Leben - Wie geht das?. Matthias Beck
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Название: Leben - Wie geht das?

Автор: Matthias Beck

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783990402306

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СКАЧАТЬ bekommt man Antwort?

      Offensichtlich ist dieser Prozess nicht nur ein Prozess der Befreiung von etwas, also von den Eltern und anderen Fremdbestimmungen, sondern auch ein Prozess zu etwas hin, nämlich zum Finden der eigenen Identität, Wahrheit und Berufung. Wie kann der junge Mensch zu diesem Eigenen durchreifen? Er ist noch sehr jung, kann noch nicht ganz weg vom Elternhaus, aber ganz zu Hause ist er auch nicht mehr. Wie kommt er aus der Spannung des Nicht-mehr-ganz-bei-den-Eltern- und Noch-nicht-ganzbei-sich-selbst-Seins, aus dem Frei-sein-Wollen, aber noch nicht ganz Freisein-Können heraus?

      Bedarf es gerade zum Aushalten dieser Spannung und für das Überwinden dieses Abgrundes und des Zwischen-den-Welten-Seins einer ganz anderen Dimension, eines Überstieges in eine andere Welt, die jetzt in diesem Chaos tragende Kraft bekommt und neue innere Ordnung schafft? Bedarf es gerade für diesen schrittweisen Überstieg zur Selbstwerdung einer ganz anderen Ebene? Das klingt paradox. Der Mensch soll ja gerade aus der Fremdbestimmung durch die Eltern langsam zum eigenen Ich heranreifen. Und jetzt soll noch eine andere zusätzliche Ebene, womöglich eine neue „fremde Macht“ ins Spiel kommen? Soll der junge Mensch aus einer Fremdbestimmung in eine andere Fremdbestimmung hineingeraten? Das klingt widersprüchlich.

      Damit das nicht geschieht, müsste diese „andere Dimension“ „da“ sein und doch nicht vereinnahmen, sie müsste ganz zurücktreten und doch Halt geben. Sie müsste im innersten Innen des Menschen ansetzen und doch Orientierung geben, sie müsste Wegweisung sein und doch Raum geben zur Selbstentfaltung. Sie müsste von innen her Halt geben und in den Eigenstand und die Freiheit führen. Sie dürfte den jungen Menschen nicht wiederum von außen her fremd bestimmen wie eine äußere Autorität, sondern müsste eine innere Autorität sein, die dem Menschen wie ein Kompass den Weg weist. Sie müsste ihm helfen, zu sich selbst zu erwachen und den eigenen Lebensweg schrittweise zu finden. Sie müsste die Selbstwerdung fördern und nicht blockieren, sie müsste den Menschen groß machen und nicht klein, ihn wachsen lassen und nicht schrumpfen, ihm Vertrauen schenken und nicht Angst einflößen, den Weg ins Unbekannte bahnen helfen und nicht im Alten stecken bleiben. Eine solche Macht müsste den Menschen überschreiten und doch in ihm sein, sie müsste dem Menschen innerlicher sein als er sich selbst innerlich sein kann.

      Bevor diese Macht und innere Autorität näher beschrieben wird, sollen zunächst zwei weitere grundsätzliche Fragen bedacht werden: Zum einen jene über die Brüchigkeit der Welt, die sich gerade in Krisen- und Umbruchszeiten zeigt, und zum anderen jene über die Grundstruktur des Menschen, die sich vor allem in seinem Geist- und Vernunftcharakter zeigt. Wer diese Zwischenüberlegungen nicht mitvollziehen will, möge gleich zum Teil C „Pubertät als existentieller Umbruch“ übergehen.

      Teil B

       ~

      Grundreflexionen

       über die Welt,

       den Menschen

       und die Frage nach

       dem Absoluten

      Die Welt ist endlich und hat Mängel, sie ist kein Paradies. Das merkt schon das Kind, der junge Mensch, der Pubertierende. Es kann sein, dass der Heranwachsende in der Pubertät gar nicht mehr weiß, wie er mit sich selbst und mit anderen umgehen soll. Er wird sich und womöglich auch den anderen ein Stück weit fremd. Selbst wenn er spürt, dass es in der Welt eine Ordnung gibt, herrscht dennoch auch Unordnung und Chaos in ihm und um ihn herum. Es gibt konstruktive Kräfte des Aufbauens und destruktive der Zerstörung. Es gibt Krankheit und Leid, Erfahrung von Endlichkeit und Tod. Es gibt Scheitern und Enttäuschung, Naturkatastrophen und Kriege. Es gibt Chaos in der Natur, aber auch Chaos im eigenen Inneren und im menschlichen Leben. Es wird Leid ausgelöst durch menschliches Handeln und den Missbrauch der menschlichen Freiheit: malum physicum und malum morale nennt das die Tradition. Es gibt das Übel in der Natur und das Übel durch menschliches Handeln.

      In all dem Hin und Her muss der Mensch Orientierung finden. Er muss das Gute vom Schlechten unterscheiden lernen, die desintegrierenden und ihn in Verwirrung bringenden Kräften von jenen unterscheiden lernen, die ihn zur inneren Mitte und zum inneren Frieden führen. Das geht nicht von heute auf morgen. Es bedarf verschiedener Suchbewegungen, Grenzerfahrungen, Scheiterns und Gelingens, Gesprächs mit Älteren und gegenseitigen Austausches. In Umbruchszeiten, wenn Äußeres zusammenbricht, sucht der Mensch im Chaos des eigenen Lebens nach neuem Halt. Das gilt für die persönliche Biographie, das gilt aber auch für geschichtliche Perioden von Umbruchzeiten.

      Die gegenwärtige Zeit ist eine Zeit derartiger Umbrüche. Diese sind begleitet von einem Verlust an Grundwerten, Zerbrechen von Beziehungen und Strukturen, von enormer Zeitbeschleunigung und Verdichtung von Zeit durch immer mehr zu bewältigende Aufgaben. Die Neuorientierungen geschehen in einer ständig komplexer werdenden Welt mit einer nahezu unüberschaubaren Zunahme an Informationen. Außerdem kommt es durch Internet und Handy-Kultur zu ganz neuen Formen der Kommunikation sowie zu einem Gleichzeitig-Werden mit der ganzen Welt. Eine immer tiefere Durchmischung von Kulturen und Religionen. Migrationsbewegungen, Reisen sowie Flugverkehr beschleunigt diesen Vorgang.

      Dieses zum Teil undurchschaubare Vielerlei führt zu einer Suche nach Ethik und Spiritualität, der Mensch sucht in dieser aufgewühlten Zeit nach Ruhe, Orientierung und innerer Ausrichtung. Er droht einerseits in der Flut von Angeboten unterzugehen, im Pluralismus von Meinungen und Sinnangeboten seine Orientierung zu verlieren und andererseits zu vereinsamen und in die Isolation zu geraten. Er braucht für sich selbst und für andere neue Orientierungspunkte. Auch die Gesellschaft muss sich neu ausrichten und sich fragen, wohin die Reise eigentlich gehen soll und welche Grundwerte sie aufrecht erhalten will. Was in einer Einzelbiographie in der Pubertät an Unruhe aufbricht und durcheinander gerät, scheint auch in Zeitepochen immer wieder zu geschehen: Umbruch, Aufbruch, neue Orientierung, tieferen Stand finden. Die Gegenwart ist eine solche Zeit der Umbrüche und Transformationen. Sie bedarf einer neuen Ausrichtung und einer tieferen Verankerung des Lebens.

      In einer derartigen Zeit der Krise des Staates entstand die Nikomachische Ethik von Aristoteles, ein Buch, das dem Menschen helfen will, wieder Halt und Orientierung zu finden. Aristoteles geht davon aus, dass der Mensch diese Orientierung braucht, wenn er sein Leben nicht verfehlen will. Im letzten will der einzelne, dass sein Leben gelingt. Er sucht nach seinem Glück. Nach diesem Glück strebt – so Aristoteles und später Thomas von Aquin – jeder Mensch, allein der Weg dahin ist schwer zu finden. Glück heißt im Griechischen Eu-daimonia („eu“ heißt gut und „daimon“ ist der Geist). Diesen Begriff kann man frei so übersetzen: dem guten Geist folgen. Der Mensch findet sein Glück, wenn er dem guten Geist folgt.

      Glück kann man nicht machen, aber Glück stellt sich ein, wenn man richtig lebt und dem guten Geist folgt. Richtig leben und dem guten Geist folgen bedeutet für Aristoteles: ein tugendhaftes Leben zu leben. Und das heißt wiederum – sehr verkürzt – die vier Tugenden der Klugheit, Tapferkeit, des Maßes und der Gerechtigkeit im Leben umzusetzen. Es bedeutet, in allem das rechte Maß zu finden, nicht zuviel, nicht zu wenig, die rechte Mitte einzuhalten zwischen den Extremen. Der Mensch soll klug entscheiden und klug handeln, mutig und tapfer nach vorne leben und nach der Gerechtigkeit streben. Gerade diese Werte und ein solches Leben interessieren aber den Pubertierenden womöglich gar nicht.

      Orientierung suchen heißt auch, nach Selbstvergewisserung Ausschau halten, nach Haltepunkten, die nicht brechen. Einen solchen Versuch, nach derartigen Haltepunkten zu suchen, unternahm schon Augustinus. Er fragte sich, ob in Situationen, wo alles rundherum zusammenbricht, wirklich alles bricht oder ob es nicht doch noch etwas gibt, was sicher ist, woran man sich halten kann. Seine Antwort СКАЧАТЬ