Название: Praxis des Evangeliums. Partituren des Glaubens
Автор: Hans-Joachim Höhn
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783429062224
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§ 11 Vom cultural turn zum sensual turn: Wendepunkte der Theologie
1. Vom Sagen zum Zeigen: Kultur verstehen
2. Vom Hören und Sehen: Theologische Entdeckungen
§ 12 Die Sinne und der Sinn: Theologische Spurenlese
1. Sinnübertragung: Hermeneutik und Metaphorik der Sinne
2. Resonanzen: Einstellung – Stimmung – Atmosphäre
3. Inszenierungen: Sinnenhafter Sinn – sinnlicher Glaube?
§ 13 Zeichen setzen – Zeichen lesen: Existentiale Semiotik des Glaubens
1. Lebenszeichen – Glaubenszeichen: Theologie im semiotic turn
1.1. Entsprechungen: Sein – Sinn – Sprache
1.2. Beziehungen: Existenz – Symbol – Glaube
2. Zeichen, die zu denken geben: Theologisch-semiotische Diskurse
2.1. Reflexionsbedarf: Geltungsansprüche ansprechen!
2.2. Theoriekritik: Problemerzeugende Problemlösungen?
Epilog: Gute Theologie – eine Stilfrage?
I.
Einstieg: Die Intelligenz des Glaubens
Die Fundamentaltheologie interessiert sich um der Sache des Glaubens willen für die Sache der Vernunft. Darum ist sie der Ort einer doppelten Interessenvertretung – der Interessen der Vernunft und des Glaubens. Als Interessenvertretung der Vernunft versteht sich jedoch auch die Religionskritik. Sie konfrontiert und provoziert Theologie und Glaube mit dem Vorwurf, Defizitgestalten einer vernunftgemäßen Einstellung zur Wirklichkeit zu sein. Religiösen Menschen wird attestiert, dass sie an einer Unterfunktion ihres Vernunftvermögens leiden und dass sie darum außer Stande sind, ihr Leben im Zeichen von Aufklärung und Mündigkeit zu führen. Wo Religionskritiker nicht den erwünschten Erfolg haben, halten sie für ihren Misserfolg eine wiederum religionskritische Antwort parat: Die Aufklärung über Religionsdefizite bleibt erfolglos, weil religiöse Menschen an ihrem Glauben umso bornierter und fanatischer festhalten, je größer ihre Vernunftdefizite sind. Sie bemerken diesen Mangel noch nicht einmal.
Weniger rigoros und unversöhnlich ist die Haltung, die Vertreter einer kritischen Religionsphilosophie einnehmen, wenn sie ebenso aufgeschlossen wie skeptisch religiöse Daseinsdeutungen auf ihre Modernitätskompatibilität befragen. Aber auch ihr Urteil fällt letztlich negativ aus, wenn es darum geht, dem Glauben eine eigene Intelligibilität zuzuerkennen. So vermag für J. Habermas die Vernunft sich nur unvollständig des Glaubens anzunehmen, weil er wegen seines „opaken“ Charakters seinerseits nur unvollständig Vernunft anzunehmen vermag. „Das nachmetaphysische Denken verhält sich zur Religion lernbereit und agnostisch zugleich. … Aber eine Apologie des Glaubens mit philosophischen Mitteln ist nicht Sache der agnostisch bleibenden Philosophie. Bestenfalls umkreist sie den opaken Kern der religiösen Erfahrung, wenn sie auf die Eigenart der religiösen Rede und den Eigensinn des Glaubens reflektiert. Dieser Kern bleibt dem diskursiven Denken so abgründig fremd wie der von der philosophischen Reflexion auch nur eingekreiste, aber undurchdringliche Kern der ästhetischen Anschauung.“1
Sehen sich religiöse Menschen von den Wortführern einer aggressiven Religionskritik2 auf groteske Weise verunglimpft, kontern sie den Vorwurf der Vernunftpathologie meist mit der Diagnose, dass die Religionskritik selbst pathologische Züge trage.3 Damit ist vorerst ein Patt hergestellt, das zwar keinen Gleichstand in der Sache bedeutet, aber immerhin deutlich macht, dass ein solcher Stil kaum sachdienlich ist. Gegen weniger verächtliche Kritiker des Glaubens bringt jedoch nicht die Schärfe der Sprache, sondern nur eine geschärfte Argumentation etwas ein. So ist etwa gegen Hinweise auf die Opazität des Glaubens deutlich zu machen, dass sie sowohl dem Glauben als auch der Vernunft zu wenig zutrauen: Wo die Wissenschaft auf Opakes trifft, sind höchst unterschiedliche Stufen des Durchdringens möglich. Die Kategorie der Opazität steht in der Physik für eine graduelle optische Transparenz bzw. bezeichnet den Grad der Lichtabsorption. Opak sind in diesem Sinne auch Gegenstände und Medien, die zwar nicht durchsichtig, aber doch lichtdurchlässig sind. Wenn die Philosophie auf solche Phänomene stößt, muss sie damit rechnen, dass diese das Licht der Vernunft nicht abblocken, sondern es durch sich hindurchgehen (und auf anderes fallen) lassen. Das gilt auch für die Religion. Wenn sie der Aufklärung auf dem ersten Blick im Wege steht, so kann diese ihren eigenen Weg gleichwohl durch sie nehmen.
Um die Besonderheit des Verhältnisses von Philosophie und Religion, Theologie und Glaube genauer zu erfassen, ist die Lichtmetaphorik vor allem dann hilfreich, wenn man sie anhand eines Beispiels aus der Ästhetik variiert: In der Theologie wird der Glaube so betrachtet, als wäre er ein Fenster, das aus vielen bunten Scheiben zusammengesetzt ist, die ein Bildmotiv erkennen lassen. Der Zweck eines solchen Fensters besteht nicht darin, einen Blick von innen nach außen gehen zu lassen, um etwas zu erkennen, das sich außerhalb des Raumes befindet – oder umgekehrt nach Art eines Schaufensters den Blick von außen auf Objekte innerhalb eines Raumes zu ermöglichen. Ein Buntglasfenster hat zwar auch die Funktion, Licht in einen Raum zu lassen. Aber es will diesen Raum nicht primär hell und licht machen. Und es ist auch nicht dazu da, dass man durch es ins Freie sehen kann. Vielmehr will es durch den Lichteinfall sichtbar machen, was es selbst zeigen kann bzw. was „in ihm steckt“.4 Das einfallende Licht soll gebrochen werden, damit betrachtet werden kann, was es in und mit dem Fenster zu sehen gibt.
Würden Philosophie und Religionskritik ihr Interesse an Aufklärung so verstehen, dass sie nur Fenster akzeptieren, die einen klaren Durchblick ermöglichen und ungetrübt den Blick freigeben auf Dinge, die sich dahinter befinden, müssten sie ein Buntglasfenster so bearbeiten, dass sie alles an ihm tilgen, was den klaren Blick mindert oder verhindert. Alles Farbige an ihm müsste entfernt werden. Jede farbige Scheibe müsste ersetzt werden durch Klarglas. Nur so kann gesichert werden, dass das Fenster seine vermeintlich eigentliche Funktion optimal erfüllt: wahrnehmbar zu machen, was jenseits des Fensters СКАЧАТЬ