Название: Mein Lebensglück finden
Автор: Karl Frielingsdorf
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783429063320
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Grundsätzlich gibt es kulturübergreifend einen positiven und einen negativen Umgang mit den Urwünschen und der Begrenzung ihrer Erfüllbarkeit. Dies zeigt sich am Beispiel des Umgangs mit dem Urwunsch nach Macht darin, dass ein positiver Umgang mit Macht zu einem größeren Selbst- und Freiheitsbewusstsein, zu Eigenständigkeit und Anpassungsfähigkeit führt. Ein negativer Umgang mit dem Urwunsch nach Macht kann zu egoistischer Geltungs- und Herrschsucht führen, die das eigene oder fremde Leben beeinträchtigen oder gar zerstören.
Die Urwünsche sind in ihrer Tiefe auf eine Erfüllung außerhalb der Grenze von Raum und Zeit gerichtet: auf eine transzendente Erfüllung. Wer kennt nicht die Maßlosigkeit des Sehnens, wenn „Sternstunden“ (von Liebe, Macht, Beheimatung) wie Momente der Erfüllung erscheinen und im nächsten Augenblick nur mehr Erinnerung sind? So sehr in solchen Augenblicken die Urwünsche befriedigt werden, es bleibt ein schaler Geschmack des „Noch-nicht“ und des „Noch-mehr“ zurück. In einer solchen Befriedigung von Liebe, Macht und Geborgenheit, die immanent an Zeit und Raum gebunden geschieht, erfahren Menschen ein Stück gutes, ganzes Leben. Es ist aber nur ein Stück von einem sinnvollen und glücklichen Leben, das sie nicht nur teilweise, sondern ganz erleben möchten. Diese letztlich erfüllte Sehnsucht nennen wir im Glauben das „ewige Leben“, wo das Sehnen des menschlichen Herzens zur Ruhe kommt. Hier werden wir erfahren, dass Gott selbst unseren Namen ins Buch des Lebens geschrieben und damit ein Leben in Fülle für uns bereitet hat. Da der Mensch aber an Zeit und Raum gebunden ist, geraten wir immer wieder in die Spannung zwischen unseren grenzenlosen, unendlichen Wünschen nach einem glücklichen Leben und der begrenzten Befriedigung im konkreten Leben.
Diese Enttäuschung wird „leibhaftig“ in folgender Beziehungsskulptur deutlich. In dieser Übung bitte ich z.B. Ehepartner, ihre Idealvorstellung von der Beziehung zwischen Mann und Frau in einer Skulptur darzustellen, in der alle Wünsche nach Nähe, Geborgenheit, Wärme, Liebe und Sexualität erfüllt sind. Meist wird eine Gestalt gewählt, in der die beiden Partner sich umarmen. Wenn aber der Kopf des einen auf der Schulter des anderen liegt, schauen das Gesicht und insbesondere die Augen, die für eine Beziehung so wichtig sind, über die Schultern des Partners hinweg. Wohin? Häufige Antworten: in die Ferne, irgendwohin, auf einen anderen Menschen, in die Zukunft, auf Gott. Das Sehen, das Anschauen, die Kommunikation mit den Augen sind in dieser „idealen“ engen Beziehung nicht möglich, da die Augen über die Schultern des Partners hinwegsehen. Es fehlt die nötige Distanz, die von einer zu großen Nähe abgrenzt und eine Begegnung auf Augenhöhe ermöglicht. Das wird noch deutlicher, wenn einer oder beide in der Umarmung „Fortschritte“ machen und auf das eigene Lebensziel zugehen wollen. Wenn einer nach vorn geht, muss der andere Partner rückwärtsgehen. Beide behindern sich in dieser Nähe am Gehen auf ihrem je eigenen Weg. Um den eigenen Weg gehen zu können, müssen sie die einengende Nähe in der Umarmung aufgeben, die an eine „Paaridentität“ erinnert, und sich an die Seite des Partners stellen mit dem Blick auf ein gemeinsames Ziel.
Wie aber können wir mit diesem schmerzlichen Missverhältnis zwischen den unendlichen Wünschen und ihrer begrenzten Erfüllung glücklich leben? Hier scheiden sich die Geister. Die unterschiedlichen Lebensanschauungen lösen das Problem entweder immanent, d. h., sie versuchen, die Unendlichkeit und Unbegrenztheit der Urwünsche samt ihrer Erfüllung in den irdisch-menschlichen Bereich zu verlegen; oder aber sie wählen die transzendente Lösung, wie z.B. den christlichen Glauben, der die letzte Erfüllung der menschlichen Grundbedürfnisse im ewigen Leben bei Gott sieht.
Was heißt das konkret? Wenn der Mensch sich selbst zur letzten Instanz macht, verliert die Frage nach der Erfüllbarkeit der Urwünsche ihre transzendente und geheimnisvolle Dimension. Der Mensch selbst übernimmt jetzt die ganze Verantwortung für das Leben und die Erfüllung aller Lebensbedürfnisse und Urwünsche, auch der „unendlichen“, und entscheidet, was diesem Ziel dient und was nicht. Er macht sich zum „Herrn über Leben und Tod“. Zumindest setzt er sich diesem alles fordernden Anspruch aus.
Für die drei Urwünsche hat diese weltimmanente Lösung ohne Gott weit reichende Folgen. Der Mensch braucht dann auf seiner Identitätssuche jemanden, der ihm seinen Namen, sein Ansehen, seine Einzigartigkeit, seine Liebe und Zuwendung schenkt. Nehmen wir an, er braucht in seinem Minderwertigkeitsgefühl andere, die ihn bestätigen, ansehen, anerkennen, Ja zu ihm sagen, weil er sich selbst nicht traut. Dann besteht die Gefahr der Fremdbestimmung und Abhängigkeit, die ihn hindert, zu sich selbst zu kommen. Die anderen stellen die Bedingungen, unter denen sie ihn anerkennen und lieben. Ist sein Selbstvertrauen sehr groß und fühlt er sich stark genug, um aus eigener Kraft Ja zu sagen und zu entscheiden, dann besteht die Gefahr einer isolierten Unabhängigkeit. Diese ist nicht mehr offen für Veränderungen und Kritik. Sie unterdrückt andere und erzeugt Lebensängste, einmal nicht mehr stark genug zu sein. Sie scheitert letztlich an dem Widerspruch von Vertrauen und Misstrauen.
Ähnliches gilt für den Urwunsch nach Macht und nach Heimat. So können sich schwache und kraftlose Menschen die Erfüllung ihres Machtwunsches durch Abhängigkeit verschaffen, indem sie sich mit anderen Mächtigen identifizieren und unterwürfig und blind gehorchen. Oder sie machen in ihrer Herrsch- und Geltungssucht andere gefügig und bleiben jede Rechenschaft schuldig. Aus beiden Versuchen erwächst bei aller Macht eher Unfreiheit und Ohnmacht, oder es entwickelt sich Widerstand.
Beim Urwunsch nach Heimat, Besitz und Verwurzelung versuchen manche Menschen diesen Wunsch zu erfüllen, indem sie das bisher Erlangte festhalten und gleichzeitig immer „mehr“ haben wollen. Denn das, was sie gerade haben, reicht im nächsten Augenblick schon nicht mehr. Sie nehmen sich dieses „mehr“ von anderen und bereichern sich ohne Rücksicht darauf, was dies für andere bedeuten kann. In ihrer Habsucht zielen sie immer auf ein „mehr haben wollen“. Sie kommen nie zur Ruhe, weil es immer ein „noch mehr“ gibt.
Fehlt ihnen die eigene Kraft oder die Möglichkeit, den Urwunsch nach Heimat zu befriedigen, so müssen sie ihre Heimat bei anderen suchen und sich in fremdem Boden verwurzeln. Wie schwer es ist, in der Fremde eine Heimat zu finden, erleben wir zurzeit bei den Millionen Flüchtlingen in aller Welt. Auch wenn sie eine Bleibe und ein Auskommen finden sollten, so ist doch der Wunsch der meisten, wenn möglich in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren.
Die Spannung und das Missverhältnis zwischen den Wünschen und der ersehnten Erfüllung bleiben. Ohne eine transzendente Hoffnung, wie immer sie auch verstanden wird, sind die Menschen in ihren begrenzten Möglichkeiten überfordert. Sie können so letztlich nur zu einem individuellen und kollektiven Überleben, nicht aber zu einem geglückten Leben kommen.
Ganz allgemein gilt das auch für den gläubigen Menschen: Um die Spannung zwischen unendlicher Sehnsucht und endlicher Befriedigung auf Dauer „überleben“ zu können, gilt es, die Wünsche und Erwartungen zu relativieren und sie an der je eigenen Lebenswirklichkeit zu messen, damit der Schmerz und die Enttäuschung über das Unerfüllte nicht so stark werden, dass sie in Verzweiflung umschlagen. Ernesto Cardenal beschreibt diesen Durst nach Leben in einem Gedicht:>1
„Alle Menschen werden mit einem verwundeten Herzen
und einem unstillbaren Durst geboren.
Wie dürres Land lechzt meine Seele Dir entgegen.
Der Vorgang des Essens und Trinkens
wurde vom Schöpfer als materielles Symbol
dieses Hungers und Durstes nach Gott eingesetzt.
Er sucht immer neue Dinge mit immer gleicher Sucht …
Es ist wie eine Krankheit, die ihn zwingt,
immer mehr und mehr zu essen,
ohne СКАЧАТЬ