Der spirituelle Weg. Bertram Dickerhof
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Название: Der spirituelle Weg

Автор: Bertram Dickerhof

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783429062682

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СКАЧАТЬ Wenn alles von Gott erfüllt, alles mit Ihm verbunden ist, ganz gleich, worauf die Aufmerksamkeit trifft, ist dann nicht vielmehr Offenheit des Empfangens angebracht? Nehmen und Verweilen bei dem, was die eigene Aufmerksamkeit auf sich zieht? Es gibt nichts als Gott und seine Sphäre, in der auch der Mensch lebt, „denn in allem ist dein [Gottes] unvergänglicher Geist“ (Weish 12,1). Für das Gebet bedeutet dies, dass das Empfangen an erster Stelle zu stehen hat – und alles weitere Gott überlassen wird:

      – Wenn ich bete und ich bin müde, gelangweilt, unruhig, unlustig, unandächtig, so gestatte ich mir, so da zu sein. Wenn Er es anders haben will, dann möge Er mein Gebet verändern.

      – Wenn ich da bin im Gebet in Wut, Schuld, Scham, verlassen, ungeduldig, voller Empörung, voller Abwehr, dann bin ich da in Wut, Schuld, Scham, verlassen und ungeduldig, voller Empörung, voller Abwehr. Das ist der Mensch, den Er gerade im Dasein hält voll Liebe – wieso sollte ich diesen Menschen zurückweisen?

      – Wenn ich im Gebet Angst oder Schmerzen habe, dann empfange ich mich in meiner Angst und meinen Schmerzen; beides gehört zum Leben, ist, zumindest jetzt und hier, Teil meiner Wirklichkeit.

      Ich muss nichts verbessern, Unangenehmes nicht abkürzen oder wegschaffen. In der Zeit, in der ich bete, nehme ich mich so, wie Gott mich mir jetzt und hier gibt. „Ich nehme mich so“ – d. h. so, wie ich mich nehmen kann. Ich muss mir zubilligen, manches nicht nehmen zu können oder zu wollen; dann ist es das Abweisenmüssen oder -wollen, das ich da sein zu lassen habe: jeweils dasjenige, was bei mir jetzt und hier der Fall ist, was meine Wirklichkeit ist – soweit sie sich mir eben offenbart. Wenn Gott mein Herz zu sich erheben will, so soll er das tun ; geschieht es nicht, so ist das jetzt wohl nicht nötig oder nicht dran. Erzwingen brauche ich es nicht. Denn ich kann nicht kontrollieren, den zu finden, „den meine Seele liebt“ (Hld 3,1). Es geht nur darum, zu sein und sich komplett Gott zu überlassen. Ich höre auf zu beten wie gewohnt. Soll Er in mir beten! Ich muss gar nicht wissen, wie ich richtig bete; soll der Geist für mich eintreten (vgl. Röm 8,26).

      Es war mir klar, dass dies mein zukünftiger Weg sein müsse. Und zugleich war mir himmelangst. Ich fühlte mich, als wenn ich nackt den Rubikon überschritten und den Boden rein diesseitiger Realität ohne Religion betreten hätte. Doch das Vaterunser machte mir Mut. Auf den ersten Blick steht der Beter als Akteur quasi in der Mitte, der von ihm angesprochene Vater ihm gegenüber. Wenn aber der Beter vom Geist des Vaterunsers durchdrungen wird, wandeln sich Schauplatz und Aufstellung: Der Beter findet sich dann am Rande eines Raums vor, der vor ihm existiert und ohne ihn fortwährt; der restlos aufgespannt und vollkommen erfüllt wird von der sich verströmenden Liebe des Vaters im Himmel. Dessen bedingungslose Hingabe an „Böse und Gute, Gerechte und Ungerechte“3 rührt so an sein Herz, dass darin ein Verlangen, eine Bitte vor allen anderen erweckt wird: nämlich dass dieser Vater als Quelle des Heils allüberall erkannt, anerkannt, ja gepriesen werde und sein Reich komme. Dann würde einem jeden zuteil, was er in seinem tiefsten Herzen zu seiner Erfüllung ersehnt. In diesem Raum darf der Beter da sein mit seiner Bedürftigkeit und seiner Sehnsucht. Er darf Empfangender eines Heils sein, das zu schaffen er gar nicht imstande wäre. Daher ist letztlich nicht des Beters Wille und Vorstellung maßgebend, sondern Gottes Wille. Im Geist des Vaterunsers ist der sich mitteilende, unbedingt liebende Gott die absolute Mitte, nichts und niemand sonst. Wie das ruinierte Land aus Ezechiels unter dem Tempel verborgener Quelle – siehe den Text zu Beginn dieses Kapitels – Gesundung, frisches Leben, Fülle erfährt, so der Mensch von Gott her, wenn er annimmt, was ihm gegeben wird. Das Gegebene ist das, was jetzt und hier da ist. Was sonst sollte es sein? Um es zu nehmen, sind eigene Erwartungen und Vorstellungen loszulassen, wenn sie dem Empfangen im Wege stehen. Aus dem Sich-zu-eigen-Machen der gegebenen Wirklichkeit erwachsen Antwort und Ver-antwortung: Einsatz für die Gerechtigkeit, so dass alle „ihr tägliches Brot“ bekommen, Vergebung, Unterlassung von Verführung. Wer im Geist des Vaterunsers lebt, verwirklicht Gotteskindschaft auf Erden.

      Als ich Indien verließ und wieder nach Hause fuhr, war ich reich beschenkt, weit über das hinaus, was ich hätte erwarten oder auch nur erahnen können. Allerdings hatte ich auch Angst: Würde ich den Schatz dieser Erfahrung bewahren können im dekadenten Westen?

      Ein Weg, den sich die Erfahrungen am Howgli bald suchten, um sich zu inkarnieren, war die Gründung des Ashram Jesu. Doch dauerte es Jahre, bis ich die Geschehnisse meines Tertiats wirklich verstehen konnte. Ich merkte es an der Unfertigkeit meiner Antworten auf die Frage von Gästen im Ashram Jesu – selbst nachdem dieser schon einige Jahre lief –, wo denn der Jesus sei, nach dem die Stätte heiße, er werde ja kaum je genannt. Ich war mir zwar gewiss, dass Jesus da war, vermochte jedoch seine Präsenz nicht so zu vermitteln, dass die von der Frage aufgebaute Spannung wirklich aufgelöst gewesen wäre. Ich war mir der Gegenwart Jesu sicher, doch die Frage war berechtigt. Langsam erschloss sich mir als eine erste Antwort, dass Jesu Gegenwart in der Weise liege, wie im Ashram gebetet werde, insofern das Gebet dort in erster Linie ein Hören ist. Ich lernte dieses Hören als Zentrum jeder Spiritualität zu sehen, die mit der Wirklichkeit, wie sie ist, zu tun haben will. Hören vollzieht sich nicht nur, solange geredet wird, sondern auch ganz wesentlich darüber hinaus! Hören ist ein Prozess aus folgenden Momenten:

      1. Ein Signal von außen, ein Ruf, eine Anrede, aber allgemeiner auch eine Situation, ein Ereignis wird nach innen genommen, an sich herangelassen. Dies ist nicht selbstverständlich. Es gibt „Rufe“, äußere Wirklichkeiten, die uns nicht erreichen oder die wir nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

      2. Die nach innen genommene Wirklichkeit löst Wirkungen aus: innere Bewegungen wie Gefühle, Gedanken, Empfindungen, Wünsche, Ängste, Bewertungen, spontane Zustimmung oder Abwehr, innere Konflikte, geistige Gegebenheiten, was auch immer. Wer eine persönliche Antwort geben will, muss in die Tiefe gehen: dieses innere Feld kennen und unterscheiden lernen – bis etwas in ihm durchbricht.

      3. In der Klarheit, die in einem solchen Durchbruch entsteht, kann die ureigene, die herangereifte und durchgebrochene Antwort gegeben und in die Wirklichkeit so eingegriffen werden, dass die innerste Mitte sich äußert, quasi Fleisch wird, sich inkarniert.

      In der Tat ist dem Gebet eine Entwicklung zum Hören eigen, wie beispielsweise auch Kierkegaards Erfahrung bezeugt:

      „Als mein Gebet immer andächtiger und immer innerlicher wurde,

      da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen.

      Zuletzt wurde ich ganz still;

      ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist,

      ich wurde ein Hörer.

      Ich meinte erst, Beten sei Reden.

      Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.

      So ist es. Beten heißt nicht, sich selbst reden hören,

      beten heißt still werden und still sein,

      und warten, bis der Betende Gott hört.“4

      Viele Menschen wissen, dass es in der Bibel ums Hören geht. Dass dies aber für die Spiritualität des alten wie des neuen Bundes fundamental ist, dessen sind sich nur wenige bewusst. Hören auf Gott, das Gehörte ernst nehmen und dementsprechend handeln – darum dreht sich die Bibel.

      In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, und in den Evangelien haben wir es mit dem Verbum „ακουειν“ zu tun, das sowohl die sinnliche Wahrnehmung (eines Geräuschs) bezeichnet als auch das Vernehmen des Inhalts als auch das Verstehen des Inhalts, wenn es sich beim Gehörten um eine Aussage, Nachricht oder СКАЧАТЬ