Название: Phrase unser
Автор: Jan Feddersen
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783532600542
isbn:
Aber in diesen Kirchen, so Groebner, seien immer alle willkommen gewesen. „Wir sind ein großes Wir. Die anderen – die Juden, die Muslime und die Sodomiter – gehören nicht dazu.“ Man habe dafür gesorgt, dass die anderen ausgegrenzt, im schlimmsten Fall verbrannt worden seien, weil man sich von ihnen bedroht gefühlt habe.
Und noch heute sieht Groebner ein ähnliches „Wir“ in der kirchlichen Sprache wirksam, nämlich in der „moralisierenden Wir-Müssen-Sprache“, zu der die Kirche neigt. Innerhalb dieses Systems ist es dennoch sehr schwer, auf die moralisierende, auf die sehr inklusive Erste Person Plural zu verzichten. Denn diese Sprache biete bis heute große Vorteile: „Die Kirchen wollen gleichzeitig die radikale Alternative und der Mainstream sein – und dafür ist diese Sprache toll.“
Wo liegen die Ursprünge der heutigen kirchlichen Sprache? Eine Quelle ist, wie im vorherigen Kapitel gesehen, die so genannte „Sprache Kanaans“, die vor allem im 19. Jahrhundert in besonders frommen Kreisen entstanden sein dürfte. Wichtiger aber sind heutzutage zwei andere Wurzeln der kirchlichen Sprache.
Dazu ist ein kleiner Ausflug in die Sprachtheorie und Soziologie nötig: In den Sechzigerjahren hat die kirchliche Sprache wie die gesellschaftliche Mainstream-Sprache vor allem durch die neueren Wissenschaften Impulse bekommen, etwa durch die Sprachphilosophen Austin und Searle. Sie haben in ihren Sprachtheorien festgestellt, dass Sprechen immer auch Handeln ist – eine Erkenntnis, die sich in unseren Tagen weitgehend durchgesetzt hat. Man verändert Dinge und Menschen durch Sprechen. Kommunikation ist nicht nur ein Übermitteln von Botschaften, sondern eine besondere Form der Interaktion, nämlich das Handeln mit Symbolen.
Dieses Denken hat mit einem größeren Einfluss der politischen Linken auf die deutsche Politik und Gesellschaft in den Sechzigerjahren zu tun. Die Linke hat in dieser Zeit immer betont, dass die unterschiedlichen Formen des Sprechens dabei helfen, gesellschaftliche Unterschiede zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Die Sprache wird als ein Unterdrückungsmechanismus gesehen, der entschärft (oder für eine bessere Sache eingesetzt) werden muss. Das bedeutete für eine linke Politik, dass sie danach strebte, über die Unterdrückungsmacht der Sprache aufzuklären. Das Ziel war, in gleicher Augenhöhe miteinander zu sprechen – und es ist kein Zufall, dass der Ausdruck „in Augenhöhe“ heute so populär ist.
Wenn aber Sprechen Handeln heißt, dann hat das Folgen. Man spricht dann nicht nur über die Wirklichkeit, sondern stellt sie sprechend her. Deshalb sollte man genau überlegen, was man sagt und mit welchen Folgen. „Besseres Sprechen soll ein befreiendes Sprechen sein, das nicht diskriminiert, sondern aufwertet“, erklärt der Kommunikationswissenschaftler Jo Reichertz, dessen Schwerpunkt unter anderem die Religionssoziologie ist. Das ist eine wissenschaftlich-ideologische Wurzel der öffentlichen und kirchlichen Sprache, wie wir sie heute kennen.
Geht man noch weiter in die Tiefe, dann ist die heute dominierende Sprache in der Öffentlichkeit und in der Kirche zudem geprägt von der Schule der Kommunikationswissenschaftler Gregory Bateson und Paul Watzlawick aus Palo Alto. Deren Theorie ist, dass besondere Formen des Kommunizierens krank machen können. Laut dieser Theorie gibt es in der öffentlichen Kommunikation ein unehrliches Sprechen mit doppeltem Boden (double bind). Von diesem ist auch die kirchliche Sprache geprägt.
In dieser Theorie – sowie in Marshall Rosenbergs Theorie der gewaltfreien Kommunikation – wird das Sprechen genutzt, um Beziehungen besser zu gestalten und Ziele friedlicher zu erreichen, denn Sprechen bedeutet ja, wie gesagt, immer auch Handeln. Wenn also verhindert werden soll, dass Sprechen Gewalt ausübt, muss man das Sprechen systematisch reflektieren und gezielt so umgestalten, dass es nicht mehr schaden kann. Die Folge für die öffentliche und kirchliche Sprache ist die Forderung, dass sie auch mit den Benachteiligten „auf Augenhöhe“ kommunizieren will – und die Ziele der Kirche sollen natürlich nur durch die Sprache und gewaltfrei erreicht werden.
In diesem Umfeld hat sich langsam die heutige kirchliche Sprache entwickelt. Denn den größten Teil dieser Theorie haben die Kirchen, bewusst oder unbewusst, übernommen und ihr Sprechen, also ihre interne und externe Kommunikation, geändert. Diese Kommunikationsmuster – vor allem auf protestantischer Seite zusätzlich geprägt durch Friedemann Schultz von Thuns „Unternehmenskommunikation“ – sind seit den Sechziger- bis zu den Achtzigerjahren in die kirchliche Sprache eingewandert und bestimmen in ihr zu weiten Teilen den Diskurs und das Sprechen.
So ist spätestens in den späten Siebziger-, frühen Achtzigerjahren vor diesem Hintergrund eine Sprache der Empathie im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Kirchensprache dominant geworden. Das ist deshalb recht erstaunlich, weil die Sprache der Achtundsechziger im Gegensatz dazu noch eine ganz andere war, zum Teil sehr hart, brutal und schroff – und man kann gerade für die kirchliche Sprache überlegen, ob sie nicht auch deshalb so weich und empathisch ist, um sich von dieser Schroffheit abzugrenzen.
Es gab übrigens auch Achtundsechziger in der Kirche, die hier den gleichen harten Umgangston pflegten, wie Petra Bahr erzählt: „Diese 68er sagen mir heute: Wir waren so brutal unbarmherzig.“ Bahr berichtet von einer Kollegin, die 1968 eine autonome Evangelische Studentinnengemeinde gegründet hat. „Die Vereinbarung unter den Frauen dieser Gruppe im Gespräch war: Bis eine heult, sagen wir uns die Wahrheit.“
Das aber war die Ausnahme. Prägender wurde in den folgenden Jahrzehnten für die kirchliche Sprache unter anderem die evangelische Theologin Dorothee Sölle (1929–2003), die bis heute Generationen von Theologinnen und Theologen fasziniert. Einfluss auf die kirchliche Sprache hatte lange Zeit auch Heinz Zahrnt (1915–2003). Er galt einer größeren Öffentlichkeit über viele Jahrzehnte als einer der einflussreichsten evangelischen Theologen und Publizisten.
Der konservative Publizist Jan Fleischhauer, lange Zeit Kolumnist bei Spiegel Online, jetzt beim Focus, macht das lebensgeschichtlich anschaulich. Er war einst stark engagiert in der evangelischen Kirche: „Es gab in den Siebzigern in linken bundesdeutschen Kreisen eine sehr harte Sprache – auch aus Bewunderung für die RAF: ‚Gefangene werden nicht gemacht. Ab heute wird zurückgeschossen‘ Das hatte Kraft. Ich habe das Zitat, ‚Ab heute werden wir Menschen sein – oder die Welt wird untergehen bei unserem Versuch, es zu werden.‘ nachts mit schwarzer Farbe an die Schultür gesprüht, voller Angst vor dem Hund des Hausmeisters.“ Zusammen mit Freunden habe er mit pochendem Herzen den Kampf in die Metropolen tragen wollen. Seine Freizeit habe er viel im kirchlichen Umfeld verbracht: „Jugendgottesdienst, Teestube (allein das Wort schon!), Brot für die Welt und Amnesty International.“ Da sei der protestantische Duktus schon da gewesen, aber: „Diese Sprache war viel weicher. So weich wie Taizé. Die Grenze zum Kitsch war fließend: Mit dem Herzen denken und mit dem Kopf fühlen, wie uns Konstantin Wecker zurief.“ Hinzu kam die damalige Stärke der linken politischen Ideen und ihrer Sprache. „In der kirchlichen Sprache spiegelt sich, was bestimmend ist für alle linken Bewegungen: die Untergangsangst, das Apokalyptische. Der Ausblick auf einen Jüngsten Tag, auf ein Weltende – damit kann ich als religiöser Mensch etwas anfangen.“
Kaum zu überschätzen für die kirchliche Sprache waren auch die „neuen sozialen Bewegungen“, die mit der Kirche – etwa bei der Friedens-, Umwelt- und „Dritte Welt“-Bewegung – eng verbunden waren. In den neuen sozialen Bewegungen wurde die empathische Sprache sehr gepflegt. Respekt wurde in dieser Zeit Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre im Umgang miteinander (wieder) ein hoher Wert. Die Sprache der Gesellschaft wurde anders. Und das hat auch die kirchliche Sprache geprägt: Die strenge, harte Sprache Luthers wurde zurückgenommen, angefangen vielleicht bei den neuen Kirchenliedern in den Sechziger- und Siebzigerjahren. „An ihnen sieht man, wie die Härte der lutherischen Choräle weichgespült wird. Das vermischt sich mit der Sprache des Kirchenalltags und des Kirchentags“, so Paul Nolte.
Es war kein Zufall, dass die Kirche etwa bei der Anti-Atomkraft-Bewegung so eine große Rolle gespielt hat. Pfarrerinnen und Pfarrer saßen oder standen da oft СКАЧАТЬ