Die Althessische Ritterschaft und das Stift Kaufungen. Группа авторов
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Althessische Ritterschaft und das Stift Kaufungen - Группа авторов страница 9

СКАЧАТЬ Kanoniker lebten, durchaus mit Frau und Kindern, in der Freiheit, dem Pfarrbezirk mit eigener Gerichtsbarkeit neben dem Stift, wo auch die eigenen Häuser der Stiftsdamen anzunehmen sind.110 Vermutlich versahen diese Geistlichen noch weitere Präbenden. Der Stiftskanoniker Mathias Jude, der 1407 erstmals als Pfarrer von Meimbressen erwähnt wird, war spätestens seit 1418 Probst des Klosters Weißenstein in Kassel und bis zu seinem Tod um 1449 Besitzer eines Hauses in Kaufungen, in dem er mit Tochter und Enkelkindern wohnte.111 Solche Lebensentwürfe scheinen nicht ungewöhnlich gewesen zu sein und lassen uns den Alltag erahnen.

      Die Stiftsdamen unterstanden der Äbtissin, die, aus ihrer Mitte gewählt, für die Aufsicht und das Wohlergehen aller Stiftsangehörigen zuständig war. Außer dem Äbtissinnenamt waren die Positionen der Pröpstin, der Küsterin und der Kaplanin sowie die Sonderstellung der jüngsten Stiftsdame zu vergeben. Jede der fünf konnte jeweils einen Altar vergeben, in der Reihenfolge der Nennung St. Peter und Paul und des Hl. Heinrich, des Nikolaus und Mariens sowie der Heiligen Dreifaltigkeit.112 Das Stiftskapitel, in dem die Kanoniker mit beratender Stimme vertreten waren, war für die Wahl der Äbtissin, des Vogts und der Amtmänner zuständig; es kontrollierte die Güterverwaltung, die Vergabe der Altarpräbenden sowie die Neuaufnahme von Stiftsdamen, deren Präbenden dabei festzulegen waren. Die Kanoniker übernahmen den geistlichen Part nach der Äbtissinnenwahl und deren Bestätigung seitens des zuständigen Bischofs, also die Abnahme des Amtseides und die Einsetzung, bei der sie die Gewählte buchstäblich auf den Hauptaltar setzten.113

      Die meisten Aufgaben oblagen naturgemäß der Äbtissin. Sie verwaltete zusammen mit einem Amtmann und einem eigenen Kaplan (cappellanus abbatissae) die Güter, tätigte Käufe und Verkäufe, kontrollierte die Einkünfte und Einnahmen aus der gesamten Grundherrschaft, verantwortete die Ausgabe der Präbenden und aller Zahlungen, bewirtete die Gäste und lud in einer kurzen Ansprache an hohen Feiertagen Stiftsdamen und Kanoniker zur Kommunion am Altar ein.114 Über den Kaufunger Stiftshof und seine Erträge konnte sie fast allein verfügen. Trotz dieser Machtfülle war sie offenbar nicht gezwungen, Ehelosigkeit zu schwören, so dass sie, wie alle Stiftsdamen, jederzeit hätte austreten können.

      Die Pröpstin, der ein eigenes Propsteigut zustand, war ihre Stellvertreterin im Falle der Abwesenheit. Sie hatte die Schlüsselgewalt für Stiftsdokumente wie Kreuzgang und war gleichsam die Sprecherin und Vertrauensperson der weiteren Stiftsdamen.115 Die Dritte in der Rangfolge, die Küsterin, trug die Verantwortung für alles, was mit der Stiftskirche zu tun hatte: für deren Innenräume und den Chor samt Zugang und Ausstattung, für die Reliquien und die Glocken. Deshalb war sie auch an der Auswahl des Glöckners, der ein Kleriker sein musste, beteiligt.116 Vermutlich verwaltete sie ein eigenes Küstereigut. Ihr unterstand die Fertigung der Wachskerzen, für deren Rohmaterial zumindest zum Osterfest die Äbtissin zeichnete; sie trug die Sorge für die Grund- und Festbeleuchtung.117 Deutlich dahinter zurück stand die Kaplanin oder Pförtnerin, die den Schlüssel zur Stiftspforte verwahrte und dafür, ebenso wie alle anderen Amtsinhaberinnen und Stiftsfrauen, Einkünfte (fructus, redditus, proventus, pensiones et obventiones) in gesonderter Höhe erhielt.118

      Letztlich hatte fast jede der adeligen Frauen bestimmte Aufgaben und entsprechende Privilegien, die das Zusammenleben bestimmten. Voraussetzung für die Aufnahme als Stiftsdame war eine gewisse Schulbildung, die zumindest das Lesen lateinischer Texte und den Chorgesang einschloss, aber nicht unbedingt zum Eintritt in das Stift führen musste.119 Eine einjährige Probezeit, die dem Gehorsamsversprechen folgte und mit dem Recht auf ein eigenes Domizil verbunden war, enthielt die Pflicht zur regelmäßigen Teilnahme an allen Stundengebeten, Chordiensten und anderen religiösen Events der Gemeinschaft.120 Über Dienerinnen und Zofen, die rechtschaffen sein sollten und wie die Stiftsdamen schwarze Kleidung ohne Schmuckstücke trugen, verfügten nur die Äbtissin, die Pröpstin und die regulären Stiftsdamen mit Sitz im Kapitel.121

      Jede Stiftsdame hatte das Recht, auf ihre Präbende (ihr aus dem Amt resultierendes Einkommen) zu verzichten, um Familie und Freunde zu besuchen oder sogar ganz auszutreten und zu heiraten; bei nur kurzzeitiger Abwesenheit mit Erlaubnis der Äbtissin konnte sie ihre bisherige Präbende zurückerhalten.122 Von 1397 an wurden keine weltlichen Witwen mehr zu voller Präbende in das Stiftskapitel aufgenommen.123 Anlass dürfte ein Streit gewesen sein, bei dem die Söhne einer Kanonisse eine Fehde mit dem Stift geführt und erst beigelegt hatten, als die Mutter auf ihre Präbende verzichtete.124 In den Statuten waren zudem Essens- und Fastenregeln ebenso berücksichtigt wie die Anstellung von Kellermeistern (für Bier), von Bäckern und Köchen durch Äbtissin und Amtsleute.125 Alle diese oft ins Detail gehenden rechtlichen Bestimmungen und ihre Anwendung in der Praxis bedürfen noch vergleichender Studien.

      Visitation, Auflösung und Übergabe an die Hessische Ritterschaft

      Die Visitationsanordnung Papst Alexanders VI. vom Oktober 1500 veränderte langfristig auch das Leben in Kaufungen. Ziel war es, zuerst einmal zu überprüfen, ob die der jeweiligen Gemeinschaft zugrundeliegende Regel eingehalten wurde, um dann den oft recht freizügigen Lebensstil in Klöstern und Stiften abzuschaffen. Ein nachfolgendes Schreiben des zuständigen päpstlichen Legaten ordnete im Dezember 1501 die Visitation für alle hessischen Klöster an,126 die dann in Kaufungen erst mehr als sieben Jahre später im Februar 1509 stattfand. Zu diesem Zeitpunkt scheint hier überhaupt nur noch eine Stiftsdame, die 1504 zur Äbtissin gewählte Elisabeth von Plesse,127 gelebt zu haben, die allein den gesamten Wirtschafts- und Kirchenbetrieb organisierte und in Kleidung und Sitte einen recht weltlichen Lebensstil pflegte. Ihr Siegel (Abb. 16) ist an einer Urkunde vom 25. Mai 1507 erhalten.128 Wie die gesamte Siegelführung im spätmittelalterlichen Stift wäre es noch weiter zu erforschen.

Image

      16 Siegel der Äbtissin Elisabeth von Plesse vom 25. Mai 1507

      Ergebnis war, dass die eingesetzten Visitatoren, die Äbte von Corvey und Bredelar, ein Benediktiner und ein Zisterzienser, sowie der Dekan des Kasseler Martinstifts, ein Kanoniker namens Heinrich Ruland, massive Abweichungen von der Benediktsregel sowie das Fehlen von Ordenstracht und klösterlichem Habitus beklagten.129 Die Äbtissin wäre uneinsichtig und wolle ihren Lebensstil nicht ändern. Solche Aussagen erstaunen, wenn man bedenkt, dass Heinrich Ruland elf Jahre zuvor unter Elisabeths Vorgängerin Agnes von Anhalt Frühmessen in der Kaufunger Georgskapelle gelesen hatte und die dortigen Zustände genau gekannt haben muss.130 Allerdings hatte Agnes, die sich selbst als Agnes geborn furstin zu Anhalt abbatissa der heiligen frien stiffte Cauffungen und Ganderßheim bezeichnete, gleichzeitig Gandersheim geleitet, das sich damals längst der Bursfelder Kongregation angeschlossen hatte. Ein mit Elisabeth einsetzender radikaler Wandel zum lockeren Lebensstil könnte erklären, warum Ruland die Kaufunger Situation so beklagte und die Visitation für notwendig erachtete. Letztlich wurde Elisabeth von Plesse zum Rücktritt gezwungen und trat nach einer Abfindung zunächst in das Kloster Höckelheim, eine Gründung ihrer Familie, ein.

Image

      17 Siegel des Kapitels zu Kaufungen vom 2. April 1515

      Anstelle der ausgewiesenen Kanonisse(n) kamen acht Benediktinerinnen aus dem westfälischen Kloster Gehrden, das der Bursfelder Kongregation, einer vor allem in Norddeutschland erfolgreichen Reformbewegung, angehörte.131 Interessant ist, dass die Neuangekommenen ihre Institution nach wie vor als kaiserlich freies Stift bezeichneten sowie Ämterstruktur und Präbendensystem übernahmen.132 Nur eine zusätzlich amtierende Kellnerin sorgte für Essen und Vorratshaltung, und der Abt von Breitenau wurde zum geistlichen Betreuer bestimmt. Zehn Jahre später, 1519, kehrte auch Elisabeth von Plesse, nunmehr als einfache Nonne in Ordenstracht und nach einem Gehorsamseid, wieder zurück, nachdem sie im Jahr zuvor intensiv darum gebeten hatte.133 Dass die Heiligkreuzkirche СКАЧАТЬ