Название: SIN SOMBRA - Hölle ohne Schatten
Автор: Joachim Gerlach
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783960087731
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»Du und Gott, ihr werdet mich begleiten. Ich fürchte mich nicht.«
Müde alte Augen, die seinen Aufbruch verfolgten. Das Gesicht, das zu ihnen gehörte, blieb reglos, der Mund geschlossen. Aber flammende Liebe, aus tiefstem Herzen geboren und in all den Jahrzehnten dort aufbewahrt, strömte ihm zu und begleitete ihn.
Es war ein Abschied für immer. In diesem Moment wussten sie es nicht. Nie wieder aber würden sie sich sehen.
Ein letzter Blick zurück, auf das Dorf, seine Heimat, aber eine andere Heimat, die des Meeres, sie blieb ihm.
Sein Weg führte ihn an der sonnengebleichten Küste entlang. Es war der einzige Weg, der ihm richtig erschien. Wohin hätten die anderen Wege ihn bringen sollen? Er wusste nicht, wo anzufangen war mit seiner Suche.
Die Hand, seine rechte, glitt unentwegt in die Tasche, die Finger berührten wie so unzählige Male zuvor den kleinen abgegriffenen Lederbeutel.
Überall war nur die Fremde spürbar, jeder Schritt hätte sie verstärkt.
Allein das Meer mit seiner Gegenwart, das Rauschen der Brandung, das Spiegeln der Sonne in der weiten Wasserfläche bis hin zum Horizont, die Unendlichkeit des Raumes, das Verschweißen von Himmel und Wasser, das Verschweißen der Ewigkeit mit der Wirklichkeit des Augenblicks, schenkten ihm ein Stück Geborgenheit und Zuversicht für den nächsten Tag.
*
»Wenn du mit Pepa nicht sprechen willst, dann spricht sie auch nicht mit dir!«
Die Worte drangen an Gabriels Ohr, ohne dass sie eine Reaktion auslösten.
Mit offenen Augen lag er in einem Bett der Krankenstation des Klosters. Wie er hierhin gekommen war, er konnte es nicht sagen. Genauso wenig wusste er, wie lange er jetzt schon so da lag … mit offenen Augen und dennoch nicht wach.
»Pepa wird noch böse!«
Wer war Pepa?
Gabriel versuchte den Kopf zu heben, wollte schauen, zu wem die Stimme gehörte. Der erste Versuch aber schlug fehl. Eine große Kraftlosigkeit hatte sich seiner bemächtigt. Er wartete ab, ließ die Bilder, die seine Augen aufnahmen, bewusst in sein Inneres fließen.
Das Mädchen, bei dieser Stimme musste es ein Mädchen sein, war nicht zu sehen. Aber er spürte, dass es da war.
Pepa notierte, dass in dem Jungen eine Veränderung vor sich ging. Sie ging um das Bett herum, schaute ohne Unterlass nach ihm, nahm ihre Katze, die um ihre Beine herumstrich, auf und setzte sich direkt vor ihn auf den Rand des Bettes. Ihre Blicke begegneten sich. Gabriel schaute in warme braune Augen, in ein leuchtendes, gebräuntes Gesicht, in dem die Sonne sich mit der Erde vermählte. Es gehörte einem Mädchen, das vielleicht ein, zwei Jahre älter sein mochte als er. Der Blick des Mädchens wollte gar nicht zu dem von ihm Gesagten passen.
»Wo bin ich?«
Gabriel musterte seine Umgebung, bemerkte den grau getigerten Kater auf dem Schoß des Mädchens. Dann schaute er es wieder an. Ein Lächeln ließ ihm Geborgenheit zuströmen. Von dem Mädchen durfte er sich eine Antwort erhoffen.
Pepa war ein Wesen, das eigentlich nicht existierte … zumindest nicht nach den strengen Regeln des Ordens, der innerhalb dieser mächtigen Mauern seit langer Zeit sein gottgefälliges Werk verrichtete.
Pepa war hier zur Welt gekommen, die Mutter, jung zwar, aber ausgezehrt, war im Wochenbett gestorben. Eigentlich hätte sie sich nie hier aufhalten dürfen.
Aber sie befand sich schon dem Tode näher als dem Leben, als sie vor der Pforte der Kartause gefunden wurde, wahrscheinlich von irgend einer gerührten Seele dort abgelegt, und fand Einlass, von den Padres, den Priestermönchen durch eisiges Schweigen missbilligt. Der Prior forderte die schnelle Entfernung des Kindes aus dem heiligen Bezirk. Barmherzigkeit war fehl am Platze, wo das christliche Heil in Gefahr geriet, noch dazu die Kartäuser kontemplativ und nicht der Welt zugewandt waren.
Pepas Leben hing aber auch schon so am seidenen Faden. Zu früh war sie wegen der maßlosen Überanstrengung der Mutter, die bis zuletzt von niederer Arbeit zum Erhalt des erbärmlichen Daseins nicht ablassen konnte, geboren worden.
Pepa atmete schwach, ihr Körpergewicht war viel zu gering, die Überlebensreife kaum erreicht.
Die herbeigerufene Hebamme aus dem am Fuße des Klosterbergs gelegenen Flecken weigerte sich, das Kind mitzunehmen.
Auch fand sich keine Amme. Schnell war das Gerücht im Umlauf gewesen, der Teufel sei schon im Besitze der Seele des Kindes. Deshalb wäre es nicht verwunderlich, dass es schon dem Tode näher als dem Leben sei.
Wäre Bruder Manuel nicht für sie aufgestanden, wäre Pepa zum Tode verurteilt gewesen.
Er vermochte das Interesse seines Meisters an dem Erhalt des winzigen Lebens zu wecken, päppelte Pepa mit Milch und geschmolzener Butter auf, schaffte es, so gut es ging, die Existenz des Kindes außerhalb des Augenmerks des Priors zu halten, wozu auch die nachhaltige Beteuerung gehörte, einen neuen Aufenthaltsort für Pepa finden zu wollen. Und doch wunderte er sich nach all seinen Erfahrungen, dass ihm das Kind nicht mit Gewalt genommen wurde, noch nicht einmal anlässlich der alle zwei Jahre stattfindenden Überprüfungen der Kartause durch jeweils zwei andere Prioren.
Oft hätte er in der Folge Gelegenheit gehabt, seine Worte in die Tat umzusetzen. Es gab genügend reisendes Volk, das ein Kind mitzunehmen bereit gewesen wäre, sei es zur Gewinnung seiner Arbeitskraft, sei es zu einem Zwecke schlimmer Art.
Bruder Manuel aber wollte Pepa, nachdem sie schon so unglücklich in die Welt gekommen war, jeden Schutz, den zu leisten er im Stande war, zukommen lassen. Vielleicht vermochte er sich auch nicht von ihr zu trennen, weil er für das Leben eines Mönches in tiefster Seele nicht geboren war, weil er nicht über das viele Unrecht, das im Namen Gottes von der Kirche verübt wurde, hinwegsehen konnte. Das wirtschaftliche Auspressen der Menschen, das Erpressen von ihnen im herrischen Glauben, alles an Seelenheil sei nur über die Kirche zu erlangen, das Zerpressen aller Kreatur, die diesem Glauben nicht blindlings zu folgen bereit war, weil sie andere Erkenntnisse und Wahrheiten gefunden hatte.
Die Existenz Pepas in diesem Kloster war ein stiller Protest gegen all die im Namen Gottes praktizierte und geduldete Ungerechtigkeit, ein Vorführen der selbst sich erhebenden Macht, welche das Volk unablässig in den Schmutz drängte und selbst doch über und über besudelt war.
Pepa hatte sich der Eintönigkeit und der Unmöglichkeit der räumlichen Entfaltung zum Trotz zu einem bemerkenswert fröhlichen und aufgeweckten Kind entwickelt. Sie litt nicht darunter, den Kranken- und Küchenbereich des Klosters nicht verlassen zu können, half entschlossen bei der Krankenpflege mit, holte das Essen ab, kümmerte sich um die Wäsche, die Reinigung der ärztlichen Utensilien und der Verbände, brachte die Notdurft weg, fegte und putzte den Boden und war, was sie mit der größten Freude erfüllte, da sie die helle Sonne und Luft zu spüren bekam, bei der Bewirtschaftung des Klostergartens behilflich.
Dazu war Bruder Manuel ihr ein guter Lehrer und Erzieher und obendrein ein väterlicher Freund. Pepa musste viel entbehren, fraglos, aber es hätte schlechter, viel schlechter um sie stehen können … bis hin zum Verlust ihres für die Welt so unbedeutenden Lebens.
Bruder СКАЧАТЬ