Die Angst vor dem Tod überwinden. Karim El Souessi
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Название: Die Angst vor dem Tod überwinden

Автор: Karim El Souessi

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783866164154

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СКАЧАТЬ neuen Räumen jung entgegensenden,

      des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …

      Wohlan denn, Herz, nimm’ Abschied und gesunde!64

9Im Jetzt leben, was heißt das?

      Auf einer Postkarte las ich kürzlich ein Zitat von John Lennon: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“ Das erinnerte mich an Jean-Jacques Rousseau, der einmal schrieb: „Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt, sondern derjenige, welcher sein Leben am meisten empfunden hat.“65

      Ein Bild davon, wie dieses ‚Jetzt-Leben‘ denn aussehen könnte, gibt uns der folgende Krankenbericht:

      „An der Wand über meinem Bett hängt seit gestern ein großes Blatt: ‚Wenn das der letzte Tag meines Lebens wäre, wie möchte ich ihn dann gelebt haben?’ Ich will mich in den nächsten Tagen und Wochen immer wieder dieser Frage stellen, will, dass sie mich begleitet. Mein erster Impuls am Morgen ist: ‚Ja, es ist okay, wenn der Tod am Abend kommt, weil ich am Nachmittag eine wichtige und schöne Verabredung habe. Die möchte ich gerne noch erleben.’ … Der Gedanke an den möglichen Tod wird zunächst sehr mächtig und einengend. … Aber zum Glück kann ich mich dann wieder zurückholen und denke: ‚Wenn der Tod kommen soll, wird er auch zu Hause kommen. Wenn es dir bestimmt ist zu sterben, kannst du ihn nicht durch so etwas austricksen. … Was mir angesichts des Todes bleibt, ist, jeden Moment zu bejahen, zu begrüßen, ihn so intensiv wie möglich zu erleben. Und da ist es egal, was ich mache: ob ich im Wald jogge und die Natur, meinen Atem, meine Kraft ganz intensiv aufnehme oder bei einer langen Autofahrt die Natur wahrnehme und nicht nur an das Erreichen des Zieles denke oder bei einer langweiligen Sitzung mich nicht ärgere, sondern die Menschen beobachte, sie wahrnehme, meinen Atem spüre – spüre, dass ich lebe. Immer wieder erinnere ich mich daran, dass der jetzige Moment mein letzter sein könnte. … Ich bemerke, dass ich eigentlich in jedem Moment, egal, was ich tue, etwas Kostbares entdecken kann … Der Gedanke an den jederzeit möglichen Tod hat mich also zunächst geängstigt, wollte mich einengen, aber dann konnte ich mich dem stellen, und der Moment öffnete sich für mich. … Jetzt begleitet die Frage mich immer wieder im Alltag und öffnet mich für die Einmaligkeit dieses Augenblickes. Sie ist für mich ein wichtiger Schlüssel in meinem Leben geworden.“66

       Abbildung 7: Lackschilduhr mit Sensenmann, Museum St. Märgen, Hochschwarzwald, um 1860

      Bei ganz einfachen alltäglichen Arbeiten können wir die Einmaligkeit und Kostbarkeit jedes Augenblicks auf- und entdecken, ganz egal, ob wir Wäsche waschen oder die Wohnung aufräumen, ob wir als Sterbende den Geschmack von etwas Tee im Mund erfahren oder als Begleiter helfen, eine wunde Stelle zu versorgen. Wenn wir diesem Hinspüren still und ruhig Raum geben, ihm in die entstehende Stille folgen und die Ruhe, die in jedem Augenblick sichtbar werden kann, in uns aufnehmen, kann das Gefühl entstehen, dass etwas ‚Ewiges’, nicht vom Tod Bedrohtes in jeder alltäglichen Handlung spürbar wird.

10Was ist wichtig im Leben?

      Der Tod eines nahen Angehörigen kann einen in eine Krise stürzen, gleichzeitig kann diese Krise aber auch einen Anstoß geben, sich mit der Frage nach den Wichtigkeiten im Leben auseinanderzusetzen, wie der folgende Bericht eines Mannes zeigt:

      „Mein Vater ist vor sechs Jahren sehr plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Es hat mich damals total aufgerüttelt. Mir wurde damit alles, was vorher so wichtig war, sinnlos. Ich hatte eine gute Stelle als Elektriker, hatte sogar noch den Meister gemacht, es lief eigentlich alles so, wie man es sich träumt. Ich hatte ein großes Motorrad, ging jedes Wochenende in die Disco, war beliebt unter meinen Freunden, plante, meine Freundin irgendwann zu heiraten und eine Familie zu haben. Aber das alles schien mir nach dem Tod so fragwürdig, so vom Äußeren her bestimmt. Es war das, was die Gesellschaft für einen bestimmt, so wie es alle tun. Aber stimmte das für mich?

      Mir ging es dann so schlecht, dass ich auch gar nicht mehr arbeiten konnte. Ich war in der Zeit sehr verzweifelt. Warum das alles machen, wenn es nachher sowieso aus ist? Was sollte das Leben? Die anderen konnten mit mir überhaupt nichts mehr anfangen. … Dann, nach zwei Monaten, fasste ich den Entschluss, meine sichere Stelle zu kündigen und für ein Jahr nach Griechenland zu gehen. Mit dem Entschluss, mir einen so großen Traum zu erfüllen, ging es mir gleich schon wieder besser. Das war es, was mich erfüllte. Als ich nach dem Jahr zurückkam, fand ich eine Halbtagsstelle. Ja, ich verdiene jetzt nicht mehr so viel Geld wie früher, aber ich habe jetzt viel mehr Zeit für mich selbst, für die Begegnung mit anderen Menschen und um meine Träume zu leben. So habe ich mir eine eigene kleine Werkstatt eingerichtet und tüftle da vor mich hin. In diesen Momenten geht es mir sehr gut, da bin ich ganz ich selbst, ganz zufrieden und erfüllt. Für diese Momente lohnt sich das Leben.“67

      Von der Suche nach Erfüllung und Erleuchtung getrieben, unruhig im Herzen, übte ich nach dem Tod meiner Schwester 1982 viel Zen-Meditation. Sie starb in Spanien und meine Mutter ließ die Leiche im Sarg nach Deutschland bringen. Nachdem Leute ihr erzählten, dass auch schon leere Särge aus dem Ausland geliefert worden seien, veranlasste sie, dass der Sarg ausgegraben wurde, und schickte mich zur Sargöffnung; sie selbst hatte zu große Angst davor. Nun, meine Schwester lag fast so, als ob sie erst gestern gestorben wäre, ganz entspannt darin. Anders als üblich lag sie auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht. Es war ein friedlicher Anblick, der mich nur noch mehr dazu aufrief, den Frieden im Leben zu suchen. Ich entschloss mich daher, mein ganzes Geld aus BAföG und Minijobs in die Suche nach innerem Frieden zu investieren. Sechs bis zehn Wochen im Jahr verbrachte ich in Klöstern mit Zen-Meditation in der Hoffnung, dadurch weiterzukommen. Nach dem Semester kündigte ich meine WG-Zimmer, stellte die wenigen Habseligkeiten zuhause unter und ging auf die Suche nach Erlösung. Von 1993-94 hatte ich eine Stelle als Lektor für Germanistik in Korea und verbrachte die Zeit zwischen den Unterrichtseinheiten in der Gynäkologie der Universität. Der Chefarzt, der in Frankfurt Medizin studiert hatte, wollte sein Deutsch üben. Viele Wochenenden und die Semesterferien ging ich in Zen-Klöster, immer noch auf der Suche nach Erleuchtung für meinen ruhelosen Geist. Mehrfach flog ich bei meiner Suche nach Japan. Dort brachte mich ein Esperanto-Freund einmal in ein Zen-Kloster in die Berge. Ich verbrachte dort knapp einen Monat. Die ersten drei Tage musste ich in einem von Bambusstangen umfassten Feld von etwa drei Quadratmetern essen und schlafen. Von drei Uhr morgens bis zehn Uhr abends verbrachte ich die Zeit zwischen Meditationskissen im Vorraum der Meditationshalle und in meinem Bambusviereck. Neuankömmlingen war es nicht gestattet, gemeinsam mit den Mönchen zu üben. Deren innere Unruhe sollte die Mönche nicht stören. Voller Frustration und wütend ging ich nach Ablauf der Zeit zum Abt und klagte darüber, dass ich nicht wüsste, warum ich seit Jahren in diese Übung meine ganze Freizeit steckte. Der Abt, sein Name war Ekai San, meinte nur: „Dieser Moment jetzt ist wirklich alles“, und forderte mich auf, meine Arbeit zu machen. Dieser Satz war für mich völlig unerwartet und traf mich mitten ins Herz. Ich ging weg, um die Petroleumlampen zu reinigen, denn es gab dort keinen Strom. Beim Reinigen erlebte ich erstmals in meinem Leben, dass nicht ich, sondern das ‚Eine Ganze‘ die Lampen putzte. Als ich aufschaute erstrahlte der Wald um mich herum in einer eigenartig zu Herzen gehenden Schönheit. Ich hatte nie gesehen, wie die Natur so aus sich heraus leuchtete, und ich erlebte mich darin so eingebettet. Wie lange ich mit der Lampe in der Hand gebannt dastand, weiß ich nicht. Tränen liefen mir über das Gesicht, als ich zum Abt ging und reden wollte. Aber ich brachte keinen Satz heraus. Der Abt schmunzelte nur und meinte: „Es braucht nichts, damit alles erscheint.“

      Heute weiß ich, dass es kein Ende von spiritueller Entwicklung gibt und dass diese Erfahrung nur der Anfang war, der mir die Zweifel daran, warum ich meditiere, nahm.

      Unentwegt in Bewegung bleiben

      Immer СКАЧАТЬ