbehörde, die eine Tötung des als höchst gefährlich eingestuften Wolfshunds Hasenstamms bestimmt hatte, nicht vollzogen. Wenige Monate nach der Verurteilung Hasenstamms stellte ein Wissenschaftler, der im Spessart zu Studienzwecken ein Versuchsgehege mit einem kleinen Wolfsrudel unterhielt, den Antrag, ihm einen ihm zugelaufenen Wolfsrüden zu überlassen. Er benötige Ersatz für einen eingegangenen Leitrüden und garantiere, dass von dem Tier keine Gefahr mehr ausgehen würde. Daraufhin wurde das „Todesurteil“ aufgehoben. Zweck der Studie war es, die Rudelstrukturen einer Wolfsfamilie zu studieren, um daraus Erkenntnisse für das Wolfmanagement in Bayern zu gewinnen. Die Spezies Wolf, die sich in den letzten Jahren als Einwanderer aus dem Osten viele ihrer alten Jagdgründe in Teilen Deutschlands zurückerobert hatte, stand nach Expertenmeinung auch kurz vor der Einwanderung in den Spessart.
Brunner ging in Gedanken eine Liste der Personen durch, die mit dem damaligen Unfalltod von Hasenstamms Freundin in Verbindung gebracht werden konnten. Für ihn gab es keinen Zweifel, Simon Kerner und er standen an oberster Stelle. Hasenstamm hatte im Prozess ja deutlich vor Augen geführt bekommen, wer den Schießbefehl zu verantworten hatte. Besonderes Kopfzerbrechen bereitete dem Leiter der Mordkommission die Tatsache, dass sich Hasenstamm bei der Flucht in den Besitz einer Schusswaffe gebracht hatte. Die ganze Art und Weise, wie er sich befreit hatte, ließ keinen Zweifel daran, wie skrupellos der Mann war. Eberhard Brunner war sich absolut sicher, dass Hasenstamm rücksichtslos von ihr Gebrauch machen würde.
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Hasenstamm brachte die Strecke vom Friedhof bis zum Waldrand mit größtmöglichem Tempo hinter sich. Dort brach er mit Gewalt durch den Randbewuchs des Hochwaldes. Dass er sich dabei an Brombeersträuchern zahlreiche Kratzer und Risswunden zufügte und auch sein Anzug Risse erhielt, nahm er kaum zur Kenntnis. Ihm war klar, dass der Alarmanruf des handlungsfähig gebliebenen Vollzugsbeamten bei den Verantwortlichen zu einer hektischen Betriebsamkeit führen würde. Viele Hunde sind des Hasen Tod, sagte man. Hasenstamm beabsichtigte diese Volksweisheit zu widerlegen. In der nächsten Stunde musste er so viel Distanz wie möglich zwischen sich und seine Verfolger bringen und dann erst einmal untertauchen, bis sich der erste Aktionismus des Polizeiapparats etwas gelegt hatte. Schon nach kurzer Zeit waren seine billigen schwarzen Straßenschuhe verdreckt und vom feuchten Erdreich durchweicht. Er musste sich so schnell wie möglich andere Kleidung und Schuhe besorgen. Hasenstamm lauschte kurz. In weiter Ferne waren die Sirenen von Einsatzfahrzeugen zu hören. Sie waren schnell, das musste er zugeben. Entschlossen rückte er die Pistole hinter dem Gürtel zurecht, dann marschierte er eilig weiter. Er war sich sicher, bald würden die ersten Hubschrauber über dem Gebiet kreisen.
Hasenstamm hatte den Vorteil, dass er genau wusste, wo er sich befand. Die Wälder um Wiesmühl kannte er seit seiner Jugend wie seine Hosentasche. In der nächsten Senke stieß er auf einen schmalen Waldbach, der, wie er wusste, sich eine ganze Strecke durch das Tal zog und am Ende in den künstlichen Teich einer Karpfenzuchtanlage mündete. Dank der Regenfälle der vergangenen Tage führte der Bach ausreichend Wasser. Ohne zu zögern, stieg er mit seinen Schuhen hinein und folgte dem Gewässer. Mit diesem Trick hatte er sich schon einmal vierbeinige Verfolger vom Hals gehalten. Er achtete sorgsam darauf, dass er mit seinen Hosenbeinen nicht am Uferbewuchs anstreifte. Hasenstamm war sicher, dass die Hundeführer, sobald die Hunde seine Spur verloren, ein ganzes Stück am Ufer weiterlaufen würden, um die Stelle zu finden, wo er den Bach wieder verlassen hatte. Eine Dreiviertelstunde später sprang er an einer bestimmten Stelle mit einem langen Satz aus dem Wasser heraus. Hier erstreckte sich beiderseits des Fließgewässers felsiger Grund, auf dem seine Witterung nicht lange halten würde. Hasenstamm setzte sich ein ganzes Stück entfernt auf einen umgestürzten Baumstamm. Er zog seine Schuhe aus und ließ das Wasser herauslaufen. Anschließend wrang er seine Socken aus und zog sie sich wieder an. Weit konnte er mit dem durchweichten Schuhwerk nicht mehr laufen, sonst würde er Blasen bekommen. Es war außerdem dringend notwendig, sich neue, zweckmäßigere Kleidung zu besorgen. Er wusste, wo er Ersatz bekommen konnte. Nach seiner Kenntnis befand sich etwa einen Kilometer von seinem jetzigen Standort entfernt eine Waldarbeiterhütte. Sie diente den Holzhauern vor allen Dingen im Winter als Unterstand, in dem man sich aufwärmen und seine Mahlzeiten einnehmen konnte. Jetzt, im Sommer, wurde die Hütte wahrscheinlich gar nicht benutzt. Vor seiner Verhaftung hatte sich Hasenstamm mit seinem Vater öfter einmal in diese oder ähnliche Behausungen zurückgezogen, wenn sie auf Wilderertour waren. Schwitzend zog er sich das Anzugjackett aus und öffnete die Knöpfe seines Hemdes bis zum Gürtel. Dichte СКАЧАТЬ