Briefgeschichte(n) Band 2. Gottfried Senf
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Название: Briefgeschichte(n) Band 2

Автор: Gottfried Senf

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783961450459

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СКАЧАТЬ den 12. Klassen eingesetzt und damit geht es von Woche zu Woche näher auf das Abitur zu. In den 10. Klassen bin ich für die Vorbereitung des Kurssystems der kommenden Schuljahre verantwortlich, das bedeutet auch viele Befragungen, Belegpläne, Gespräche mit Schülern und Elternversammlungen. Karins Fächer (Deutsch und Musik) erfordern einen ziemlich hohen Korrekturaufwand. Das ist bei mir zwar nicht der Fall, dafür kommen immer mehr Kinder und Jugendliche aus Verwandtschaft und Bekanntschaft, um Nachhilfe in Mathematik und Physik zu erhalten. Wenn es Frühling wird, gibt es draußen in Tautenhain auf den 2500 qm auch zu tun. Jetzt spüre ich deutlich meinen Muskelkater, denn gestern bin ich auf den Bäumen herumgeklettert und habe viel altes Astwerk herausgesägt. Das ist alles auch ganz schön und die Arbeit an frischer Luft tut gut - wenn aber die Zeit dafür nur „weggemaust“ wird, macht alles weniger Spaß. Der neue Computer - mit den vielen neuen Möglichkeiten des Internets, des Scanners, der E-mail - wird zunächst auch eine Menge Zeit der Einarbeitung beanspruchen. Andererseits sind diese vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten so faszinierend. Das gewöhnliche Fernsehen tritt immer mehr in den Hintergrund. Je mehr Programme ausgestrahlt werden, um so größer ist der Anteil an billigem Mist.

      Dich interessiert immer wieder, wie sich in Deutschland bzw. in Sachsen alles entwickelt. Ich lege aus der heutigen Leipziger Volkszeitung etwas bei. Was allein im Norden von Leipzig mit dem neuen Flughafen, der Neuen Messe, an Straßen- und Eisenbahnbauten entstanden ist und laufend entsteht, ist beeindruckend nur einmal. Den Umbau des Hauptbahnhofes hast Du ja letztens mitbekommen. Aber auch in Geithain tut sich Vieles. Das Bürgerhaus, die frühere Filmbühne aus den 1950er Jahren, ist fertig. Gleiches gilt für eine ganz tolle, moderne Turnhalle in Geithain-West. Am Alten Rathaus wird tüchtig gearbeitet und sicher wird es nach Fertigstellung ein Schmuckstück für Geithain. Die Baracken gegenüber der Paul-Guenther-Schule sind längst verschwunden und auf dem Gelände sind fünf tadellose Häuser für Betreutes Wohnen entstanden. Elektro-Löffler in der Chemnitzer Straße hat sich gewaltig vergrößert: Kauf des Bauerngutes an der Ecke Bruchheimer/Dresdener Straße und Umbau zu Lager- und Produktionsräumen, Kauf der ehemaligen Fleischerei Irmscher mit dem Gelände bis hinunter zur Stadtmauer. In dem Gebäude ist ein großer Laden für Elektrobedarf und Haushaltsgeräte (vom Fön bis zu den größten Gefrierschränken und Waschautomaten in einer Riesenauswahl) entstanden. Überall wird gebaut, andererseits sind arbeitslose Bauarbeiter mit einem großen Prozentsatz vertreten und Meldungen über Konkurse von Baubetrieben findet man immer wieder in der Zeitung. Es ist mitunter irgendwie verwirrend. Alles schimpft - in letzter Zeit besonders die Bauern, die wegen Europa Einbußen erwarten - aber andererseits hat man den Eindruck, dass es vielen Leuten wirklich immer besser geht. Die Reiseagenturen verbuchten in der Wintersaison Maximalumsätze. Meine zwei jungen Physikkollegen an der Schule (26 und 32 Jahre alt) werden in diesem Jahr mit ihrem Hausbau fertig, eine andere junge Kollegin erzählt begeistert von ihrem Besuch der Internationalen Immobilienmesse in Chemnitz. Sie liebäugeln in der Tat mit einem "Haus in der Provence". ---- Das alles 10 Jahre nach dem Fall der Mauer!! --- Und dann noch so eine Seltsamkeit: Keiner will ernstlich wieder DDR-Verhältnisse, aber die PDS hat Zulauf! Ich bin mir zur Zeit wirklich nicht darüber klar, wer im gegenwärtigen SPD-Streit recht hat: Die einen wollen sie ausgrenzen und lehnen jegliche Koalitionen mit der PDS ab, die anderen erhoffen durch eine Regierungsbeteiligung (wie in Mecklenburg-Vorpommern) eine Zügelung der PDS, ein Nachlassen ihrer Anziehungskraft, wenn sie erst einmal in der Verantwortung steht.

      Noch einmal zurück zu den alten Briefen Deines Bruders und meines Schwiegervaters. Vieles ist für uns heute nur schwer nachvollziehbar. Es ist schließlich alles vor über 50 Jahren geschehen. Für uns liegt die DDR- Zeit gerade mal 10 Jahre hinter uns. Ich frage mich heute auch manchmal, wieso man die geistige Einengung und die räumliche Einmauerung damals nicht stärker empfunden hat. Es will einem nicht mehr in den Kopf, dass beispielsweise ein Kontakt über Telefon, Post oder E-mail schon mit Menschen oder Institutionen in Westdeutschland schwer, mit Europa oder Amerika gänzlich ausgeschlossen war. An das Reisen dorthin gar nicht zu denken. Die Irlandtouren sind für mich immer wieder das Musterbeispiel. E-mail an Irish Cycling Safari in Dublin, Bezahlung über Credit-Card, Flugticket telefonisch reservieren, ein Reisebüro ist schon gar nicht mehr nötig. Oder unsere Reise mit dem Auto im Sommer nach Südfrankreich: Kenntnisnahme der vielen Anzeigen im Reiseteil der "Zeit", Anruf bei den französischen Adressen, Prospekte schicken lassen, auswählen - fertig. Oder der Umgang mit den Presseerzeugnissen, die Kunst des Auswählens, Herausfinden der für sich richtigen Zeitung, das Kennenlernen verschiedener Meinungen zu einer Sache - Du hast mich damals mit der "Zeit" sehr gut beraten! Ich möchte sie keinesfalls mehr missen und komme jetzt auch ganz gut mit ihrem Umfang zurecht. Inzwischen ist es dagegen in Kanada schwieriger geworden, "Die Zeit" zu erhalten, wie Du letztens schriebst?

      Damit soll es aber für heute genug sein. Herzliche Grüße von Geithain nach Kanada! Eure Geithainer Karin und Gottfried

       26. Mai 1999

      Lieber Gottfried, ich las vor kurzem ein Essay von Günter Grass in der „Zeit“ mit dem Titel „Der lernende Lehrer“. Darin geht es auch um das „Prinzip Zweifel“: Ich vermisste es so in dem Bericht von Paul Hammer, des Leiters der Paul-Günther-Schule. Du hattest mir die Broschüre vor einiger Zeit geschickt. Nie in den vielen Jahren, in denen er die Schule leitete, sind ihm Zweifel aufgekommen über die Richtigkeit dessen, was die Schüler in seiner Schule lernten. Es war doch einiges schief gegangen mit dem Sozialismus in der DDR, sonst hätte man die Mauer nicht gebraucht. Grass zweifelt an den „Segnungen des Marktes“, er erhebt den Zweifel zum Prinzip, er meint, dass wir niemals uns sicher fühlen sollten über die Richtigkeit unseres Handelns. Und dann erwähnt er Hartmut von Hentig, dessen Bücher ich gern lesen würde: „Wir müssen uns entscheiden, damit fängt alle Pädagogik an. Wollen wir eine Homepage-Öffentlichkeit, in der jeder sich an jeden wendet und sich in die Folgenlosigkeit einübt, in das Nichtverantworten-Müssen dessen, was man in die Welt gesetzt hat? Wollen wir die ständige Beschleunigung, die fortgesetzte Entsinnlichung, die Preisgabe der Unmittelbarkeit, der multa statt multum? Wollen wir digitale Vernetzung mit immer mehr Unbekannten statt Verbindung und Auseinandersetzung mit denen, die uns angehen und die wir angehen? Wollen wir das Untergehen der Aufmerksamkeit im großen Geräusch und der ständigen Überblendung? Wollen wir die Zunahme von „Schein“, die Verdrängung der erfahrbaren Wirklichkeit durch die „virtuelle“, des Kostbaren und Widerständigen durch das Verfügbare und Geläufige.... Mit diesen weder rhetorischen noch ironischen Fragen sind nicht die neuen Medien angeklagt, sondern unsere Willenlosigkeit, unser Zauberlehrlingsübermut, unser Opportunismus und unsere in ihm gründende Unfähigkeit zu erziehen.“

      Dieser Absatz beschreibt sehr gut, dass wir uns nicht in jedes neue technische Abenteuer stürzen müssen. Keiner kann mich davon überzeugen, dass schneller und schneller, mehr und mehr, lauter und lauter auch besser und besser ist. Vielleicht findest Du die Zeit, mit mir über dieses als „Lehrer“ ins Gespräch zu kommen.

      Zu dem Bild (s. Bild 8 und 9) von uns, aufgenommen vor fast 40 Jahren: Du weißt, dass wir 1954 nach Kanada ausgewandert sind. Im Herbst 1959 erhielten wir die Kanadische Staatsbürgerschaft. Wir wohnten damals auf einem Gut in der Nähe von Richmond Hill, nördlich von Toronto. Eine Dame kam von der Lokalzeitung, um uns zu gratulieren und zu „interviewen“. Sie machte diese Aufnahme in unserem damaligen Wohnzimmer und schrieb einen langen Artikel mit unserer Geschichte.

      Für heute sei das genug. Wir wünschen Euch alles erdenkliche Gute und Schöne. Greetings and much love, from John & Gisela

       Geithain, 04.06.99

      Lieber John, herzlichen Dank für Deine Briefe mit den Fotos. Ich habe alles erhalten und stehe wieder einmal in Deiner Schuld. Mein letzter Brief, ich sehe ihn hier auf dem Computer vor mir, war Anfang März! Ich hoffe, Du hast unsere Karte von Teneriffa sowie inzwischen auch die von England (Partnerschule in Eastbourne) erhalten. Seit Sonnabend bin ich zurück und es gab, Gott sei Dank, keine Unfälle oder andere besondere Vorkommnisse mit unseren 30 Schülern. Es war ziemlich anstrengend, andererseits СКАЧАТЬ