Название: SIN SOMBRA - Hölle ohne Schatten
Автор: Joachim Gerlach
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783960087731
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Ein Glück freilich, das vergehen würde. Pepa bewegte sich mit großen Schritten auf die Zeit zu, in welcher sie nicht mehr als Kind, sondern als junge Frau wahrgenommen würde. Dann spätestens musste sie das Kloster verlassen, selbst der so schwächliche und zaudernde Prior würde keinen Tag mehr ruhen, egal was aus dem Mädchen werden sollte.
Vielleicht würde auch er das Kloster zu dieser Zeit verlassen. Diese Möglichkeit hatte sich seit längerem in Bruder Manuels Überlegungen als ein in Betracht zu ziehendes Tun festgesetzt. Und das obwohl er sich durch sein Gelübde auf ewig an den Orden gebunden hatte. Aber die innere Begeisterung der früheren Jahre war dahin.
Je näher die Zeit der Entscheidung rückte, desto stärker verspürte er den Wunsch, Pepa, den Lichtquell seines bescheidenen Lebens, bei sich behalten zu wollen, sie in die Ferne zu begleiten.
Die Kirche gab ihnen ein fragliches Obdach. Das würden sie beide auch ganz sicher anderweitig erlangen können. Sie würden keine Ansprüche stellen und irgendwo unterkommen. Ein unausgesprochener Hoffnungsschimmer.
Dass alles ganz anders kommen sollte, und dies unter dramatischen Geschehnissen, davon ahnte Bruder Manuel an diesem Tage noch nichts, da er vergnügt und mit Ernst zugleich zusah, wie Pepa und Gabriel sich miteinander bekannt machten.
»Einen Jungen hatten wir hier noch nie!«
»Wo bin ich?«
Gabriel wiederholte seine Frage, sah sich wieder um, erblickte Bruder Manuel im Hintergrund und schien eine Idee zu bekommen.
»Ich mache dich gesund!«
Bruder Manuel kam hinzu.
»Seit dem vorgestrigen Tage, mein Junge, bist du hier, damit wir dir besser helfen können!«
Gabriel entging nicht der Doppelsinn des Gesagten. Er dachte an die Worte, die Bruder Manuel in der Zelle zu ihm gesprochen hatte.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren. Du musst schnellstens an einen sicheren Ort gebracht werden!«
»Danke!«
Gabriel schaute ihn, aber auch Pepa an. Sein Dank galt beiden.
Zwei gute Menschen an seiner Seite, inmitten des großen düsteren Schweigens, das von diesem unheimlichen, gottlosen Ort und seinen übrigen Bewohnern ausging.
Bald darauf war Gabriel wieder eingeschlafen. Er kam den ganzen Tag nicht mehr zu sich, und auch die Nacht schenkte ihm weiter den so dringend benötigten Schlaf.
Andere Menschen, die zu seiner Welt gehörten, in freundschaftlicher, in feindlicher Gesinnung, fanden nicht in den Schlaf.
Ein rastloser Diener Gottes, getrieben von dem hohen Fieber, den Teufel in der Gestalt eines Kindes zu stellen und zu richten, ein unruhiger Gutsherr, der seine Leute nach diesem finsteren Richter ausgesandt hatte und ihn gleichermaßen auch wie eine böse Heimsuchung erwartete, ein Prior, der ob der Beheimatung des Dämons in seinem Hause kaum noch ein Auge zubekam, ein alter Fischer, der seine Gebrechen vergaß und sich auf die Suche seines Lebens begeben hatte, um nicht wieder einen Sohn zu verlieren, ein Herz, das ihn begleitete und schließlich ein der wahren Lehre Gottes verschworener, der Nächstenliebe anbefohlener Mönch im einfachen Habit, der wusste, dass die Zeit gegen diesen Jungen arbeitete, der hier bei ihm auf der Krankenstation lag und nur mühsam wieder zu Kräften kam.
Als er, nachdem er dieses Mal zu ihm gerufen worden war, ihn neuerlich gesehen hatte, war er vom Schrecken getroffen worden.
Gabriels Zustand hatte sich verschlechtert, ob mit seinem Zutun, dass er nichts mehr aß und trank, oder ohne dieses, wusste Bruder Manuel nicht zu sagen. So konnte der Junge unmöglich auf die gefährliche Reise gehen. Ein Wunder bald musste geschehen, sonst war er verloren. Die Küche hatte schon die Order erhalten, nahrhafte Brühen zu kochen. Auch die streng rationierten Kartoffeln, die unter der Obhut des an sich geizigen Cellerars, des Verwalters des Klosterguts, standen, würden dem Jungen gereicht werden. Von den Schinken, die er für die Flucht des Kindes unerlaubt zu horten angefangen hatte, von mit Eicheln von Steineichen voll gefütterten iberischen Schweinen stammend, wollte Bruder Manuel dicke Scheiben abschneiden. Es waren wohl die ersten Schinken, die es hierhin ins Kloster geschafft hatten. Die Kartäuser nämlich waren strenge Vegetarier. Ein Bruch der Ernährungsregel war ein Verbrechen an der Heiligkeit.
Um Himmels Willen, was würde mit Pepa geschehen?
Bruder Manuel fasste sich mit einer fahrigen Bewegung an den Kopf, das Blut durchströmte ihn heiß.
Mochte ihn die Eintönigkeit des Klosterlebens, die ewige Betrachtung, das ewige Beten, so einfältig gemacht haben, dass er ihr Schicksal angesichts des nahenden Inquisitors nicht bedacht hatte und nur das des Jungens?
Der Priester der Finsternis würde herausfinden, dass Pepa hier lebte. Er wie seine vielen Brüder im rachsüchtigen Geiste hatte tausend Augen. Und natürlich auch tausend Ohren. Man würde ihm die Schafe, die schwarzen, nennen, die die Herde störten. – Befleißigung, viel tausendfache, um das eigene Licht zu erhellen und den Einsatz für den rechten Glauben zu bekunden.
Er würde zu den Denunzierten gehören. Bruder Manuel spürte und wusste es.
Um Pepas Dasein an diesem tristen Ort würde trotz ihrer Nützlichkeit Aufhebens und Geschrei gemacht.
Und wenn der Inquisitor seiner Beute nicht habhaft wurde und er von der Flucht des Jungen erfuhr, würde er andere Opfer suchen.
Pepa und auch er würden keine Möglichkeit mehr haben, mit heiler Haut davon zu kommen.
Warum hatte er dies bislang nicht so deutlich gesehen? Er hätte sich dafür ohrfeigen mögen, doch noch resultierte aus seiner Gedankenlosigkeit kein Schaden, war noch keine wertvolle Zeit vertan worden.
Die Rettung des Jungen, sie stand zuerst an. Danach erst konnte er an Pepa und sich denken und wie geboten handeln.
Über den Tag hinweg musste er herausfinden, wann genau mit dem Erscheinen des Inquisitors zu rechnen war. Vielleicht gab es irgendeine Neuigkeit. Die ihm bislang vorliegenden Meldungen waren allesamt nur vage gewesen.
Es hatte sich, obwohl der Prior um Geheimhaltung bemüht gewesen war, herumgesprochen, dass die Inquisition wegen des Kindes benachrichtigt worden war.
Wenn es vielleicht auch neue Nachrichten gab, Bruder Manuel wurde sie nicht gewahr.
Die Angst, die alle Mitbrüder wegen des anstehenden äußerst unangenehmen Besuchs in Beschlag genommen hatte, lähmte ihre ohnehin nicht ausgeprägte Gesprächigkeit zusehends.
»Memento mori.« Sei eingedenk, dass Du sterben musst.
Viel mehr als diesen Wahlspruch bekam er nicht zu hören. Bruder Manuel blieb ohne Aufschluss. Er musste sich darauf verlassen, dass ihm noch ein wenig Zeit verblieb.
Über den Tag hatte er ein Treffen für die Zeit des ersten nächtlichen Silentiums vereinbart, der ersten Schlafenszeit, die kurz vor Mitternacht endete. Er konnte sicher sein, dass ihn dann niemand behelligte.
Es war Alberto, dem er begegnete. Alberto war der Ausfahrer der klösterlichen Notdurft, insofern damit vertraut, dass das Kloster ein nur allzu menschlicher Ort war. Auch ansonsten wusste er um die Gewöhnlichkeit der hier beheimateten СКАЧАТЬ