Название: Memory House
Автор: Rachel Hauck
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783961401604
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Als seine Mutter jetzt schluchzte und ihr weißes Taschentuch an ihre nasse Wange drückte, nahm Bruno ihre Hand und machte sich auch auf seine eigene Trauer gefasst.
„Sie war bekannt als eine Frau mit Charakter und als Beterin“, fuhr Pastor Oliver fort. „Wenn Miss Everleighs Leben und ihre Gebete auch Einfluss auf Ihr Leben gehabt haben, dann stehen Sie doch bitte einmal auf.“
Daraufhin erhoben sich alle Anwesenden.
Als Nächstes betrat ein junger Mann mit einer Gitarre das Podium, trat ans Mikrofon und stimmte einen Choral an. „Singen Sie doch jetzt mit mir ,The Old Rugged Cross‘, eines von Miss Everleighs Lieblingsliedern.“
„On a hill far away, stood an old rugged cross.“
Die vielen Stimmen, die Melodie und der Text forderten Brunos Entschlossenheit heraus, nicht zu weinen. Er sehnte sich nach seiner alten Freundin, nach den vergangenen Zeiten, nach der Ferien-Bibelschule bei ihr im Garten hinter dem Haus und nach ihrer bedingungslosen Liebe.
Verschämt wischte er sich rasch eine Träne weg, die sich gerade aus seinem Augenwinkel lösen wollte. Aber Tränen änderten nichts. Sie sorgten nicht dafür, dass Wünsche in Erfüllung gingen und erweckten weder Väter noch alte Freundinnen wieder zum Leben.
Miss Everleigh ist deiner Tränen würdig.
Während weiter gesungen wurde, ließ Bruno seinen Erinnerungen freien Lauf, aber genau in dem Moment vibrierte sein Handy wieder, und holte ihn in die Realität zurück.
Er ließ die Hand seiner Mutter los und ging wieder zum Eingang.
„Endicott“, meldete er sich.
„Hier ist Coach Brown.“
Bruno seufzte und schaute nach unten auf den rissigen, fleckigen Beton, der einmal die Laderampe des Lagerhauses gewesen war.
„Ich bin gerade bei einem Trauergottesdienst.“
„Mein Beileid“, hörte er den Coach nur noch sagen und dann war es wieder still in der Leitung.
Bruno nahm an, dass der Coach Tyvis noch einmal hatte anpreisen wollen, indem er beispielsweise damit prahlte, wie der Junge sich nachts zwischen zwei und vier noch ehrenamtlich in einem Kinderheim engagierte.
Er steckte sein Handy wieder ein und stand jetzt nur ein paar Meter von der irgendwie vertrauten Fremden entfernt. Noch einmal ließ er sich zu einem Blick in ihre Richtung hinreißen, und diesmal wusste er plötzlich, wer sie war.
„Beck?“, flüsterte er. „Beck Holiday?“
Sie wandte sich ihm zu. „Ja?“
„Wow, ich glaub’s ja nicht.“ Er ging zu ihr hin und sagte leise: „Wie lange ist das jetzt her? Achtzehn, neunzehn Jahre?“ Ihr ausdrucksloser Blick hätte ihn beinah abgeschreckt, aber er sagte dann trotzdem: „Du bist gekommen. Traurig, das mit Miss Everleigh, oder? Hat meine Mutter dich schon angesprochen?“
Als er sie jetzt aus der Nähe sah, verliebte er sich sofort wieder ein bisschen. Genau wie damals, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er war acht gewesen und mit seinem Fahrrad die Memory Lane hinauf- und hinuntergefahren, während sie mit ihrem Vater in Miss Everleighs Vorgarten einen Drachen hatte steigen lassen.
Und dann wieder mit neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn und vierzehn. Jeden Sommer hatte er sich ein bisschen mehr in sie verknallt. Und dann kam der 11. September und er hatte sie nie wiedergesehen.
In einer dunkelblauen Stoffhose mit passender Jacke und einer engen weißen Bluse darunter strahlte sie unter ihrer mittlerweile erwachsenen Schönheit auch etwas Herbes, fast Hartes aus.
„Ihre Mutter? Nein. Ich habe mich erst im letzten Moment entschlossen zu kommen.“ Dann schaute sie wieder in den Gottesdienstraum, wo die Gemeinde gerade zum letzten Mal den Refrain sang.
„So I’ll cherish the old rugged cross.“
„Kannst du begreifen, dass sie nicht mehr da ist?“ Er stand neben ihr, ahmte ihre abwehrende Haltung, die verschränkten Arme nach und war gleichzeitig amüsiert und verärgert darüber, dass sein Puls schneller wurde. War er denn immer noch ein bisschen wie ein Teenager? „Als Pastor Oliver angefangen hat zu sprechen, sind bei mir unglaublich viele Erinnerungen wieder hochgekommen“, sagte er und sah sie an. „Erinnerst du dich, als …“
Ihr durchdringender Blick sorgte dafür, dass ihm die Worte im Hals stecken blieben. „Tut mir leid, aber wer sind Sie?“, fragte sie.
Da ließ er die Arme sinken, brachte ein kleines Lächeln zustande und antwortete: „Okay, ich hab’s kapiert. Wir haben uns aus den Augen verloren, aber du hast mir ja auch nicht geschrieben. Moment mal …“ Er drehte sich noch einmal zu ihr um. „Ich habe dir eine E-Mail geschrieben, direkt nach dem 11. September, aber du hast nicht geantwortet. Und dann habe ich dir noch mal geschrieben, als mein Vater gestorben ist.“
Sie schaute ihn finster an und ihre Miene wurde noch härter. „Hören Sie, wer auch immer Sie sind, ich kenne Sie nicht und ich erinnere mich auch nicht an Sie.“
Jetzt war er an der Reihe, finster zu schauen. „Aber du bist doch Beck Holiday, oder? Die Tochter von Dale und Miranda Holiday, die ihre Sommerferien immer bei Miss Everleigh verbracht haben? Die in der Ferien-Bibelschule im Garten neben mir gesessen hat? Die mit mir auf dem Fahrrad die Memory Lane hoch- und runtergefahren ist? Die Miss Everleighs Haus Memory House genannt hat?“
Sie zögerte kurz, nickte dann aber, den Blick wieder geradeaus in den Gottesdienstraum gerichtet. „Ich glaube, die Frau da vorn möchte etwas von Ihnen“, sagte sie dann, und als er in die entsprechende Richtung schaute, winkte ihn seine Mutter nach vorn. Was wollte sie? Aber was auch immer es sein mochte, es konnte jedenfalls nicht so faszinierend sein wie dieser Austausch mit Beck. Bruno sah sie noch einen Moment länger an, bevor er wieder zurück zu seinem Platz ging.
„Die Leute erzählen jetzt von Erlebnissen, die sie mit Miss Everleigh gehabt haben“, flüsterte seine Mutter. „Du solltest auch etwas sagen.“
„Nein danke. Ich bin eher der Typ hinter den Kulissen.“
„Mit wem hast du denn da gerade gesprochen?“
„Mit Beck Holiday.“
Da bekam seine Mutter ganz große Augen und schaute an ihm vorbei nach hinten. „Meine Güte, von den Holidays habe ich seit 2001 niemanden mehr gesehen. Schrecklich, das mit Dale. Ist sie das da?“
„Starr sie nicht so an.“
Seine Mutter zog eine Augenbraue hoch und stupste Bruno an. „Die hat sich aber gut gemacht.“
Pastor Oliver ging mit dem Mikrofon im Raum umher, während Dutzende von Trauergästen aufzeigten, weil sie etwas sagen wollten.
„Trilby, ich weiß, dass du etwas zu erzählen hast“, sagte der Pastor und übergab das Mikro an Trilby Thomas.
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