Название: Toter Dekan - guter Dekan
Автор: Georg Langenhorst
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783429062842
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„Da bist du ja endlich!“, begrüßte Beate Kellert ihren Mann. Sie saß auf dem Sofa im Wohnzimmer ihrer geräumigen Etagenwohnung, hatte ihre Hausschuhe abgestreift und die Füße auf das gläserne Tischchen gelegt. Unter dem Tisch lag eine gelbweiße Katze zusammengerollt auf dem Teppich. Auf den Hereintretenden reagierte das Tier nur mit einem leisen, schnurrenden Schnarchlaut. Anders die Hausherrin: Mit der Fernbedienung schaltete sie den Ton des vor ihr stehenden Fernsehers auf stumm, ließ das Bild aber weiterlaufen, drehte den Kopf auch kaum zur Seite und fragte eher aus Gewohnheit denn aus Neugier: „Wo warst du denn nur so lange?“
Bernd Kellert, mit seinen vierundvierzig Jahren bereits seit mehr als einem Jahrzehnt Kriminalhauptkommissar von Friedensberg, ging wortlos durch das Wohnzimmer zur sich direkt anschließenden offenen Küche, öffnete den Kühlschrank, nahm sich eine dort bereitliegende Flasche Bier, hebelte mit einem Feuerzeug in geübtem Griff den Kronkorken ab, kehrte zurück und ließ sich kraftlos auf den Sessel rechts neben dem Sofa niederfallen.
Friedensberg war seine Stadt. Hier war er geboren, hier hatte er Beate kennengelernt, die als Kind mit ihrer Familie hierhergezogen war. Abgesehen von der Ausbildungszeit in Nürnberg hatte er nie für länger in irgendeiner anderen Stadt gelebt. Das wollte er auch gar nicht. Friedensberg und Bernd Kellert – das passte!
„Mach mal aus!“, sagte er nun, trank einen langen Schluck und setzte die Flasche dann halbleer auf dem Glastischchen ab. Es gab ein kratzendes Geräusch. „Mensch, pass doch auf! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du einen Untersetzer nehmen sollst! Das ist Glas, kapierst du!“, fuhr ihn seine Frau an. Der Kater erwachte aus dem Schlaf, reckte seine krallenbesetzten Vorderpfoten, stand auf und machte einen Buckel.
Bernd Kellert war nicht nach Streit zumute, er holte sich einen bastgeflochtenen Untersetzer aus der mittleren Schublade des Wohnzimmerschranks. „Für dich auch?“, fragte er und blinzelte über seine Schulter zurück zu seiner Frau. „Danke, hab schon“, meinte diese und wies auf ein gut gefülltes Glas Rotwein in ihrer linken Hand. Während er den Untersetzer unter sein Glas schob, schaltete seine Frau tatsächlich den Fernseher mit der Fernbedienung aus. „Na komm schon, erzähl!“, forderte sie ihn auf. An seinem ganzen Verhalten hatte sie gemerkt, dass heute tatsächlich etwas Besonderes passiert sein musste.
„Du glaubst nicht, wo ich heute war“, begann er, trank noch einen Schluck und machte eine effektheischende Erzählpause. „Nun sag schon!“, drängte ihn seine Frau. „In der Uni“, gab er zurück, „aber wo da? Na? – In der Katholisch Theologischen Fakultät! Bei den Pfaffen!“ „Warte mal, ist das nicht in der Guardini-Allee?“, fragte seine Frau zurück. „Ja, genau da, dieser alte Bau mit dem schönen lauschigen Innenhof. Na, du weißt schon, ein paar Häuser weiter ist doch ‚Da Luigi‘.“
Beate Kellert war das edle italienische Restaurant wohlbekannt. Ab und zu gingen sie dort mit Freunden essen, das letzte Mal lag aber schon fast ein halbes Jahr zurück. Das Gebäude der Theologischen Fakultät, von außen ein strenger dreistöckiger Vierungsbau, der im Kern auf ein Jesuiteninternat aus dem 17. Jahrhundert zurückging, kannte sie ebenfalls, hatte ihm aber nie besondere Beachtung geschenkt. Warum auch? Aber was hatte Bernd Kellert ausgerechnet dort zu suchen? Kaum ein Gebäude, das weniger zu ihrem Ehemann, dem drahtigen, durchtrainierten, ein Meter zweiundachtzig großen Kommissar passen würde!
„Und, was hast du da gemacht?“, wollte sie wissen, nun wirklich neugierig geworden, während sie den Kater streichelte, der sich wieder zu ihren Füßen niedergelassen hatte und zufrieden schnurrte. „Da gab es einen Toten. Irgendjemand hat den Dekan, also den Chef da, umgebracht. Drei Schüsse, jeder für sich tödlich!“ Beate Kellert wirkte ratlos: „Wer macht denn so was? Wer bringt denn einen Professor um?“
„Der war nicht nur Professor, sondern auch Priester. Hatte auch noch als Toter diesen Kragen um den Hals. Noch als Leiche was Besonderes! Und wer den umgebracht hat, das möchte ich auch gern wissen. Nee, falsch, das muss ich sogar wissen. Ich habe den Fall übertragen bekommen. Aber“, er trank die Flasche leer, stand auf und ging zum Kühlschrank, um sich Nachschub zu besorgen, „das ist nicht so leicht. Wir haben erst mal keine Spur. Da gehen so viele Leute ein und aus. Das kann jeder gewesen sein.“
„Ist denn etwas gestohlen worden?“, wollte Beate Kellert wissen. „Nicht, soweit wir das bis jetzt feststellen konnten“, gab ihr Mann zurück und trat sanft nach dem Kater, der mit seinen Zehen spielen wollte. „Hau ab, du Vieh“, sagte er halb im Ernst, denn eigentlich mochte er keine Katzen. Aber wie so oft hatte seine Familie ihn bei der Anschaffung überstimmt.Ihre Tochter Jenny wollte halt als Zehnjährige unbedingt eine Katze. Um ihr den damaligen Schulwechsel zu erleichtern, hatte er zähneknirschend zugestimmt.
Inzwischen hatte sich Bernd Kellert an den Mitbewohner ganz gut gewöhnt. „Vieh“, nannte er den großen Kater meistens, aber natürlich hatte er auch einen richtigen Namen: ‚Barry‘. ‚Typisch‘, dachte er oft, ‚da schafft man sich so ein Vieh für die Kinder an und dann gehen sie. Was bleibt, ist das Vieh!‘
Für solche Gedanken war jetzt aber kein Platz. Kellert erzählte weiter: „In dem Büro, wo man ihn erschossen hat, war alles aufgeräumt. Geld oder Wertsachen gibt es dort sowieso nicht. Und auch die Computer waren alle noch an ihrem Platz. Aber wir überprüfen das noch. Die haben da eine ziemlich fitte Sekretärin, die kennt sich wohl am besten aus. Die hat ihn auch gefunden, steht aber noch unter Schock. Aus der war heute kaum etwas herauszubekommen.“
„Rrrunnter!“, brüllte er den Kater an, der auf die Sofalehne gesprungen und gerade dabei war, seine Krallen in den Stoffüberzug zu schlagen. Bernd Kellert nahm einen Teil des auf dem Tisch liegenden Friedensberger Anzeigers, rollte ihn zusammen und schlug nach dem Tier. „Runter!“
„Hey, lass Barry in Ruhe“, fuhr ihn seine Frau an, während das Tier langsam auf den Boden sprang, davor aber wie absichtlich noch einen kleinen Faden aus dem Bezug gerissen hatte. „Na, das kann ja eine nette Woche werden“, meinte Beate Kellert mit süßsäuerlichem Unterton. „Aber das bin ich ja gewohnt. Komm, ich massiere dir ein bisschen den Nacken, hm?“
Sie wusste, dass ihr Mann dabei am besten entspannen konnte. „Und, wie war dein Tag?“, fragte er, nachdem er Barry auf den Balkon gelassen hatte, von wo aus er die ganzeNachbarschaft unsicher machen konnte. Der Kater lebte mehr draußen als drinnen. Frech, klug und stark, wie er war, kontrollierte er das Tierleben der ganzen Nachbarschaft. Bernd Kellert setzte sich zu seiner Frau auf das Sofa, und beide wussten, dass er eine Antwort auf seine Frage gar nicht hören und sie auch gar keine geben wollte.
Dienstag, 11. Mai, vormittags
Ein Mord, viele Fragen
„Liebe Kolleginnen und Kollegen!“ Prodekan Hermann-Josef Kösters versuchte sich Gehör zu verschaffen. Nur langsam starb das aufgeregte Gemurmel und Getuschel um ihn herum ab. Mehr als fünfzehn Personen hatten sich im Beratungszimmer der Fakultät eingefunden. Unter den zumeist gestrengen Blicken der Porträts von ungezählten Dekanen der Fakultät, gemalt oder fotografiert jeweils zur Beendigung ihrer Amtszeit, hatten sie sich an die zu einem Rechteck zusammengestellten Tische gezwängt, verwickelt in hektische Gespräche.
Alle waren der Einladung zur außerplanmäßigen Sitzung gefolgt, die ihnen per Mail oder Anruf zugegangen war. Neben Kösters waren die verbliebenen zehn amtierenden Professoren erschienen, außerdem die Religionspädagogin Klara Mechtersheim als einzige Frau im Professorium, ferner drei Damen und zwei Herren aus dem Mittelbau, daneben – ungewohnt blass und mit noch immer verweinten Augen – Dekanatssekretärin Silvia Hoberg und, zur allgemeinen Überraschung, die Studentin Verena Obmöller.
„Nun kommen Sie doch bitte zur Ruhe!“, ermahnte Kösters die Anwesenden. „Bitte sehr: Kolleginnen und Kollegen!“ Er СКАЧАТЬ