Praxis des Evangeliums. Partituren des Glaubens. Hans-Joachim Höhn
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Название: Praxis des Evangeliums. Partituren des Glaubens

Автор: Hans-Joachim Höhn

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783429062224

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СКАЧАТЬ von der er sich Stehvermögen, Halt angesichts des Haltlosen und Beständigkeit im Unbeständigen erhofft, auch tatsächlich von ihm erreicht werden kann – erst recht, wenn damit jene Wirklichkeit gemeint ist, für die in religiöser Sprache das Wort „Gott“ steht: Auf welche Weise ist es möglich, eine Beziehung zu dieser Wirklichkeit aufzubauen, auf die man sich unbedingt verlassen kann? Welche Richtung soll man einschlagen, wenn man sich dieser Wirklichkeit nähern will?

      Häufig antreffbar und auch in existenziellen Angelegenheiten offenkundig gut erprobt sind Arrangements, die auf einer vertikalen Achse Verbindliches und Beliebiges, Vordringliches und Vernachlässigbares sortieren. Hier werden von unten nach oben aufsteigend Rang und Namen aufgelistet, Kompetenzen verteilt, Macht und Ansehen zugesprochen. „Oben“ ist, was Anspruch auf Anerkennung erheben darf. „Unten“ ist das Vernachlässigbare und Bedeutungslose. Auf den ersten Blick scheint ein solches Vorgehen anthropologisch berechtigt und theologisch aussichtsreich zu sein. Schließlich gilt der Mensch als das „Wesen der Transzendenz“ bzw. als resonanzfähig für eine „transzendente Wirklichkeit“12 und dass sich die Wirklichkeit des Göttlichen auf einem Aufstiegsweg finden lässt, spiegelt sich als Grundüberzeugung in vielen religiösen Zeugnissen nicht nur der monotheistischen Religionen.13

      1. Religiöse Vertikalorientierungen:

      Nach Höherem streben – Gott finden?

      Gibt man etwas auf die Selbstdeutungen des Menschen, so sieht er sich auf einem Aufstiegsweg – und als Emporkömmling. „Griechischer Etymologie zufolge ist der Mensch der Aufrechte. Sein Name anthropos stammt vom Verb anatrepein: etwas in die Höhe bringen, emporheben“14, etwas aus der Waagrechten in die Senkrechte versetzen. Das Selbstverständnis des Menschen scheint sich ebenfalls an der Vertikalachse auszurichten: Menschen sind Aufsteiger – Wesen, die hoch hinauswollen und obenauf sein wollen. Erst wenn sie eine Höchst- oder Bestform erreichen, sind sie zufrieden. Um nach oben zu kommen, muss man sich auf die Hinterbeine stellen. Erst wer auf eigenen Füßen steht, hat sich selbständig gemacht (und ist ein Autostatiker). Um diese Stellung zu behalten, muss man sich behaupten. Dazu muss man den eigenen Kopf durchsetzen. Der Kopf ist jene Region, die den Menschen im Ganzen repräsentiert. Worauf es ankommt, muss man daher im Kopf haben. Von hier aus gewinnt man Übersicht und Eigenstand. Darum ergeht der kategorische Imperativ „Kopf hoch!“. Wer ihn hängen lässt, setzt aufs Spiel, worin die Griechen die Besonderheit des Menschen sehen: die Autokephalie (Selbstbehauptung). Und der aufrechte Gang, der für den Menschen nicht nur ein anatomisches Faktum, sondern ein Zeichen seiner privilegierten Stellung im Kosmos ist, verlangt ebenfalls, dass er erhobenen Hauptes auftritt.15

      Der Mensch muss die Vertikalbewegung seiner Existenz nicht bei sich enden lassen. Menschen können den Kopf in den Nacken werfen und den Blick zu dem weitergehen lassen, was sich über sie erhebt. Was oben ist, muss aber noch nicht das Höchste sein. Das Endziel einer Aufwärtsbewegung ist erst erreicht, wenn man ankommt beim höchsten Gut, über das hinaus Höheres nicht gedacht werden kann, d. h. beim schlechthin Erhabenen, beim Allerhöchsten, beim Göttlichen. Das Projekt der Religion besteht somit darin, die Welt als das zu Transzendierende und den Menschen als Transzendierenden zu verstehen. Die religiöse Semantik und Logik folgt dann ebenfalls der Struktur der Vertikalen: Man muss sich nach dem Höchsten ausstrecken, aber wird es nicht in Griff kriegen, wenn man nicht von ihm ergriffen wird. Wenn es etwas Höchstes gibt, kann es nicht in dem gefunden werden, was mit uns ist oder unter uns ergreifbar und begreifbar ist. All dies bleibt überbietbar. Das unüberbietbar Höchste muss über allem sein. Als Unbedingtes muß es jenseits des Bedingten gesucht werden. Wenn es einen Gott gibt, kann er nur jenseits des Endlichen gefunden werden. Der religiöse Lebensweg muss sich daher als Überstieg des Endlichen und Bedingten und als Aufstieg zum Unendlichen und Unbedingten realisieren.

      Für diesen Auf- oder Überstieg stehen in modernen Gesellschaften unterschiedliche Routen zur Verfügung. Aber es ist keineswegs ausgemacht, dass alle auf denselben Gipfel führen. Moderne Gesellschaften sind davon geprägt, dass es in ihnen Religion nur noch im Plural gibt. Vielleicht bilden sie gemeinsam ein Gebirge. Aber nicht jeder Gipfel bietet den gleichen Ausblick. Dies gilt auch für das religiöse Grundwort, das sich eigentlich gegen eine Vervielfältigung wehrt: Gott. Seit geraumer Zeit werden in religionssoziologischen Erhebungen zur Gottesfrage höchst unterschiedliche Füllungen dieses Begriffs erhoben.16 Konsens scheint allenfalls darüber zu bestehen, dass damit eine vom Menschen unverfügbare und unüberbietbare Wirklichkeit benannt werden soll, die ihn unbedingt angeht und der gegenüber der Mensch sich nichts auszubedingen vermag. Dabei gilt etwa als „Gott / göttlich“ ein ewig gültiges Gesetz (nach Art des Karma oder Yin / Yang), nach dem sich alles kosmische Geschehen richtet und dem gegenüber der Mensch auch nur ein „Fall“ ist, in dem eine Verfügung oder Regel dieses Gesetzes zur Anwendung kommt. „Gott / göttlich“ ist für andere Menschen eine (Ur)Energie (nach Art des Chi), die alles durchströmt und für die man sich öffnen kann, wenn man alle inneren Blockaden löst. Bisweilen wird die Bezeichnung „Gott / göttlich“ auch an die Natur, an die Evolution oder an die Selbstorganisationsdynamik des Kosmos als das unüberbietbar Größte und alles Bestimmende vergeben.

      Sämtliche Beziehungen des Menschen zu diesen Größen sind durch Asymmetrien gekennzeichnet. Die Momente der Unbedingtheit und Unüberbietbarkeit kommen jeweils nur dem Gegenüber des Menschen zu – nicht dem Menschen selbst und auch nicht seiner Beziehung zu diesem Gegenüber. Wenn nun der Vollzug des Glaubens das Aus-sein auf eine Wirklichkeit ist, die dem Menschen einen existenziell verlässlichen Halt gibt, um es mit dem Leben und dem Sterben aufnehmen zu können, kommt er dann bei den genannten Größen ans Ziel? Entdeckt der Mensch hier wirklich eine Beziehung, die es ihm ermöglicht, zu sich selbst stehen und anderen beistehen zu können? Oder wird ihm hierbei das Wissen um seine Hinfälligkeit und Minderwertigkeit nur noch einmal gespiegelt oder verdoppelt?

      Die skizzierten Spielarten menschlichen Gegenüberseins zu einer absoluten Wirklichkeit (qua numinosem Gesetz, kosmischer Energie oder „natura semper maior“) relativieren das Dasein des Menschen bzw. machen ihm und seinem Dasein erneut seine bleibende Relativität bewusst. Alle Erfahrungen, die man im Gegenübersein zu diesen unbedingten und unüberbietbaren Größen macht, sind stets auch Erfahrungen der bleibenden eigenen Vergänglichkeit, Geringfügigkeit und Unterlegenheit. Gegenüber einer höheren Macht kann dem Menschen letztlich nur seine eigene Ohnmacht oder Machtlosigkeit aufgehen. Gegenüber der Natur ist er bestenfalls Teil eines größeren Ganzen; gegenüber einem höchsten Wert kann ihm nur seine eigene Minderwertigkeit bewusst werden.

      Anders verhielte es sich, wenn der Mensch von sich aus bereits in der Sphäre der Unbedingtheit existieren würde – und wenn ihm diese Sphäre im Bedingten erschlossen werden könnte. Dabei müsste dem Menschen aufgehen, dass es eine unbedingte und unüberbietbare Wirklichkeit gibt, als deren Gegenüber er sich selbst unbedingt bejahen, frei selbst bestimmen und unverzweckt wertschätzen kann. Damit dies denkbar und erfahrbar sein kann, müsste auch für die Beziehung zu diesem Gegenüber gelten, dass sie die Merkmale der Freiheit und Unbedingtheit, der Wertschätzung und Unverzweckbarkeit aufweist.

      Wenn dieser Gedanke sich nicht im Wunschdenken erschöpfen soll, müsste es Unbedingtheitserfahrungen geben, die dem Menschen eine Beziehung (zu Gott) offenbaren, die ihn in seiner Freiheit und Würde unbedingt anerkennt. Nur diese Beziehung wäre ihrerseits unüberbietbar. Und nur in ihr könnte sich der Mensch unbedingt geborgen wissen. Aber wie kann man sich auf einen Weg machen, der solche Erfahrungen ermöglicht? Wie muss ein Mensch vorgehen, damit ihm eine solche Gewissheit aufgeht?

      Von den zahlreichen Beschreibungen eines solchen religiösen Erkenntnisweges erzielt seit etlichen Jahren die „via mystica“ besondere Aufmerksamkeit.17 Dieser Weg kann in zwei Richtungen beschritten werden und entweder in die „Mystik der Versenkung“ oder in die „Mystik des Überstiegs“ führen.18 Gemeinsam ist ihnen die Überzeugung, dass nur die Abwendung von allem Endlichen, Bedingten СКАЧАТЬ