Geschwisterliebe. Stephan Hähnel
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Название: Geschwisterliebe

Автор: Stephan Hähnel

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

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isbn: 9783955520410

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СКАЧАТЬ zögerte einen Moment, bevor sie antwortete: «Nein, nicht, was du denkst. Er will sich beruflich weiterentwickeln. Genaues weiß ich auch nicht. Aber du versuchst nur abzulenken. Wir sprachen über den Fall Nikolskoe. Wann gedachtest du denn, mir die Neuigkeit mitzuteilen?» Sie betrachtete kurz sein kummervolles Gesicht und starrte dann in die Ferne. «Otto, erspare mir diesen Dackelblick!»

      Sie war ernsthaft verärgert. Zu Recht, wie Otto sich eingestand. Natürlich hätte er sie darüber informiert, dass er wieder an dem Fall Nikolskoe arbeitete, aber erst in der kommenden Woche. Möglicherweise wären die neuen Ermittlungen schon in ein paar Tagen abgeschlossen.

      Der Mordfall Nikolskoe hatte ihre Beziehung erschüttert. Während dieser Zeit war er sehr dünnhäutig gewesen, schnell gereizt und genervt von den Anforderungen des Alltags sowie den Erwartungen seiner Frau. Er hatte es sie nicht nur spüren lassen, sondern es ihr auch in einem Augenblick der Wut gesagt.

      Sie hatte ihn damals zum Mittagessen gerufen, und nachdem er bei der dritten Aufforderung immer noch nicht reagieren wollte, hatte sie erbost gefragt: «Übertreibst du nicht ein bisschen? Ich nehme meine Arbeit ja auch nicht mit nach Hause.»

      Ohne zu überlegen, hatte er ungehalten reagiert. «Du mit deinen kleinen Buchhalterproblemen und Bürobefindlichkeiten hast doch von dem, was ich tue, keine Ahnung! Das Schlimmste, was dir als Prokuristin passieren kann, ist, dass eine Sarotti-Rechnung nicht stimmt. Das lässt sich aber korrigieren, das bringt niemanden um.»

      Gertrud hatte nichts erwidert und ihn nur wie einen Fremden angestarrt. Schweigend hatten sie gegessen, schweigend den Rest des Tages verbracht.

      Am nächsten Morgen war Gertrud zu einer Freundin gezogen. Abstand war die einzige Nähe, die sie zusammenhielt. Es dauerte eine Woche, bis Gertrud zurückkehrte. Otto hatte sie angefleht zurückzukommen, ihr versprochen sich zu ändern und sich als verbohrt, ungerecht und egoistisch bezeichnet. Sie hatte ihn angeschaut und still und vorsichtig erwidert: «Versuchen wir es.»

      Inzwischen waren die Wunden vernarbt. Er bemühte sich. Sie genoss die Aufmerksamkeit, die er ihr seitdem entgegenbrachte.

      Verlegen räusperte Otto sich. «Ich hatte noch keine Gelegenheit, es dir zu sagen. Keunitz selbst hat angeordnet, den Fall wieder aufzurollen. Wir haben neue Informationen erhalten. Wir müssen dem nachgehen. Glaub mir, ich habe mich nicht darum gerissen.» Er legte seine Hand auf ihren Arm.

      Sie zog den Arm nicht weg, schaute ihren Mann aber auch nicht an. «Otto, ich respektiere deine Arbeit. Das habe ich immer getan. Ich kann einschätzen, was sie dir bedeutet. Aber niemand weiß besser als ich, was sie mit dir macht. Ich bin diejenige, die dich nachts festhält, wenn Albträume dich plagen. Immer habe ich dir den Rücken freigehalten. Ich liebe dich, weil du bist, wie du bist. Es gibt aber noch ein Leben neben deiner Arbeit. Vergiss das nicht wieder. Ein zweites Mal kehre ich nicht zurück.»

      Beide schwiegen. Mehr gab es nicht zu sagen. Eine weitere Entschuldigung wäre unglaubhaft gewesen, und deutlicher hätte sie ihre Warnung nicht formulieren können.

      «Wird Peter bei uns übernachten?», fragte Otto und hoffte, gemeinsam mit seinem Sohn das WM-Spiel Deutschland gegen Uruguay um Platz drei sehen zu können.

      Gertrud schüttelte bedauernd den Kopf. «Er ist nur kurz in Berlin und schläft bei Freunden.»

      Die Bar im Hotel Unter den Linden in Ost-Berlin war so früh am Abend noch nicht gut besucht. Gensfleisch saß auf einem der Hocker und quälte sich mit einem Whisky Made in GDR. Normalerweise bevorzugte er schottischen Whisky, da dieser aber nicht in den Osten exportiert wurde, sah er sich genötigt, es mit Hochprozentigem aus der Zone zu versuchen. Der Falckner besaß zwar eine ansprechende Farbe und hatte 43 Umdrehungen, dennoch beleidigte das Destillat seine verwöhnten Geschmacksknospen. Glaubte Gensfleisch dem Barmixer, erinnerte der Name an die Familie C. W. Falckenthal. Der Whisky stammte aus der gleichnamigen Luckenwalder Brennerei, die auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken konnte. Dass es überhaupt Whisky im Osten gab, war einem Staatsführungsbeschluss zu verdanken. Die Privatbrauerei produzierte seitdem das Gesöff, vermochte aber mit dieser Spirituose allenfalls das trinkfeste Proletariat zu begeistern.

      Gensfleisch, dem die unverhohlene Drohung mit ein paar Jahren Bautzen nicht aus dem Kopf ging, bestellte sich ein weiteres Glas Falckner und hoffte auf einen Gewöhnungseffekt. Tatsächlich hatte die Staatssicherheit genug in der Hand, um ihn ans Messer zu liefern. Kompromittierende Fotos von seinen Besuchen im Café Chérie und einer Nacht im hauseigenen Hotel waren dabei noch das geringste Übel. Seine Arbeit in der Bundesdruckerei wurde zwar gut bezahlt, aber der Handel mit bundesdeutschen Ausweispapieren brachte eindeutig mehr ein. Ärgerlich nur, dass er auf das Wohlwollen von Major Schwarz angewiesen war.

      «Sie sehen aus, als könnten Sie Gesellschaft gebrauchen.» Die Stimme gehörte zu einem in die Höhe drapierten roten Schopf mit einem dezent geschminkten Gesicht und einem schlanken, wohlgeformten braungebrannten Körper, der in einem marineblauen Minikleid steckte. Passende Pumps und eine elegante Handtasche, die problemlos ein kleines Aufnahmegerät verbergen konnte, rundeten die beeindruckende Erscheinung ab. Sofort erkannte Gensfleisch, dass die Frau größer war als er, ein paar Zentimeter nur, selbst ohne ihre hochhackigen Schuhe. Freundlich wies er auf den Platz neben sich und fragte mit einem Lächeln: «Darf ich Sie auf einen Drink einladen?»

      Er durfte. Gensfleisch hatte auch nichts anderes erwartet. Einen Moment lang dachte er an die mahnenden Worte seines Führungsoffiziers, jedoch beschloss er, diese angesichts dessen, was auf dem Barhocker neben ihm saß, zu ignorieren. Er würde sich einen schönen Abend machen, das Blaue vom Himmel erzählen und die Fremde anschließend vögeln. Ein Hoch auf die Amazonen der Weltrevolution!, prostete er in Gedanken Major Schwarz zu.

      Die Frau, die sich Simone nannte, war gut ausgebildet. Angeblich hatte sie ein Bewerbungsgespräch als Stewardess bei der Interflug. Da sie aus Lobbe komme, einem kleinen, verschlafenen Ostseenest auf Rügen, und es am Montagmorgen keine Zugverbindung gebe, die sie pünktlich zum Flughafen gebracht hätte, habe die Interflug notgedrungen ein Zimmer für sie gebucht. Eine Nacht habe sie sich zusätzlich gegönnt, um ein schönes Wochenende zu genießen. Berlin sei schließlich immer eine Reise wert. Normalerweise sei ein derart exklusives Hotel jedoch nicht ihre Preisklasse.

      Gensfleisch tat interessiert, lächelte verständnisvoll und ließ ihr Sektglas nachfüllen. Dankbar nahm sie es an und erklärte dann, dass sie aufgrund ihrer Sprachfähigkeiten – immerhin beherrsche sie perfekt Französisch, Englisch und Russisch – in den engeren Kreis jener Bewerber gerückt war, die für ausgewählte internationale Flugrouten eingesetzt werden sollten. Europa, Naher Osten, Afrika. Ein kurzes sehnsüchtiges Seufzen. Eine perfekte Inszenierung.

      «Bin ich dann nicht der falsche Umgang für Sie?», bemerkte Gensfleisch mit einem Lächeln und nippte am Falckner. «Meines Wissens wirken sich Westkontakte ausgesprochen negativ auf hiesige Karrieren aus.»

      Sie lehnte sich vor, gewährte einen kurzen Einblick in ihr Dekolleté und hauchte: «Sie müssen mich ja nicht verraten.»

      «Von mir erfährt niemand etwas. Ich schweige wie ein Grab.» Er machte eine Geste, als würde er seinen Mund abschließen.

      Simone reagierte auf seine Flirtversuche mit einem gekonnten Lächeln und sympathischer Neugier. «Kommen Sie aus West-Berlin?», erkundigte sie sich mit gesenkter Stimme.

      Er zögerte einen Augenblick, bevor er ebenfalls leise antwortete: «Ich habe eine fantastische Wohnung in der Nähe des Anhalter Bahnhofs.»

      Sie hörte ihm zu und lauschte seinen Ausführungen über das Nachtleben in West-Berlin, führte ihn aber immer wieder auf jenes Thema zurück, das ihr besonders wichtig zu sein schien: Politik.

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