Geschwisterliebe. Stephan Hähnel
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Название: Geschwisterliebe

Автор: Stephan Hähnel

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

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isbn: 9783955520410

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СКАЧАТЬ erlesene Sammlung von Zeitungsartikeln vorlegen, denen eines gemeinsam sein würde: Sie würden reißerisch über Wilfried von Thalmann berichten. Neugierig nahm er die Akte in die Hand und begann zu lesen.

      Wilfried Böttcher, 1935 in Guben geboren, lebte seit 1955 in West-Berlin. 1962 war er als 26-Jähriger von Nora von Thalmann adoptiert worden. Es folgten Angaben über seinen Wohnort in Alt-Lübars und das Register seiner Straftaten. Otto Kappe überflog die Liste kleinkrimineller Vergehen: Diebstahl, Hehlerei, Betrug, Körperverletzung … Das war nichts Besonderes, auffällig erschien ihm nur, dass keines der eingetragenen Delikte direkt mit Fluchthilfe in Verbindung stand. Lediglich ein Eintrag aus dem letzten Jahr deutete auf ein Passvergehen oder etwas Ähnliches hin. Es hieß, dass gegen Thalmann Ermittlungen wegen Urkundenfälschung eingeleitet worden seien. Allerdings waren die Untersuchungen wegen Geringfügigkeit eingestellt worden.

      Strafrechtlich ließ sich Wilfried von Thalmann nicht beikommen. Es bedurfte weiterer Informationen. Wenn der Verfassungsschutz seine Finger im Spiel hatte, musste er mehr über den schönen Willi wissen. Kappe erinnerte sich, von einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gehört zu haben, der Kontakt zur Fluchthelferszene hielt. Glaubte man den Gerüchten, leitete dieser nicht nur relevante Informationen, sondern auch Geld, das er von dritter Seite erhielt, an die einzelnen Fluchthelfergruppen weiter. Der Mann agierte unter einem Decknamen. Wenn Kappe seinem Gedächtnis vertrauen durfte, lautete dieser Merlin.

      Otto Kappe nahm den Telefonhörer zur Hand und ließ sich zu Kriminalrat Keunitz durchstellen. Sein Vorgesetzter wollte, dass er Dreck aufwirbelte, also musste er ihm auch das nötige Werkzeug zukommen lassen.

       VIER

       Sonnabend, 20. Juni 1970

      MAJOR GERALD SCHWARZ machte es sich so bequem wie möglich auf dem durchgesessenen Sofa in der Dunckerstraße, zweiter Hof, Seitenflügel, in Prenzlauer Berg. Die Wohnung im fünften Stock des heruntergekommenen Hauses lag direkt unter dem Dach, war schlicht eingerichtet und existierte offiziell nicht im Register des Amtes für Wohnungswesen in Ost-Berlin. Zuweilen schliefen hier Personen, die im Auftrag der Staatssicherheit handelten. Dass die Wohnung für konspirative Zwecke genutzt wurde, wussten die Bewohner, dennoch schwiegen sie. Niemand hatte das Bedürfnis, auf sich aufmerksam zu machen oder wegen allzu offensichtlicher Neugier ins Fadenkreuz von Horch und Guck zu geraten. Bekamen Bewohner des Hauses Besuch, wurde dieser ordnungsgemäß im Hausbuch eingetragen.

      Major Schwarz blätterte in dem Buch und prüfte all jene Personen, die länger als drei Tage zu Besuch in der DDR waren. Er studierte den Namen, das Geburtsdatum, die Staatsbürgerschaft, die zurzeit ausgeübte Tätigkeit und die Anschrift. Alles schien seine Richtigkeit zu haben. Einzig eine Besucherin aus Berlin-Steglitz fand sein Interesse. Eine ältere Dame, die zur Beerdigung ihrer Schwester eingereist war, hatte bei ihrem Bruder übernachtet. Offensichtlich war es der Steglitzerin gelungen, eine der seltenen Ausnahmegenehmigungen zu erhalten, die man in solchen Fällen erteilte. Passierscheine für den Besuch von Familienmitgliedern gab es schon seit 1966 nicht mehr. Wenn es nach Schwarz ging, konnte das so bleiben. Großzügigkeit führte nur dazu, dass wieder ein paar Unbelehrbare illegal die DDR verließen. Er notierte sich den Namen der Frau und das Datum des Grenzübertritts. Die Meldung von Nicht-DDR-Bürgern bei der Volkspolizei musste innerhalb von 24 Stunden erfolgen. Er würde das prüfen lassen.

      Als Sonderbeauftragter einer Gruppe ausgesuchter Mitarbeiter war Major Schwarz der Abteilung Infiltration des Ministeriums für Staatssicherheit zugeordnet worden und koordinierte geheime Maßnahmen, die die Aktivitäten der Fluchthelferszene unterminierten. Offiziell existierte die Gruppe nicht. Regeln gab es auch keine. Die einzige Vorgabe, die er zu erfüllen hatte, war, Erfolg zu haben. Selbst innerhalb des MfS wusste kaum jemand von dieser Abteilung. Schwarz war allein dem Chef der Staatssicherheit Erich Mielke Rechenschaft schuldig.

      Die Arbeit seiner kleinen Gruppe war überaus erfolgreich. Erst im März hatte ihn ein Kontaktmann aus Westdeutschland über die Fluchtabsicht eines renommierten Physikers informiert. Geplant gewesen war, dass der Mann am letzten Tag der Leipziger Messe im Gehäuse einer Werkzeugmaschine außer Landes gebracht werden sollte. Eine herausragende Kapazität, auf die der sozialistische Staat nicht verzichten konnte. Bei der Kontrolle des Lastzugs am Grenzübergang Wartha hatten Grenzschützer den Republikflüchtling scheinbar zufällig entdeckt. Tatsächlich war Major Schwarz bis ins kleinste Detail über den illegalen Grenzübertritt informiert gewesen. Datum, Uhrzeit, Wagentyp, Nummernschild und selbst der Führer des Lastzugs waren bekannt. Ein Wachhund hatte beim Vorbeigehen angeschlagen. Dass der trainierte Hund das immer tat, wenn er einen bekannten Summton hörte, der per Knopfdruck ausgelöst wurde, war eines der strenggehüteten Geheimnisse der Abteilung Infiltration. Bei der anschließenden Kontrolle hatten die Grenzschützer den Physiker aufgespürt. Er war mit erhobenen Händen abgeführt worden. Der Fahrer ebenfalls. Für den jungen Schwaben war es sein erster Auftrag gewesen. Der kaum Dreißigjährige wurde vor Gericht gestellt und bekam wegen verbrecherischen Menschenhandels zwölf Jahre aufgebrummt.

      Als die Klingel kurz und energisch meldete, dass sein Gast vor der Tür stand, schlug Major Schwarz das Hausbuch zu, legte es auf die Anrichte und öffnete die Haustür. Sobald er den Besucher erkannte, blickte er unzufrieden auf die Uhr. «IM Gensfleisch, Sie sind spät dran! Gab es Probleme?»

      «Den IM können Sie sich sparen!» Der Angesprochene holte tief Luft. «Lief alles wie abgesprochen. Fast.»

      Schwarz wusste, dass sich sein Gast über die Begrüßung ärgerte. Zwar hatte dieser ihn mehrmals darum gebeten, niemals mit seinem echten Namen angesprochen zu werden, was der Major durchaus respektierte, aber ab und an erschien es Schwarz sinnvoll, den Spitzel an seine Abhängigkeit zu erinnern. Mit müder Geste bat er ihn herein. «Was meinen Sie mit fast

      «Es gab eine kleine Schrecksekunde, weil der Grenzer meine Aktentasche durchsuchen wollte. Glücklicherweise hat sein Vorgesetzter mich durchgewunken.»

      «Na, dann ist doch alles perfekt. Haben Sie die Ausweise dabei?»

      «Warum sollte ich denn sonst hierhergekommen sein? So viel Grau – da bekommt man Depressionen. Und dieses Loch hier ist ja wohl das Letzte!» Angewidert schaute sich Gensfleisch um und schüttelte den Kopf. «Wenn ich auf dieser Seite des Eisernen Vorhangs leben müsste, würde ich auch abhauen.» Dann legte er fünf Personalausweise auf den Tisch. Vier waren ausgestellt auf männliche Personen mittleren Alters, einer war für eine Frau, die im vergangenen Monat ihren 22. Geburtstag gefeiert hatte.

      Langsam und gewissenhaft blätterte der Stasi-Offizier jeden einzelnen Pass durch. «Den hier behalte ich ein», entschied Major Schwarz in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. «Die der Männer können Sie verwenden.»

      «Dachte ich mir», erwiderte Gensfleisch. «Manchmal glaube ich, in den einschlägigen Etablissements rund um den Kurfürstendamm arbeiten nur noch Kommunistinnen. Beine spreizen für den Sieg der Weltrevolution. Ich habe schon ernsthaft daran gedacht, ob ich einen freundlichen Gruß von Ihnen ausrichte und um Rabatt bitte», sagte er albern. Sein Lachen erstarb aber sofort wieder.

      Der Stasi-Offizier wippte ein wenig auf den Zehenspitzen und schaute sein Gegenüber abfällig an. «Lieber Freund, unterlassen Sie diese dummen Bemerkungen! Für wen sind die Pässe gedacht?», erkundigte er sich und wies auf die verbliebenen vier Ausweise. Aus seinem Aktenkoffer nahm er einen kleinen Fotoapparat und begann, jeden einzelnen Pass abzulichten. Den Zettel mit den Namen beachtete er vorerst nicht. «Gensfleisch, ich frage mich, was Sie mit den Ausweisen anfangen wollen. Die Grenze ist dicht. West-Berliner können schon seit Jahren nicht in die Hauptstadt der DDR. Einem Bürger der DDR den Ausweis eines West-Berliners zu geben, der ihm ähnlich sieht, damit er widerrechtlich die Grenze passieren kann, ist schon lange nicht mehr möglich. Private Besuche haben wir aus gutem СКАЧАТЬ