Organisationskultur der katholischen Kirche. Paul F. Röttig
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Organisationskultur der katholischen Kirche - Paul F. Röttig страница 6

СКАЧАТЬ Ziel und der bestmöglichen Struktur den eigentlichen Organisationsvollzug (erste Hypothese) mitgestaltet, und dem Auseinanderklaffen von organisationskulturellem Ist und Soll (zweite Hypothese) stellt sich die Frage nach Fähigkeit (Können) und Bereitschaft (Wollen), notwendige Veränderungen durchzuführen. Kann die Hypothese, dass das Zusammenspiel von Wandlungsfähigkeit und -bereitschaft auf unterschiedlichen Sendungsebenen der Kirche auch unterschiedlich zu Tage tritt, auf Grund empirischer Daten untermauert werden?

      (5) Basierend auf den langjährigen Erfahrungen in der Wirtschaft kann angenommen werden, dass Veränderungen in der Organisationskultur der Kirche noch mehr Zeit und professioneller Begleitung als säkulare Unternehmen bedürfen. Als wesentlicher Grund dafür kann die seit 2000 Jahren unveränderte, wenn auch nicht immer und überall voll artikulierte und akzeptierte pastorale „Mission“ der Kirche verstanden werden.

      Vorwort und Hinführung fokussieren auf den situativen Gegebenheiten und gesellschaftlichen Zusammenhängen, die die Frage der Unternehmenskultur in wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, sozialen und politischen Institutionen zum Thema ihres Denkens, Sprechens und Handelns machen. Die Schwerpunkte der Arbeit sind in sechs Kapitel (Kap. 2 bis 7) gefasst:

      (1) Aus der Vielfalt nicht-kirchlicher Ansätze ergibt sich die Notwendigkeit einer begrifflichen Definition und Interpretation des Begriffs „Organisationskultur“ in der und für die Kirche und in den und für die auf sie zugeordneten Institutionen.

      (2) Die mit der Wahl des neuen Bischofs von Rom am 13. März 2013 fast über Nacht einsetzende pastorale Neuakzentuierung der Kirche, die seither die Einstellung zur Kirche (von innen und von außen her), vielfach jedoch noch nicht das Verhalten der Mitglieder des Volkes Gottes verändert hat, drängt nach dem Sichtbarmachen der Zeichen der Zeit, die der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zwar stets begegnet sind, die jedoch nicht von ihr im allgemeinen Sinn des Wortes, d.h. in ihrer Katholizität im Licht des Evangeliums erforscht und gedeutet wurden (GS 4).

      (3) In der nahen Vergangenheit ist nicht zu übersehen gewesen, dass sich kritische Stimmen in der Kirche meistens mit strukturellen Fragen beschäftigt haben und noch immer beschäftigen, die organisationskulturellen Fragen, das heißt verkürzt definiert das wertgeleitete Verhalten und Handeln aller Mitglieder des Volkes Gottes hier auf Erden, jedoch oft gar nicht angesprochen haben. Strategien und Strukturen einer Organisation müssen als organisationskulturelle Interdependenzen gesehen werden, was nichts anderes bedeutet, als dass die Organisationskultur einen direkten Einfluss auf Struktur und Strategie einer Institution hat – und natürlich vice versa. Dieses Kapitel wird versuchen, diese Interdependenzen zwischen Strategie, Struktur und Kultur im kirchlichen Bereich zu definieren, ohne die Strukturdiskussion zum eigentlichen Thema der Arbeit zu machen. Allerdings kann die Konvergenz der drei Organisationselemente menschlicher Zusammenarbeit (Strategie, Struktur und Kultur) nicht außer Acht gelassen werden. Der tiefgehende Wandel der Situation, wie er in Gaudium et spes angesprochen wird (GS 5) und der unter anderem im Wandel der gesellschaftlichen Werte, der Technologie, Demographie, Wirtschaft, Politik, Gesetzgebung und vielem mehr seinen Ausdruck findet, bedingt die Notwendigkeit einer ständigen Neu-Adjustierung der komplexen Organisationssteuerung.

      (4) Die konkreten Elemente des organisationskulturellen Profils eines Unternehmens oder einer Institution – und somit auch der Kirche – sind horizontal sowie vertikal vielschichtig; in anderen Worten: Sie umfassen, wie schon oben erwähnt, die Gesamtheit der nach innen und außen hin sicht- und greifbaren, jedoch oft unreflektierten und unbewussten Denk-, Verhaltens- und Handlungsweisen aller Mitglieder der Kirche und können diese innerhalb ihrer eigenen Grenzen in extremen Divergenzen verwirklichen, was auch an Hand zweier diözesaner Organisationen empirisch aufgezeigt werden soll.

      Das Profil der Unternehmenskultur umschließt soziale Dimensionen wie Steuerung, Kommunikation, Leistungsorientierung, Vertrauen, Entwicklung und Identität der Organisation nach innen und außen hin. Als einzige dieser sechs Organisationsdimensionen seien hier beispielshaft die Extreme im Kommunikationsverhalten einer Organisation und somit auch der Kirche oder den ihr zugeordneten Institutionen erläutert:

      a. In einer eher geschlossenen Organisationskultur werden solche Persönlichkeitstypen favorisiert, die Standpunkte und Kommunikationsstile in kirchlicher Linientreue signalisieren. Die Verwaltung der Organisation erhält einen höheren Stellenwert als ihr inneres Wachstum.

      b. Andrerseits wird in Organisationen mit einem offenen Kommunikationsstil die Diversität von Mitarbeitern mit eigenen Meinungen und Überzeugungen gefördert; neue Mitarbeiter fühlen sich sehr schnell wohl, engagieren sich voll und begleiten die Organisation mit ihrer Kreativität und Innovation auf dem Weg in die Zukunft.

      (5) Mit diesem Ansatz ist beabsichtigt, die Hypothese des Auseinanderklaffens von tatsächlicher und angestrebter Organisationskultur, das heißt der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit praktisch zu untermauern.

      (6) Um der methodischen Vorgangsweise des „Vierschritts“ (Orientieren – Wahrnehmen – Bewerten – Handeln) gerecht zu werden müssen letztlich sowohl die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft als auch die praktischen Umsetzungschancen in den pastoralen und administrativen Tätigkeitsbereichen der Kirche in Form einer möglichen Roadmap der Erneuerung angezeigt werden. Nach der begrifflichen Klärung und der praktisch-empirischen Diagnose geht es zuletzt um die kritische Frage, wie die Kirche als pilgerndes Volk Gottes mit den Erkenntnissen über Anspruch und Wirklichkeit des gemeinsamen Wegs durch Raum und Zeit umgeht.

      Mit einem Resümee und einem Ausblick vor allem auf die vom derzeitigen Pontifikat initiierten Veränderungsprozesse sollen sowohl das ekklesiologische Bild der ecclesia semper reformanda als auch die pastoralen Praktiken einer ecclesia discens (einer lernenden Kirche) gefestigt werden.

      Wie das korporative Volk Gottes, das heißt die Kirche als organisatorische Einheit in ihrer ganzen Komplexität, und das kollektive Volk Gottes, das heißt die Kirche als Kollektive der einzelnen Ortskirchen und ihrer individuellen Mitglieder ineinander greifen, miteinander umgehen und für einander da sind, wird schon in ihren ersten Anfängen sichtbar. Beim Apostelkonzil von Jerusalem (zwischen 44 und 49), der Zusammenkunft der Apostel der Jerusalemer Urgemeinde mit Paulus von Tarsos und seinen Begleitern, in der es letztlich um die Identität der Kirche Christi der Heiligen und die Gemeinden im jüdischen und griechischen Umfeld ging (Apg 15,1-35), wird die Spannung zwischen dem korporativen und dem kollektiven Ganzen der Kirche ihres einen Hauptes Jesus Christus sichtbar (Kol 1,18). Diese Aktualität hat sich durch zwei Jahrtausende hindurch nicht geändert, vor allem in den regionalen Synoden und den einundzwanzig ökumenischen Konzilien der katholischen Kirche. So hat die Diskussion um die Hermeneutik des Zweiten Vatikanums14 bis in die Gegenwart herauf zwischen restaurativen und „liberaleren“ Theologen Gräben aufgerissen, die die Kirche als korporatives und als kollektives Gottesvolk spaltet. Die einen, vor allem die „Massenmedien und auch ein […] Teil […] der modernen Theologie“, verteidigen die „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches“, die anderen sprechen von einer „‚Hermeneutik der Reform‘, der Erneuerung des einen Subjekts Kirche, die der Herr uns geschenkt hat, unter Wahrung der Kontinuität“.15 Die Substanz bleibt unverändert, weil ihre Identität in ihrem Gründer wurzelt. Die Art und Weise der Erkenntnis, wie diese Substanz zu den Menschen in die konkrete Welt hineingetragen wird, ist jedoch sowohl räumlich als auch zeitlich kulturell bestimmt. Die Stärkung des kollektiven Aspekts des Volkes Gottes, vor allem durch die Betonung der Rolle des Bischofskollegiums und die Ermächtigung der „Laien“ aufgrund ihrer Taufe in der Kirchenkonstitution Lumen gentium, wird auch von der Festigung der Würde des Menschen und seiner Selbstbestätigung nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs begleitet und bedeutet einen organisationskulturellen Wandel, wie das ganze korporative Volk Gottes, durch Raum und Zeit wandernd, sein Ziel in Zukunft erreichen sollte. Allerdings erlebte diese im Frühchristentum СКАЧАТЬ